Moritz Bauer betritt mit seiner erstmaligen Nominierung für das österreichische Nationalteam Neuland - mit einer Ausnahme kam er zuvor noch mit keinem ÖFB-Kadermitglied in Berührung.
"Ich war vorher noch mit niemandem Abendessen, aber aus der Schweizer Liga kannte ich Marc Janko. Mit ihm hatte ich eine Geschichte. Er ist mir in die Beine gefahren und hat deswegen nach einer halben Stunde die Rote Karte gekriegt", erinnert sich der frühere Grasshoppers-Akteur an eine Begegnung mit dem damaligen Basel-Legionär.
"Ansonsten hatte ich noch keinen persönlichen Bezug, aber das haben wir jetzt in kürzester Zeit wirklich sehr gut aufgearbeitet. Ich fühle mich sehr, sehr wohl", ist Bauer nach seinen ersten Tagen als Nationalspieler sehr zufrieden.
Die Sache mit der Hymne
Seine Österreich-Erfahrung beschränkte sich bisher auf Urlaube am Wörthersee oder in Wien: "Ich habe mehr von der Kultur, der Sprache oder dem guten Essen mitbekommen, vor Ort war ich ehrlicherweise eher selten."
Also gilt es für den gebürtigen Schweizer derzeit viel kennenzulernen. Neue Kollegen, neue Spielweise, neues Umfeld - und natürlich auch eine neue Hymne.
"Also die Schweizer Hymne kann ich auch nicht, ich bin wirklich kein Sänger", wehrt Bauer die Frage nach seiner Textsicherheit bezüglich Bundeshymne entschuldigend ab, "aber ich hoffe, ich bin für Samstag textsicher genug, falls die Pflicht besteht, zu singen. Ansonsten höre ich mir das lieber an, muss ich ehrlich gestehen."
Diese Pflicht besteht nicht wirklich, und in Österreichs Nationalteam ist der eloquente Debütant natürlich als fußballerische Bereicherung gefordert, nicht als Sänger. Die Freude, es ins ÖFB-Aufgebot geschafft zu haben, ist beim Russland-Legionär deutlich spürbar.
Reisepass auf der Botschaft in Moskau
Vergangenen Sommer, als er den Wechsel von den Grasshoppers zu Rubin Kazan vollzogen hat, kam erstmals die Idee auf, sich seiner familiären Wurzeln - sein Großvater stammt aus der Steiermark - zu besinnen und in Zukunft für Österreich spielen zu wollen.
"Mein Großvater hätte es immer schon lieber gesehen, wenn ich für Österreich gespielt hätte", meint der frühere U21-Teamspieler der Schweiz. Die Junioren-Einsätze für die Eidgenossen waren es auch, warum die endgültige Freigabe ein wenig auf sich warten ließ.
"Mit dem dunkelroten Pass ging es relativ schnell, den konnte ich sogar auf der Botschaft in Moskau mitnehmen. Aber die Spielberechtigung der FIFA ist eine zweite Schiene. Ich hatte schon offizielle Spiele für die Schweizer U21 absolviert, also hat es sich verzögert, weil ich einen Nationenwechsel beantragen musste", der sich in diesem Prozess jedoch beim ÖFB und speziell bei Teammanager Mario Margreiter und Sportdirektor Willi Ruttensteiner in guten Händen gefühlt hat:
"Mit beiden hatte ich einen fantastischen Kontakt. Im Fußball ist mittlerweile so viel los, da geht es auch ein bisschen um die Menschen, und das hat mich wirklich überzeugt. Da sind Menschen dahinter, mit denen man zusammenarbeiten möchte. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass alles reibungslos vor sich geht, und dann ist es eigentlich auch ruckzuck gegangen."
Weniger Konkurrenz als in der Schweiz
Von der sportlichen Perspektive her sei das ÖFB-Team eine "interessante Möglichkeit", nicht zuletzt die Leistungen in der EM-Qualifikation hätten ihn von der Qualität überzeugt. Dass die rot-weiß-rote Dichte auf seiner Position als Rechtsverteidiger nicht die allergrößte ist, sei ein Aspekt in seinen Überlegungen gewesen, hätte aber keine Hauptrolle bei der Entscheidungsfindung gespielt:
"Es stimmt, in der Schweiz haben wir eine größere Anzahl an Spielern auf dieser Position, ich glaube aber auf keinen Fall, dass wir hier beim Team schlechter besetzt sind."
