Braucht es beim ÖFB-Nationalteam einen großen Umbruch?
Natürlich nicht.
Alles kaputt zu machen, wäre trotz verpasster WM-Qualifikation der falsche Ansatz.
Sicherlich werden manche Routiniers unter einem neuen Teamchef altersbedingt den Cut vielleicht nicht mehr schaffen, auch Marko Arnautovic dachte zumindest in der ersten Enttäuschung über seinen Rücktritt nach, aber ein großer Umbruch schaut anders aus.
Aber strukturell und inhaltlich muss an manchen Themen wieder verstärkt gearbeitet werden. Zumindest intensiver als in den vergangenen Jahren der Ära von Franco Foda, in der mancher Bereich vernachlässigt wurde.
Viele davon sind kein Geheimnis und schon länger Problemzonen. Fünf Hinweise für eine hoffentlich wieder erfolgreichere ÖFB-Zukunft:
INSTALLATION EINES "A-TEAM-SPORTDIREKTORS"
Das A-Team könnte bestens einen eigenen "Sportdirektor" gebrauchen, der nicht Peter Schöttel heißt.
Hier geht es um zweierlei. Einerseits ist Schöttel ja nicht der Sportdirektor des Nationalteams, sondern des gesamten ÖFB, womit er vom Junioren- über den Frauen- und Amateur-Fußball bishin zur Trainer-Ausbildung ein sehr breites Aufgabenfeld verantwortet.
Diesbezüglich hat er erst kürzlich die Strukturen nachgeschärft, inzwischen arbeiten ihm in sechs Fachabteilungen Experten zu. Das A-Team ist am Papier nur eine von vielen Aufgaben.
Schöttel ist zumindest bei Lehrgängen dennoch hautnah dran. Darüber, wie erfolgreich er seine Rolle beim Nationalteam ausübt, lässt sich trefflich streiten.
Ob man sich an der langjährigen Rolle von Oliver Bierhoff beim deutschen Nationalteam orientieren mag oder nicht, sei dahingestellt. Dass sich das ÖFB-Team einen eigenen "Manager", der sich hauptsächlich um die Angelegenheiten des Nationalteams kümmert, verdienen würde, ist jedoch zumindest eine Diskussion wert.
Dass der Betreuerstab bei einem Lehrgang zu klein ist, lässt sich inzwischen kaum mehr behaupten, aber hier besteht ein Vakuum.
Die Aufgabe bestünde darin, Chef und Ansprechpartner des Teamchefs zu sein, selbigen auch tatsächlich einzufangen, wenn er sich inhaltlich oder menschlich auf Abwegen befindet. Führungsstärke gegenüber Staff und Team ist eine logische Anforderung.
Zudem ist neben der generellen Konzeption der Weiterentwicklung des Nationalteams in jeglichem Bereich eine der Kernaufgaben vor allem die Kommunikation nach außen. Selbige war schon zuletzt nicht mehr rein Teamchef-Sache, aber hier gibt es weiter Luft nach oben.
Wer könnte "Head of Nationalteam"? Konkrete Kandidaten ins Spiel zu bringen, ist eher kontraproduktiv. Dies ist eine Aufgabe, die jedoch nahezu maßgeschneidert ist für jemanden, der das A-Team-Prozedere bereits aus dem Effeff kennt - und zwar nicht aus den 1990ern.
In der jüngeren Vergangenheit gab es diverse Teamspieler, die sich betreffend der Nationalteam-Struktur über Training und die 90 Minuten am Feld hinaus Gedanken gemacht haben und deren Karrieren inzwischen beendet sind.
Um ein Beispiel namentlich zu nennen, das aktuell ohnehin nicht in Frage kommt, weil die Spieler-Karriere hoffentlich demnächst ihre Fortsetzung findet: Kapitän Julian Baumgartlinger ist jemand, der spielerseitig immer gerne rechtzeitig eingegriffen hat, wenn etwas nicht rund läuft und auch in der öffentlichen Kommunikation immer wieder Impulse gesetzt hat. Das fehlt diesem Team derzeit.
DIE FÜHRUNGSSTRUKTUR
Das Thema Hackordnung mag mancherorts überschätzt sein, und hier ist man natürlich auch von den jeweiligen Spieler-Charakteren abhängig. Aber ein wenig mehr Augenmerk als unter Foda sollte man diesem Thema wieder widmen.
Hier geht es auch darum, wie man das Nationalteam in der Öffentlichkeit verkauft und somit vielleicht auch wieder mehr Fans abholt (siehe unten). Nach innen ist es sowieso wichtig.
Nehmen wir das Beispiel David Alaba: Der mag nach innen ebenso ein Leader wie eine Plaudertasche sein. Seine Kommunikation nach außen legt er jedoch schon seine ganze Karriere über eher defensiv an. Das ist sein gutes Recht, und er ist auch bestens damit gefahren. Ändern wird sich das beim bald 30-Jährigen also nicht mehr.
