Man stelle sich vor: Österreich hat eine sehr realistische Chance auf eine EM-Teilnahme und kaum jemanden interessiert's.
Dies mag übertrieben sein, bislang 22.000 verkaufte Tickets für das Heimspiel gegen Israel sind nicht nichts, aber angesichts der sportlichen Bedeutung dieser Partie natürlich eine maßlose Enttäuschung.
Zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht droht dem ÖFB am Donnerstag also eine Niederlage, hoffentlich bleibt es die einzige.
Die Ursachenforschung, warum eine größere Masse an Zuschauern die kalte Schulter zeigt, ist mit mal mehr und mal weniger schlagkräftigen Argumenten in vollem Gange. Den einen Hauptgrund gibt es vermutlich tatsächlich nicht.
Als Fakt, auf den man sich womöglich einigen kann, bleibt nach dem aktuellen Stand der Dinge also vorerst stehen: Momentan springt der Funke auf viele ÖFB-Fans nicht wie von allen Beteiligten erhofft über.
Das Bündel an möglichen Gründen
"Es wird für die derzeitige Situation nicht nur den einen Grund geben. Wir haben dieses Thema in den letzten Tagen und Wochen intensiv diskutiert. Für uns ist es ein Bündel an Gründen, wo wir auch noch ein wenig im Dunkeln tappen, wie da die Gewichtung ausschaut", erklärt Bernhard Neuhold, Geschäftsführer der ÖFB-Wirtschaftsbetriebe GmbH, im Gespräch mit LAOLA1.
Die gängigsten Argumente: "Wir reden vom Donnerstags-Termin, wir reden von 20:45 Uhr, wir reden von der beginnenden kalten Jahreszeit, wir sprechen über die Infrastruktur, wir haben das mögliche Übersättigungs-Thema, wir reflektieren natürlich auch unsere Preise - wir wollen es uns auch nicht zu leicht machen. Es sind wahrscheinlich fünf, sechs, sieben Gründe, die mitreinspielen."
Alles Motive, die jeweils vermutlich der eine oder andere Anhänger ins Treffen führt, warum er diesmal nicht ins Prater-Oval pilgert. Andererseits kann man Argumenten wie diesen, die in den vergangenen Tagen immer wieder aus verschiedenen Mündern zu hören war, auch einiges entgegegenhalten.
Der späte Ankick an einem Wochentag mag unglücklich sein. Wäre es im europäischen Fußball jedoch denkunmöglich, Stadien bei wichtigen Spielen auch unter der Woche um diese Uhrzeit zu füllen, würde es beispielsweise das Produkt Champions League so nicht geben - und die Königsklasse findet auch in der kälteren Jahreszeit statt.
Das Argument "Übersättigungseffekt"
Dass die Infrastruktur im Happel-Stadion nicht ideal ist, ist klar. Aber das war sie schon vor einigen Jahren nicht, als man sich noch leichter tat, das Stadion zu füllen - bei ähnlichen Ticket-Preisen.
Mit dem "Übersättigungs-Thema" ist folgendes Argument von ÖFB-Präsident Leo Windtner gemeint: "Es hat im österreichischen Fußball seit langem keine Phase gegeben, in der man Topfußball via Vereine quasi ins Haus geliefert bekommen hat - und zwar permanent. Das ist hocherfreulich, daran gibt es keinen Zweifel. Aber das heißt, ein gewisser Übersättigungseffekt ist hier einfach da, weil einmal Liverpool, einmal Sporting Lissabon und einmal Gladbach jeweils gegen eine österreichische Mannschaft geliefert wird. Das muss man ganz nüchtern so sehen, so erfreulich es ist."
Mal abgesehen davon, dass Fußball-Wien derzeit kaum von Europacup-Spielen übersättigt sein kann, könnte man dem entgegenhalten, dass die Auftritte von Red Bull Salzburg, LASK und WAC in Wahrheit viel mehr einer allgemeinen Fußball-Euphorie zuträglich sein sollten, von der auch das Nationalteam profitiert.
So viel hat Fußball-Österreich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Weltfußball auch nicht gewonnen, dass der Hunger bereits gestillt sein könnte. Und Windtner selbst spricht vom Nationalteam nicht von ungefähr als dem "Flaggschiff von Fußball-Österreich".
"Ich finde es auf jeden Fall sensationell, wie sich die Klubs präsentieren. Es ist für den gesamtösterreichischen Fußball extrem positiv, dass drei Vereine in der Gruppenphase von Champions League und Europa League sind", meint Neuhold.
Fehlende Begeisterung und Euphorie im Vergleich zu 2015
Der ÖFB tut vermutlich auch gut daran, über die Gründe im eigenen Einflussbereich nachzudenken.
"Zum damaligen Zeitpunkt war es komplett wurscht, wann die Kickoff-Zeiten waren und an welchen Tagen gespielt wurde, weil einfach so eine Begeisterung und so eine Euphorie entfacht war, dass die Leute unbedingt dabei sein wollten. Das vermisse ich aktuell noch."
"Was uns grundsätzlich stutzig macht, ist, dass wir vor vier Jahren in einer ähnlichen Situation waren und die letzten beiden Heimspiele gegen Moldawien und Liechtenstein bestritten haben - sprich Gegner, die definitiv auch keine Ticketseller waren. Aber aufgrund der sportlichen Situation hatten wir zwei Mal ein ausverkauftes Haus, obwohl - um zumindest dieses Argument zu entkräften - die Preise in Wahrheit ident waren", meint Neuhold.
