Es stimmt schon, was Marko Arnautovic bezüglich "Negativität" sagt.
Es ist nicht verboten, das 0:2 des ÖFB-Teams in Frankreich als weitestgehend normal abzuhaken. Leistungsgerecht war es sowieso. Es besteht wirklich keine Notwendigkeit, alles schlecht zu reden.
Es stimmt allerdings auch, was Ralf Rangnick immer wieder sagt - nämlich sinngemäß, dass Österreich bisweilen auch mal im Ranking besser platzierte Nationalteams besiegen müsse, wenn man vorwärts kommen will.
Dafür muss man aber halt auch selbst besser werden.
Gut, dass solch eine Überraschung selbst beim stark ersatzgeschwächten Weltmeister nur mit einer Ausnahmeleistung möglich gewesen wäre, war ebenso erwartbar und vom Teamchef im Vorfeld auch so kommuniziert.
Letztlich war es ein Date mit der Realität, das allerdings kaum Lust auf mehr macht.
Wie schaut diese Realität aus dem Nationalteam-Blickwinkel aus? Österreich wird in der FIFA-Weltrangliste auf Platz 33 eingestuft, das reale Leistungsvermögen ist möglicherweise einige Ränge besser.
Dass sich Rangnick mit diesen Sphären nicht zufrieden gibt, kommuniziert er offen. Und das ist auch gut so. Denn auch seine Lust auf die aktuelle Ergebnis-Realität ist stark endenwollend.
Drei in den Top 15 platzierte Nations-League-Gegner geben so gesehen gute Gradmesser ab, wie dünn die Luft in besagten Sphären werden kann, wenn bei Rot-Weiß-Rot nicht alles funktioniert.
Zur Bemessung der Realität gehört die korrekte Einschätzung des aktuellen Potenzials.
Man muss nicht gleich von einer "Goldenen Generation" sprechen, aber dass Österreich ein qualitativ derart breites Spieler-Reservoir hat, ist und bleibt die Ausnahme.
Aber konkretisieren wir im Schnitt auf "qualitativ gut". Bis zu "qualitativ sehr gut" ist es sehr wohl noch ein Stück, von absoluten Weltklasse-Kickern - wie sie etwa Frankreich in größerer Anzahl hat - ganz zu schweigen.
Zur Realität gehört, und man kann es nicht oft genug betonen, dass David Alaba in Sachen Weltklasse schon lange allein auf weiter Flur ist.
Es ist gut, wenn sich Marcel Sabitzer nun beim FC Bayern München besser behauptet, aber Österreich ist dennoch noch ziemlich weit weg davon, eine stattliche Anzahl an Legionären bei absoluten Elite-Vereinen zu haben – von dortigen Führungsspielern reden wir lieber nicht. Auch hier ist es ein Solo für Alaba.
Es ist schön, dass Österreicher in der Serie A wieder mehr in Mode kommen und Marko Arnautovic dort sogar die Schützenliste anführt. Dies beschönigt jedoch kaum, dass ÖFB-Kicker weder in La Liga noch in der Premier League sonderlich gefragt sind.
Schön, dass Sasa Kalajdzic zum Transferschluss den Sprung auf die Insel doch noch geschafft hat. Ganz schlimm, dass er sich gleich verletzte. Trotzdem gehört es zur Realität, dass sich Vereine aus der stärksten Liga der Welt, in der Geld abgeschafft scheint, nicht gerade um Österreicher reißen.
Fassen wir es so zusammen: Das Ziel, genügend Österreicher als Stammspieler in Top-Ligen – speziell in der deutschen Bundesliga – unterzubringen, wurde in den Nuller-Jahren ausgeschrieben und in den Zehner-Jahren erfüllt.
Und seither sind wir zufrieden damit und ruhen uns darauf aus, oder wie?
Für die Zwanziger gehört hier das Anspruchs-Denken deutlich erhöht. Wäre doch gut, wenn – bei allem Respekt - mittelfristig mehr für eine Einberufung dazugehört, als auffällige Einsätze bei Mainz, Werder oder Hoffenheim.
Weiters: Dass Österreich einige akute Problem-Positionen hat, ist bekannt und gehört zur Realität. Bloß: Unternimmt auch irgendjemand etwas?
Gerade auf den Außenverteidiger-Positionen könnte man schon seit fünf Jahren gegensteuern, so schlecht gehütet war das "Geheimnis", dass es rechts wie links bald einmal knapp werden könnte.
Dass es Österreich inzwischen ja fast schon generationenübergreifend nicht schafft, wenigstens einen Torhüter auszubilden, um den internationale Top-Vereine als Nummer eins buhlen, ist sehr bedauerlich.
In den letzten Jahren hüteten zahlreiche Goalies das ÖFB-Tor. Man kann ihnen nahezu geschlossen gratulieren, dass es dabei nur wenige wirklich grobe Schnitzer gab. In jedem Transfersommer zittern zu müssen, ob es am Ende tatsächlich zum Stammplatz im Verein reicht, kann aber aus Nationalteam-Sicht wirklich nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Den zu Saisonbeginn erfreulichen Trend, dass so gut wie alle Stürmer-Kandidaten in ihren Vereinen getroffen haben, hebelte Rangnick mit dem Konter aus, dass man trotzdem recht weit von einem Erling Haaland entfernt sei. Oder einem Kylian Mbappe. Stimmt ja auch.
Der neue Teamchef ist es auch, der solche Wahrheiten immer wieder anspricht und den Finger in die Wunde legt. Öffentlich noch eher höflich und manchmal dezent, aber doch. So sollte auch der seiner Meinung nach gravierende Mangel an Tempo-Dribblern inzwischen eingesickert sein.
Soll summa summarum heißen: Es tät schon einiges zu tun geben, wenn Fußball-Österreich konstant die nächsten Schritte gehen möchte.
Die Betonung liegt auf konstant, denn sich auf das eine oder andere gute Europacup-Jahr auszuruhen, kann unerfreuliche Folgen haben, wie so mancher Bundesligist in dieser Saison lernt(e). Aber das nur nebenbei.
Wer kümmert sich um die Umsetzung? Um eine gewisse zentrale Steuerfunktion wird der ÖFB in dieser Sache nicht herumkommen, auch wenn die meiste Ausbildungsarbeit in den Vereinen geschieht.
Dass Rangnick seine Finger in die Wunden legt, begleitete seine Bestellung als große Hoffnung. Es wäre wichtig, wenn er intern mit allergrößtem Nachdruck nicht nur auf Probleme hinweist, sondern auch konkrete Ergebnisse in Sachen Lösung einfordert.
Denn zur Realität gehört auch die Befürchtung, dass noch nicht überall, wo es notwendig ist, angekommen ist, dass einiges an Arbeit wartet.