Dass jedoch gerade ein Nationalteam, das stets eineinhalb Wochen lang irrsinnig im Fokus steht, Sprachrohre brauchen kann, ist so. Dass selbige derzeit im ÖFB-Team gerade in der nachrückenden Generation Mangelware sind, zeigt der Umstand, dass sich mit Christoph Baumgartner einer der Jüngsten recht flott als solches entwickelt hat.
Die 22er-Ausgabe des ÖFB-Teams mag sportlich mehr Potenzial haben, die Vorgänger-Generation hatte mit Typen wie Baumgartlinger, Sebastian Prödl, Marc Janko, Christian Fuchs, Martin Harnik, Robert Almer oder Zlatko Junuzovic aber fraglos mehr Charaktere, die auf und abseits des Platzes Verantwortung übernommen haben.
Leadership wie diese hätte in einer Krisen-Situation, als die man im Prinzip die komplette WM-Qualifikation bezeichnen kann, womöglich geholfen.
GRUPPENDYNAMISCHER NEUSTART
Dieses Thema ist und bleibt wichtig, diesem Thema wurde von Foda viel zu wenig Wert beigemessen.
Wirklich spürbar daran gearbeitet wurde eigentlich nur rund um und während der EURO - geschadet hat es bestimmt nicht.
Das heißt wohlgemerkt nicht, dass sich derzeit die jeweiligen Kadermitglieder menschlich nicht mögen, aber es möge gleichzeitig niemand behaupten, dass der ÖFB-Tross aus Trainerteam, Staff und Spielern in der jüngeren Vergangenheit wie eine große Einheit aufgetreten ist.
Dass der neue Teamchef nicht nur taktische Kompetenz mitbringen muss, sondern auch soziale, sollte sich von selbst verstehen.
Auch das ist gerade auf Nationalteam-Ebene, wo man sich nur fünf bis sechs Mal im Jahr trifft, dafür dann aber eineinhalb Wochen lang besonders intensiven Kontakt hat, ein extrem wichtiges Puzzle-Teil. Das sollten speziell die ersten vier Jahre unter Marcel Koller bewiesen haben.
SPIELPHILOSOPHIE
Es ist eine recht späte Einsicht von Schöttel, dass man das "Red-Bull-Eck" und jene, die eher aus der spielerischen Ecke kommen, in Sachen Spielphilosophie nicht ideal vereinen konnte.
Dies ist ganz klar Trainer-Aufgabe. Man könnte dies gleich als Eingeständnis werten, diesen Aspekt bei der Teamchef-Suche 2017 nicht genügend bedacht zu haben, denn dass Fodas Idee vom Fußball gerade zur Red-Bull-Fraktion nur bedingt passt, ist keine Neuigkeit.
Aber auch der Rest "fremdelte" zuletzt immer mehr. Umso wichtiger ist es bei der Wahl des nächsten Teamchefs abzuwägen, was wirklich zu dieser Mannschaft passt - und zwar zu allen.
Eine "Einigung" in Spielerkreisen sollte hier nicht so schwierig sein... Und eine Vereins-Herangehensweise zu reduzieren oder gar auszuschließen, ist sowieso keine Option. Die besten Spieler sollten auch berufen werden.
RÜCKENDECKUNG DER FANS
Das unfreiwillige "Geisterspiel" gegen Schottland am Dienstag sollte auch symbolisch den Schlussstrich unter eine Ära ziehen, in der das Nationalteam nicht die Rückendeckung der großen Masse an Zuschauern genossen hat - und das ist ganz und gar nicht pandemiebedingt gemeint.
Dass der Funke nicht wie erwünscht überspringt, ist auf vielen Ebenen selbstverschuldet. Umso mehr muss es in der nächsten Teamchef-Ära hohe Priorität haben, die Anhänger wieder ins Stadion zu bringen.
Das Happel-Oval ist ohnehin schon ein Wettbewerbs-Nachteil, halb gefüllt ist es gar ein Handicap. Wie wichtig der Support von den Rängen sein kann, konnte man in Cardiff bestens beobachten.
Wie holt man die Fans zurück? Das Ergebnisse nur ein Teil des Ganzen sind, hat die Foda-Ära gezeigt. Auch attraktiverer Fußball allein wird nicht genügen.
Letztlich muss man sich wieder intensiver um die Anhänger kümmern. Damit sind nicht nur Ticket-Preise gemeint. Die Bindung zwischen Fans und Mannschaft, die noch vor einigen Jahren ein Trumpf war, war schon vor Corona bestenfalls in Resten vorhanden.
Dass dies kein Selbstläufer ist, hat im Idealfall inzwischen auch der Letzte im ÖFB kapiert. Man möge daran arbeiten!