Neubeginn, Reset, Fortsetzung.
Wie auch immer man den Status quo des österreichischen Nationalteams vor dem WM-Quali-Auftakt in Georgien bezeichnen möchte, fest steht, dass ein Sieg in Tiflis die nach der verpatzten EURO angespannte Lage durchaus beruhigen würde und ein Punktverlust den gegenteiligen Effekt haben könnte.
Teamchef Marcel Koller lobt "Euphorie und Freude" seiner Schützlinge und meint: "Wir sind wieder enger zusammengerückt. Jedem ist bewusst, dass eine neue Ära losgeht."
"Wir möchten in Russland dabei sein. Das heißt, wir müssen vom ersten Spiel an sehr konzentriert bei der Sache sein", fordert der Schweizer.
LAOLA1 schaut sich vor dem anstehenden Gastspiel beim 118. der aktuellen FIFA-Weltrangliste (18 Uhr im LAOLA1-Live-Ticker) die wichtigsten Brennpunkte an:
DER UMGANG MIT DER EURO:
Einen dicken Punkt habe man intern unter das Kapitel Europameisterschaft gesetzt, berichtete Marko Arnautovic. Nach einer intensiven Analyse selbstverständlich. Das ist auch gut so. Klar ist, dass die EM eine Zäsur bedeutet hat. Das Ziel ist, dort fortzusetzen, wo man vor der EURO aufgehört hat, also bei der erfolgreichen Qualifikation. In der Öffentlichkeit soll der Frankreich-Trip am besten gar kein Thema mehr sein, wünscht man sich von Seiten des ÖFB-Teams, wie Marc Janko in einem eindringlichen Appell kund tat. Ein Wunsch, der sich nicht so einfach in die Tat umsetzen lässt, vor allem wenn man - völlig legitimerweise - selbst immer wieder an die jüngere Vergangenheit anknüpft.
"Wenn du erfolgreich bist, kommt eine gewisse Genügsamkeit und man denkt, man kann den Knopf drücken und es wird schon kommen. Das ist nicht der Fall", wiederholt etwa Koller im einen Satz ein klares Problem im Vorfeld der EM, um im nächsten Satz in Richtung Pressevertreter zu sagen: "Das heißt auch für euch, nicht immer in die Vergangenheit zu schauen, sondern in die Gegenwart und die Zukunft." Noch in derselben Antwort heißt es: "Es ist jedem bewusst geworden, dass er nicht ein paar Prozente weniger reinbringen kann. Es ist wieder mehr Zug dahinter. Wir müssen auch nicht mehr schauen: 'Okay, ich will unbedingt bei der EURO dabei sein, ich darf mich nicht verletzen.' Das sind alles so kleine Dinge, die zusammenkommen. Man spürt: Wir wollen etwas beweisen, wir wollen etwas zeigen. Das Fußball spielen haben wir ja nicht verlernt. Die Jungs können nach wie vor hervorragend spielen, auch miteinander. Das ist jetzt klar wieder gefordert."
Man sieht: Ganz ohne Blick auf das EURO-Scheitern kommt nicht einmal der Teamchef aus. Das ist auch völlig verständlich und nachvollziehbar - genauso wie das Anliegen, dieses Thema aus dem Gedächtnis streichen zu können. Und genau dafür gibt es eine Medizin, die beim Vergessen bestens hilft: Erfolg. Ein Sieg in Georgien und der Blick in den Rückspiegel fällt von allen Beteiligten bereits weniger intensiv aus.
DAS PERSONAL:
Im Vergleich zu den letzten drei Länderspielen des Nationalteams kann Koller aus dem Vollen schöpfen, sodass es tatsächlich erscheint, als hätte es die EM nicht gegeben. Im Gegensatz zu Gegner Georgien beklagt der Schweizer keine Verletzten, auch gröbere Formkrisen sind nicht aktenkundig. Zlatko Junuzovic ist wieder mit an Bord, Marc Janko ist beim FC Basel wieder im Rhythmus, Aleksandar Dragovic hat seine Knöchelverletzung ausgeheilt und seine Vereins-Zukunft geklärt, und die Chance, dass David Alaba wieder David Alaba ist, ist eine gute - um nur einige Beispiele zu nennen. Deshalb ist auch zu erwarten, dass der Teamchef im Gegensatz zu den Partien gegen Portugal und Island nicht improvisieren muss und seine stärkste Elf mit den weitestgehend gewohnten Gesichtern ins Rennen schicken wird. Einzig der zurückgetretene Kapitän Christian Fuchs steht nicht mehr zur Verfügung, er wird voraussichtlich von Markus Suttner ersetzt. Und am rechten Flügel gibt es durchaus die Qual der Wahl, da neben Martin Harnik und Marcel Sabitzer theoretisch auch Louis Schaub und Alessandro Schöpf Optionen darstellen.