"Ich möchte auf keinen Fall jemanden schlecht reden. Es stimmt, in der Schweiz haben wir eine größere Anzahl an Spielern auf dieser Position, ich glaube aber auf keinen Fall, dass wir hier beim Team schlechter besetzt sind. Klar macht man sich Gedanken. Vielleicht wäre es umgekehrt gewesen, wenn Österreich acht Spieler auf dieser Position hat und die Schweiz nur einen. Dann wäre die Entscheidung vielleicht nicht anders ausgefallen, aber man hätte überlegt. Ich würde lügen, wenn man sich den Kader nicht anschaut. Aber als Sportler muss man ehrgeizig sein und sich durchsetzen wollen. Deswegen war es nicht ausschlaggebend."
Mit Valentino Lazaro und Florian Klein fehlen diesmal zwei potenzielle Konkurrenten, Stefan Lainer stand zuletzt gegen Irland erstmals in der Startformation, Stefan Hierländer wurde nachnominiert. Seine Einsatzchancen bewertet Bauer zurückhaltend: "Ich bin erstmals dabei und glaube, es wäre total fehl am Platz, wenn ich irgendwelche Ansprüche stellen würde. Das möchte ich nicht. Wenn der Teamchef mich braucht, werde ich mich natürlich fürs österreichische Shirt zerreißen."
Koller und Lindner als Grasshoppers-Verbindung
Besagter Teamchef trägt einen Namen, der dem 25-Jährigen schon seit seiner Kindheit etwas sagt. Marcel Koller ist bei seinem Ex-Arbeitgeber Grasshoppers eine Legende - sowohl als Spieler als auch als Trainer.
"Ich bin im Stadion gesessen, als er noch auf der Bank war. Da war ich zehn, elf Jahre alt. Er hat einen überragenden Namen, ist der letzte Meistertrainer der Grasshoppers. Das ist auch schon wieder 14 Jahre her, die lechzen bereits nach dem nächsten Meistertitel. Beim Nationalteam lieferte er eine hervorragende Arbeit ab. Deswegen ist es für mich eine sehr gute Erfahrung und große Ehre, unter ihm trainieren und etwas dazulernen zu dürfen", sagt Bauer, der mit Koller schon einige Sätze auf Schweizerdeutsch gewechselt habe: "Aber rein aus Instinkt, sonst reden wir Hochdeutsch miteinander. Er muss keine Sondererklärungen auf Schweizerdeutsch für mich machen."
Über die Grasshoppers kann er sich im ÖFB-Kader logischerweise mit Goalie Heinz Lindner unterhalten: "Ich habe noch Kontakt zu Personen in Zürich, die haben von ihm geschwärmt. Mit Heinz habe ich schon ein paar Sätze mehr gewechselt. Bei den Grasshoppers ist ja auch ein bisschen etwas los, sie haben den Trainer gewechselt. Auch bei der Wohnungssuche kann ich helfen, ich kenne mich ja gut aus."
Kazan widerlegt alle Vorurteile
Selbst übersiedelte Bauer vor rund einem Jahr an eine Destination, die er so selbst nicht auf der Rechnung hatte. "Wenn man hört, dass Kazan mitbietet, schluckt man zuerst einmal", gesteht der Blondschopf.
Zwei, drei Interessenten hätte es im Sommer 2016 nach einer guten Saison bei den Grasshoppers gegeben. Rubin hatte auf seiner Position großen Bedarf. Den Verein habe er etwa von den Erfolgen gegen den FC Barcelona natürlich gekannt, aber geographisch habe er sich erst einmal via Google schlau machen müssen.
"Ich war keine 17 mehr. Mit 25 fragt man sich: Wenn nicht jetzt, wann dann? Also habe ich es mir für 48 Stunden angeschaut und es hat mich total überzeugt. Keines der Vorurteile, die man hat, wurde bestätigt, im Gegenteil. Kazan ist eine unglaublich schöne Stadt."
