Vor einigen Jahren hätte es an dieser Stelle vermutlich geheißen: Martin Hinteregger is not impressed.
Das Thema Druck im Profi-Fußball ist ein sensibles, oder sollte dies zumindest sein und das nicht erst seit den Schilderungen von Per Mertesacker vor einigen Monaten.
Bei Hinteregger wiederum kann man von außen den Eindruck haben, dass der immense Druck in diesem Business ihn nur am Rande tangiert. Der ÖFB-Innenverteidiger agiert am Platz konstant und abgebrüht, abseits davon geht er ohnehin seine eigenen Wege - Stichwort: Smartphone-Abstinenz.
Ein Eindruck, den er bestätigt: "Ich denke, das ist eine positive Einstellung. Was soll passieren? Ich bin gesund, habe schon viele Spiele gemacht, sowas kann mich nicht erschüttern. Viele Spieler sind da sicher extremer, sehen den Fußball wahrscheinlich als ihr Leben und sie müssen das und das und das noch erreichen."
Hinteregger: "Zufrieden mit dem, was ich schon erreicht habe"
"Wie ist es bei mir? Ich hätte nie gedacht, dass ich es so weit schaffe, dass ich einmal in der deutschen Bundesliga spielen werde. Jetzt spiele ich bereits die dritte Saison dort. Jede Saison, die noch dazu kommt, sehe ich als Draufgabe. Im Nationalteam habe ich inzwischen über 30 Spiele - auch das hätte ich mir nie gedacht als 17-Jähriger. Ich bin einfach zufrieden mit dem, was ich schon erreicht habe. Alles, was jetzt noch dazu kommt, ist eine Draufgabe. Deswegen mache ich mir auch keine Gedanken, wenn ich mal nicht spiele. Auch wenn ich ein halbes Jahr nicht spielen würde, wäre es okay, weil ich zuletzt jedes Jahr ohne Ausnahme 30 bis 40 Spiele gemacht habe", so Hinteregger weiter.
Zufriedenheit mit dem Erreichten wird erstens in weiterer Folge dieses Textes noch einmal Thema sein und passt zweitens vielleicht nicht ganz in den Zeitgeist der ständigen Gewinnmaximierung und des Strebens nach immer noch mehr.
Hinteregger hilft dieses Denken jedenfalls. So einfach ließe sich diese Pfeif-mir-nix-Mentalität jedoch nicht auf Kollegen, um deren Druck-Empfinden zu verringern, übertragen: "Ich denke, das ist eine Charaktereigenschaft. Das hat man oder das hat man nicht."
Hintereggers Strategie gegen den Druck
Wobei es nicht so ist, dass Hinteregger fußballerischer Druck komplett fremd ist, daraus habe er jedoch seine Lehren gezogen:
"Man sollte nicht immer mehr und mehr wollen, sondern auch mal mit dem zufrieden sein, was man gerade hat - auch wenn viele sagen, Zufriedenheit ist Stillstand. Aber wenn man nie zufrieden ist, dann ist das auch nicht gut."
"In meiner ersten Saison beim FC Augsburg, als es bis zum Schluss brutal gegen den Abstieg gegangen ist, habe ich auch Druck verspürt. Da geht es dann nicht mehr ums schön spielen, sondern da habe ich gemerkt: Wenn man so einen Druck verspürt, kann man nicht mehr jene Leistung bringen, zu der man eigentlich imstande ist. Seither sage ich mir vor jedem Spiel: 'Was soll passieren? Du bist locker, du gehst jetzt da rein, spielst dein Spiel, und wenn es funktioniert, funktioniert es, und wenn nicht, dann ist es eben so. Aber Druck brauchst du keinen verspüren.'"
Eine autodidakt angeeignete Strategie, denn Freund von Mentaltraining ist der Kärntner bekanntlich keiner. Aber Hinteregger hat zumindest eine Strategie. Nach der verkorksten EURO 2016 gab das eine oder andere ÖFB-Kadermitglied zu, dass der Druck bei diesem Turnier letztlich wohl zu groß war.