"Die linke Abwehrseite bereitet mir kein Kopfzerbrechen, weil die Zwei, die wir für diese Position vorgesehen haben (neben Suttner Stefan Stangl; Anm.d.Red.) das im Training sehr gut umgesetzt haben. Wir wissen, dass wir mit Christian einen wichtigen Abgang hatten, aber gerade Sutti ist auf dieser Seite praktisch fünf Jahre mit dabei und weiß, wie es zu spielen ist. Das ist in dem Sinne ein Vorteil", erklärt Koller zur Linksverteidiger-Position.
DIE NEULINGE:
Kann sich der ÖFB-Coach zu keiner Überraschung in der Startelf durchringen, hängen potenzielle Länderspiel-Debüts wohl vom Spielverlauf ab. Mit Michael Gregoritsch, Louis Schaub, Stefan Stangl und Andreas Lukse stehen vier Akteure im Aufgebot, denen der ÖFB-Einstand noch bevorsteht. Mit der bisherigen Performance der Nachrücker zeigt sich Koller sehr zufrieden: "Die Jungen haben sich wirklich alle sehr gut eingefügt. Wir haben ihre Qualitäten gesehen. Sie haben selbst auch festgestellt, dass der Rhythmus im Nationalteam nochmals intensiver ist. Aber gerade Junge haben die Qualität, sich in drei, vier Tagen anzupassen. Sie nehmen das Tempo auf und fühlen sich nach der ersten Nervosität auch wohl. Dementsprechend haben sie das in dieser Woche sehr gut umgesetzt."
ZUVERSICHTLICHE GEORGIER:
Georgien drängt sich selbst vor dem Kräftemessen mit Österreich nicht gerade in die Rolle des Underdogs, vorsichtig formuliert. Ex-Sturm-Spieler David Mujiri, inzwischen Generalsekretär des Verbandes, zeigt sich sehr zuversichtlich. Teamchef Vladimir Weiss spekuliert mit einer Überraschung. Rapid-Neuzugang Giorgi Kvilitaia spricht offen von Georgiens Favoritenrolle gegen die ÖFB-Elf und meint sogar: "Wir fahren sicher zur WM! Wir werden in zwei Jahren in Russland dabei sein." Einen größeren Gefallen kann man Koller in punkto Einschätzung des Kräfteverhältnisses wohl kaum tun. Über die Favoritenrolle zu spekulieren, lehnt der 55-Jährige grundsätzlich ab und meint diesmal: "Wenn die Georgier die Favoritenrolle übernehmen wollen, sollen sie das tun. Aber ob vor dem Spiel wir der Favorit sind oder der Gegner, wird nichts zum Ausgang des Spiels beitragen." Beim ÖFB übt man sich wie gehabt in bewährter Bescheidenheit. Marc Janko betont: "Was man so hört, sehen sich die Georgier selbst als Favorit. Wir haben damit kein Problem, wir wissen um die Schwere des Spiels und dass uns ein Hexenkessel erwartet. Mit den Zuschauern im Rücken ist Georgien eine enorm heimstarke Mannschaft." Rund 40.000 Zuschauer werden in der Boris Paichadze Dinamo Arena erwartet.
DIE SPIELANLAGE:
Welche Art Spiel man in besagtem Hexenkessel erwarten darf, ist noch offen. Im ÖFB scheint man noch ein wenig zu rätseln, ob Weiss Georgien eher mauern lässt oder vor heimischem Publikum sein Glück doch auch in der Offensive sucht. "Ich glaube schon, dass sie genügend Selbstvertrauen haben", meint Koller, "in der Analyse hat man gesehen, dass sie gut Fußball spielen können und mit dem Fans im Rücken zu Hause nach vorne spielen wollen. Auch in der EM-Qualifikation haben sie hier Punkte geholt und den Gegnern mit ihrem Spiel Mühe bereitet. Andererseits haben sie gegen Spanien gezeigt, dass sie in der Defensive gut stehen können." Des Rätsels Lösung wird man wohl erst mit der Aufstellung der Georgier oder spätestens nach Anpfiff kennen. Ergo lautet Kollers Devise: "Wir müssen für beides gewappnet sein. Wir müssen defensiv gut stehen und nach vorne eine Lücke finden."
RUNDE JUBILÄEN:
Das 50. Länderspiel ist für gewöhnlich ein Highlight in der Nationalteam-Karriere. In Tiflis steht selbiges gleich drei ÖFB-Stammkräften bevor. David Alaba, Aleksandar Dragovic und Zlatko Junuzovic stehen allesamt vor diesem besonderen Jubiläum. Es wäre gut, wenn man nach dem Schlusspfiff auch zum dazugehörigen Sieg gratulieren könnte.
Peter Altmann