"Ich war keine 17 mehr. Mit 25 fragt man sich: Wenn nicht jetzt, wann dann? Also habe ich es mir für 48 Stunden angeschaut und es hat mich total überzeugt. Keines der Vorurteile, die man hat, wurde bestätigt, im Gegenteil. Kazan ist eine unglaublich schöne Stadt. Auch vom Team und der Infrastruktur her hat mich das Gesamtpaket unglaublich überzeugt. Ich würde es extrem bereuen, wenn ich es nicht gemacht hätte", sagt Bauer, für den eine Qualifikation für die WM 2018 in Russland natürlich eine umso speziellere Bedeutung hätte.
Als Extramotivation betrachtet er das Event in seiner Wahlheimat jedoch nicht: "Um eine WM zu erreichen, braucht man keine Extramotivation. So lange die Chance da ist, muss man unbedingt daran glauben und alles dafür geben. Aber natürlich wäre es umso schöner, wenn es nächsten Sommer in Russland klappen würde - und noch schöner wäre es in Kazan, wir haben eine fantastische Arena. So etwas kann man eigentlich nur erfinden und sich fast nicht ausmalen."
Der linke Fuß ist nicht nur zum Kuppeln da
Durchaus ausmalen kann man sich, dass Bauer beim ÖFB-Team auf der rechten Seite eingeplant ist, wenngleich er sich auch auf einer rot-weiß-roten Problemposition ins Spiel bringt:
"Ich bin Rechtsfuß, deswegen fühle ich mich auf der rechten Seite sehr wohl. Aber bei den Grasshoppers habe ich auch links in der Viererkette gespielt, als wir 2013 den Cup gewonnen haben, war also Teil einer erfolgreichen Mannschaft. Ich sage immer, der linke Fuß ist nicht nur dazu da, um die Kupplung im Auto durchzudrücken. Taktisch ist es nicht die große Umstellung, da geht es mehr um den Kopf."
Eine taktische Umstellung, die 2017 auch im Nationalteam ein Dauer-Thema ist, hat Bauer bei Rubin vollzogen. Agierte man in der Vorsaison noch mehrheitlich mit einer Viererkette, spielt man derzeit mit einer Dreierabwehr, was ihm eine offensivere Rolle auf der rechten Seite ermöglicht.
Es steht durchaus im Raum, dass auch das ÖFB-Team in Wales wieder auf diese Variante setzt. Wenn man ihm vor drei Monaten die Frage gestellt hätte, wäre seine Antwort gewesen, dass er die Viererkette bevorzugt. Inzwischen hat er sich mit der Dreierkette mehr als nur angefreundet:
"Es kommt immer ein bisschen auf den Spielaufbau an. Wenn sich der Sechser zwischen die beiden Innenverteidiger fallen lässt, kann man die rechte Position auch in einer Viererkette sehr offensiv interpretieren. Jetzt funktioniert es bei Rubin mit dieser Taktik immer besser, am Anfang musste man sich erst zurechtfinden. Aber mir gefällt die Position sehr gut. Es ist sehr laufintensiv, aber man kann sich oft in die Offensive einschalten, was mir sehr liegt."
Kein Lahm-Poster über dem Bett
Offensive Beteiligungen liegen dem Zimmerkollegen von Mattersburg-Goalie Markus Kuster vor allem wegen seiner Vergangenheit als Stürmer. Deswegen orientierte er sich bezüglich Vorbilder in der Jugend auch hauptsächlich an Offensivkräften:
"Mein Vorbild war Zinedine Zidane, ein ganz großer Fußballer, dem habe ich sehr gerne zugeschaut. Als Junge auf der gleichen Position hat mir mit 14, 15 Robinho sehr gut gefallen. Mittlerweile schaut man natürlich Spielern auf der gleichen Position wie Philipp Lahm oder Dani Alves, die das in den letzten Jahren auf höchstem Niveau gespielt haben, auf die Füße."
Allerdings eher aus beruflichem Blickwinkel: "Das heißt nicht, dass ich ein Poster von Philipp Lahm über dem Bett hängen habe. Er ist von seiner Spielart her ein Vorbild, aber nicht unbedingt als Fan mit Postern oder Leibchen."