Auf den Innenverteidiger habe dies nicht zugetroffen, ihn hätte damals eine andere Problematik beschäftigt: "Ich hatte nur damit zu kämpfen, dass ich in Gladbach vor der EM wenig gespielt habe. Das war eigentlich mein einziger Gedanke in der Vorbereitung bis zur EM, wie ich dann drei Spiele in Folge erfolgreich bestreiten kann."
"Stillstand": Man sollte nicht immer mehr und mehr wollen
Als es los ging, sei der Druck weggewesen: "Sicher, es ist eine Europameisterschaft, aber es ist im Endeffekt auch nur ein Fußballspiel und Druck macht einen nicht besser. Wenn man sich selbst mehr Druck auferlegt, wird man nicht besser, sondern es geht eher in die andere Richtung."
Keinen Druck erlegt sich der 26-Jährige auch bezüglich weiterer Vereins-Zukunft auf, womit wir wieder beim Thema Zufriedenheit wären. Hinteregger bekräftigt einmal mehr seine Absicht, dem FC Augsburg vorerst die Treue halten zu wollen:
"Man muss auch einmal dankbar sein für das, was man hat, denn es ist nicht selbstverständlich, dass man jetzt schon die dritte Saison Stammspieler in der deutschen Bundesliga ist und das Vertrauen bekommt, jedes Spiel zu spielen. Man sollte nicht immer mehr und mehr wollen, sondern auch mal mit dem zufrieden sein, was man gerade hat - auch wenn viele sagen, Zufriedenheit ist Stillstand. Aber wenn man nie zufrieden ist, dann ist das auch nicht gut."
Ein Gedanke, gegen den man schwer argumentieren kann und dessen Beherzigung vielleicht für mancherorts förderliche Entschleunigung sorgen würde. Ein Gedanke, der jedoch auch nicht verhindert, dass man Ziele hat.
Das Wahnsinns-Spiel in Dortmund
Auch Hinteregger hat für die fernere Zukunft eine andere Liga im Kopf, zuerst möchte er jedoch mit Augsburg höhere Tabellenregionen erreichen. Als positives Beispiel nennt er seinen früheren Arbeitgeber Borussia Mönchengladbach, der sich über die Jahre von einem Abstiegskandidaten zu einem Europacup-Aspiranten entwickelt hat.
"Vielleicht kann die Entwicklung auch in Augsburg dorthin gehen", hofft der Blondschopf und hält, sollte die Zeit für den Abschied einmal reif sein, an seinem Serie-A-Traum fest: "Eine andere Liga würde ich schon auch gerne mal sehen. Wenn sich etwas ergibt, dann ist als Kärntner die italienische Liga im interessantesten. Am besten Udinese, da bin ich in einer Stunde dort."
Die Gegenwart ist jedoch der FC Augsburg, mit dem er am Wochenende bei der 3:4-Niederlage bei Borussia Dortmund ein schlagzeilenträchtiges Spektakel hingelegt hat.
Auslöser der Bayern-Krise?
Mit acht Punkten aus sieben Spielen rangiert Augsburg auf dem zehnten Platz - eine Ausbeute, mit welcher die Abwehrkraft nicht zufrieden ist: "Aber auch wenn wir nicht so viele Punkte wie erhofft gesammelt haben, haben wir jedes Spiel richtig gut gespielt und waren mindestens ebenbürtig, wenn nicht besser."
Und man darf sich auch damit trösten, dem FC Bayern München mit einem 1:1 den ersten Punkteverlust in der Liga beschert und somit den aktuellen Negativlauf beim Rekordmeister ausgelöst zu haben, auch wenn Hinteregger dies nicht so einschätzt:
"Ich würde nicht sagen, dass wir das ausgelöst haben. Wir haben schon die Chance gesehen, dass wir dort punkten können. Wenn man das Spiel gesehen hat, haben sie jedoch einige Chancen vergeben. Wir hätten in Dortmund den Punkt mehr verdient gehabt als in München. Aber Spieler wie Arjen Robben und Franck Ribery sind schon seit zehn Jahren oder noch länger bei den Bayern. Denen macht es sicher nichts aus, wenn sie in der Liga mal nur X spielen."
Zumindest mit Druck sollte man auch als Spieler des FC Bayern umgehen können.