Auf den ersten Blick hat Marcel Koller im Hinblick auf die EURO bisher nur wenig experimentiert.
Bei genauerem Hinsehen fiel gegen Albanien (2:1) aber doch etwas auf: David Alaba wurde vom Teamchef in einer offensiveren Rolle eingesetzt.
„Ja, da haben wir etwas ausprobiert und das System ein wenig verändert. Das hat offensiv gut geklappt“, so Koller. „Es sind kleine Häppchen, um den Gegner vielleicht auch taktisch zu überraschen. Man hat nicht die Zeit, die großen Dinge zu ändern.“
Ein Vorgeschmack auf die EURO?
Das Experiment mit Alaba dürfte vor allem im Hinblick auf die Partien gegen Island und Ungarn von Bedeutung sein.
In beiden Gruppenspielen wird das ÖFB-Team die spielbestimmende Mannschaft sein. Da braucht es Varianten, um die gegnerischen Defensiv-Reihen aufzubrechen.
Als Österreichs zweifellos talentiertester Kicker spielt Alaba dabei eine entscheidende Rolle. Der Bayern-Star ist einerseits eine wichtige Stütze im Aufbauspiel, andererseits gilt er dank seiner Technik als einer der torgefährlichsten Spieler.
Für Koller stellt sich deswegen die Frage, wie er diese beiden Fähigkeiten Alabas gleichzeitig zur Geltung bringen kann. Anders ausgedrückt: Wie kann der 23-Jährige zur selben Zeit als defensiver UND offensiver Mittelfeldspieler agieren? Gegen Albanien testete Koller genau das.
Ein zweiter Zehner
Im Spielaufbau ließ sich Alaba wie gewohnt oft zwischen die Verteidiger fallen. So half er nicht nur dabei, das gegnerische Fore-Checking zu umgehen, sondern leitete mit seinen umsichtigen Pässen das Angriffsspiel ein.
Befand sich der Ball jedoch einmal in der gegnerischen Hälfte, nahm der Wiener schlagartig eine extrem offensive Position ein. Statt als Sechser agierte er – auf einer Höhe mit Zlatko Junuzovic – quasi als zweiter Zehner. Während der Bremer sich zumeist links aufhielt, besetzte Alaba die halbrechte Seite.
Beide versuchten sich im Zwischenlinienraum für Pässe anzubieten und dort die Bälle weiterzuverarbeiten. Das funktionierte gut, auch wenn der 23-Jährige nur selten selbst direkt zum Abschluss kam.
Defensiv mit Problemen
Gegner Albanien tat sich mit der hohen Positionierung Alabas, die Koller in dieser Form erstmals ausprobierte, sehr schwer. Das lag nicht nur am Bayern-Profi selbst, sondern auch an den geschickten Bewegungen von Julian Baumgartlinger und Junuzovic.
Beide versuchten, die Angriffsläufe ihres Kollegen auszubalancieren. Was im Passspiel hervorragend klappte, haute defensiv noch nicht so richtig hin.
Weil alle drei zentralen Mittelfeldspieler früh attackierten, fehlt es hinten an einer Absicherung. Vor der Abwehr entstand ein Loch im Sechser-Raum. „Dadurch, dass wir Alaba weiter nach vorne genommen haben, sind wir in der Defensive ein Risiko eingegangen“, meinte auch Teamchef Koller, der sich von seinen Schützlingen mehr Laufbereitschaft erwartet hätte.
Noch einmal gegen die Türkei?
Nichtsdestotrotz darf der Schweizer sein Experiment als gelungen bezeichnen. Bei der EURO könnte diese Variante gegen defensiv eingestellte Gegner ein wichtiger Schritt zum Erfolg werden.
Ein höher positionierter Alaba sorgt für mehr Gefahr in der gegnerischen Hälfte. Gerade der Bayern-Star scheint für diese Rolle prädestiniert, stößt er doch auch bei den Münchnern oft aus der Abwehr ins offensive Mittelfeld vor.
Man darf gespannt sein, ob Koller im Test gegen die Türkei noch einmal dieses Spielelement auspackt. Zumal mit Julian Baumgartlinger ein wichtiger Mann für die Mittelfeld-Harmonie fehlt.
Vielleicht probiert der Teamchef aber auch ein neues taktisches Experiment aus – das nächste „kleine Häppchen“.
Jakob Faber