Nein, noch sind wir nicht Europameister.
Aber die Gefahr des kompletten Realitätsverlusts besteht derzeit in Fußball-Österreich ohnehin (noch) nicht.
Das von weiten Teilen der Öffentlichkeit kritisch beäugte ÖFB-Team hat gegen Nordmazedonien dem Druck, den so wichtigen Auftakt-Sieg einfahren zu müssen, standgehalten – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Und ja, mit dem ersten Sieg Österreichs bei einer EURO hat das Nationalteam auch "Geschichte geschrieben", wie Teamchef Franco Foda betonte.
Letztlich war es jedoch eine ohne Wenn und Aber alternativlose Geschichte (und eine, welche die Qualitätsmängel früherer ÖFB-Generationen aufzeigt; schließlich hat niemand verboten, schon früher seit 1960 mal zuzuschlagen).
Alternativlos aus all den schon vor der Partie ohnehin zu Genüge diskutierten Gründen von der Wichtigkeit einer Auftakt-Partie bis hin zum Nachweis, die stärkste ÖFB-Generation seit langem zu sein.
Mal abgesehen davon, dass ein Umfaller gegen den schwächsten Gruppen-Gegner eher mühsame Debatten nach sich gezogen hätte – intern wie extern.
Dieser Worst Case bleibt Gott sei Dank erspart. Nun geht es um den richtigen Umgang mit dem Auftakt-Sieg und die korrekte Einordnung.
Und diesbezüglich machen die Wortmeldungen aus dem ÖFB-Lager durchaus Hoffnung. Bei aller berechtigter Erleichterung, bei aller verständlicher Freude über den Sieg, bei allen legitimen Hinweisen auf jene Dinge, die gut geklappt haben, brachten fast alle ÖFB-Kicker auch kritische Töne über die eigene Leistung sowie recht flott auch den Fokus auf die weiteren Spiele unter.
Realistisch gesehen ist es ja auch kein Widerspruch, diverse Phasen des Spiels als nicht ganz so super zu betrachten und trotzdem den Hut davor zu ziehen, gegen einen lästigen Gegner in einer mühsamen Situation die Ruhe bewahrt und seine höhere Klasse ausgespielt zu haben.
"Wir müssen jetzt ruhig bleiben", fordert etwa David Alaba, "wir geben uns nicht mit diesen drei Punkten zufrieden. Es war unser erstes Ziel, das haben wir erreicht. Aber wir wollen weitermachen."
Nordmazedonien war der nächsten Schritt in der Entwicklung eines Teams, das sich nicht darauf ausruhen will und darf.
Der eine oder andere Aspekt beruhigt jedoch als eine Art Zwischenfazit.
Zuallererst darf man Franco Foda Respekt für seinen taktischen Schachzug zollen, der natürlich viel mehr Risiko bedeutete, als er es selbst zugeben wollte.
Noch viel mehr darf man dem 55-Jährigen jedoch zu Gute halten, dass er nach dem auch ihm nicht sonderlich gut gelungenen März-Lehrgang offenkundig tief in sich gegangen ist und einige richtige Lehren daraus gezogen hat.
Den Wortmeldungen, die Spieler bei der EM bei Laune halten zu wollen, ließ er Taten folgen. Die Stimmung ist glaubhaft so gut wie lange nicht. LAOLA1-Experte Andy Ogris wies unlängst im Stammtisch zurecht darauf hin, dass gute Stimmung wichtig sei, der Teamchef sie jedoch auch zulassen müsse. Hier hat jemand seine Lektion gelernt.
Wobei diesbezüglich der sehr intensive Einfluss diverser Führungsspieler hervorgestrichen werden muss. Diese Thematik war augenscheinlich sehr weit oben auf der Agenda. Bislang ziehen alle mit. Bitte weiter so, das Turnier dauert zwar noch, aber gerade nach einem Auftakt-Sieg ist die Explosions-Gefahr eher gering.
Hoffnungsfroh stimmt jedoch auch der Umstand, dass diverse Leistungsträger bereiter für das Turnier erscheinen, als es 2016 der Fall war. Diesmal hat man sich offenkundig intensiver damit beschäftigt, was erstens ein Großereignis generell bedeutet und dass zweitens Rückschläge (Stichwort Slapstick-Gegentor) vorkommen können.
Nur ein Beispiel abseits der aufgelegten Nennung Alabas: Die Performance von Marcel Sabitzer hat angedeutet, dass der Leipzig-Legionär fest entschlossen ist, wie erhofft auf dieser internationalen Bühne den nächsten Schritt zu gehen.
Ob es ihm und anderen nachhaltig gelingt, werden die nächsten Spiele gegen die beiden stärkeren Gruppen-Gegner Niederlande und Ukraine zeigen.
Wenn ja, ist immer noch genügend Zeit für echte Euphorie. Aktuell ist nüchterne, aber trotzdem berechtigte Freude das Gebot der Stunde.