In Erinnerung an die Qualifikation für die EURO 2016 meint er gleichzeitig: "Zum damaligen Zeitpunkt war es komplett wurscht, wann die Kickoff-Zeiten waren und an welchen Tagen gespielt wurde, weil einfach so eine Begeisterung und so eine Euphorie entfacht war, dass die Leute unbedingt dabei sein wollten. Das vermisse ich aktuell noch. Ich kann nur hoffen, dass wir diese Woche sportlich erfolgreich sind und vielleicht diese Euphorie vorausblickend auf Nordmazedonien entsteht, wo wir uns hoffentlich in einem Entscheidungsspiel qualifizieren können und der Fan bei diesem Event dabei sein möchte."
Begeisterung und Euphorie, dass die Leute unbedingt dabei sein wollten - dies ist wohl ein Schlüsselgedanke in der aktuellen Fan-Debatte. Dies ist momentan nicht einmal annähernd auszumachen.
Wie viel hat der März-Lehrgang zerstört?
Muss es auch nicht am damaligen Level. Das ÖFB-Team surfte mit neun Siegen und einem Remis auf der Erfolgswelle durch die Qualifikation für die EURO 2016. Diese Ergebnisse für alle Ewigkeit als Maßstab für Österreichs Nationalteam heranzuziehen, wäre nicht fair.
Teamchef Franco Foda zieht schon seit Tagen wie ein Wanderprediger durchs Land und sagt in jedes Mikrofon, dass sich die gegenwärtige Truppe nach den jüngst gezeigten Leistungen mehr Fan-Zuspruch verdient hätte. Dagegen kann man nach den gelungenen Lehrgängen im Juni und September wenig einwenden.
Hat also doch der verkorkste März-Lehrgang mit den Pleiten gegen Polen und in Israel mehr zerstört, als mancherorts erwartet? Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch schon ein länger andauernder Prozess.
Da sich die Publikums-Thematik inzwischen schon länger durch das Länderspiel-Jahr zieht, lohnt sich an dieser Stelle ein Blick zurück auf den "Stimmungs-Boykott" einiger Fanklubs in der ersten Halbzeit des Juni-Heimspiels gegen Slowenien in Klagenfurt.
Fehlende Bindung zwischen Mannschaft und Fans?
Dieser wurde in der öffentlichen Diskussion damals möglicherweise einerseits zu sehr dem kapitalen Fehlstart in die EM-Qualifikation zugeschrieben und andererseits zu sehr über die Standort- und Ticket-Preis-Frage diskutiert.
Denn in der ausführlichen Begründung für diese Maßnahme wurden auch andere interessante Punkte angeführt - das eine oder andere Beispiel:
"Das Ausscheiden bei der EM 2016 und das Scheitern der WM-Qualifikation hat viele Fans (vor allem Erfolgsfans, aber auch die braucht man) vergrault. Die Vorgehensweise mit unserem Erfolgstrainer Marcel Koller trug ihres bei. Die überteuerten Kartenpreise verjagten schlussendlich die letzten Stammfans. Heute finden wir nur noch Leute im Stadion vor, die zum ersten Mal ein Spiel besuchen. In die C/D Kurve kommt man nur in letzter Instanz und wegen den billigeren Kartenpreisen. Der zweite Rang sitzt geschlossen und man wird mit Beschwerden über Fahnen, Tonanlage, etc. überhäuft. Leider hat die Mannschaft und der ÖFB binnen 2-3 Jahre sehr viel zerstört, was wir uns zuvor mühsam aufgebaut haben."
"Selten kommt ein Dank oder lobende Worte speziell an uns Fanklubs gerichtet. Nähe zu Spielern und Trainer wird gänzlich vermisst. Nun lässt auch die Leistung mancher Spieler zu wünschen übrig. Viele kommen nur noch arrogant und überheblich rüber. Stolz für rot-weiß-rot auflaufen zu dürfen, wird komplett vermisst. Es gehört dringend etwas geändert, denn man sollte das Trikot mit dem Bundesadler auf der Brust verdient haben und nicht nur bekommen, weil man schon seit sechs Jahren einberufen wird und zum ‚Stamm‘ zählt."
Sicherlich muss man manchen Vorwurf im damaligen Kontext sehen, aber wenn sich in die "üblichen" Beschwerden beispielsweise Zwischentöne bezüglich fehlender Bindung zwischen Mannschaft und Fans mischen, sollten insofern alle ÖFB-Alarmglocken schrillen, da dies nichts ist, an dem man nicht arbeiten kann.
Manche haben vielleicht noch in Erinnerung, wie intensiv Ex-Teamchef Marcel Koller - teils auch nur mit kleinen Gesten - von Beginn seiner Ära an das "zarte Pflänzchen", sprich die Bindung zwischen Fans und Spielern, goss. Darüber, wie intensiv derzeit daran gearbeitet wird, lässt sich streiten.
Neuhold: "Im internationalen Vergleich nicht teuer"
"Es hat Gespräche mit Fan-Vertretern gegeben, den Dialog mit den Fans gibt es ständig", verweist Neuhold darauf, dass man sich die damalige Kritik beim ÖFB durchaus zu Herzen genommen habe.
"Es hat eine Reflexion der Preis-Politik gegeben. Im internationalen Vergleich sind wir mit Sicherheit nicht teuer."
Dies betrifft auch die Eintrittspreise. Sollte sich ein Kunde entschieden haben, das Produkt Nationalteam konsumieren zu wollen, ist das liebe Geld am Ende wohl das dringlichste Motiv für oder gegen einen Kauf.
"Es hat eine Reflexion der Preis-Politik gegeben", betont Neuhold, "wir haben bei den Spielen in Salzburg und Klagenfurt die Preise ein Stück weit tiefer angesetzt und haben jetzt - im Unterschied zu vielen anderen Nationen - keine starren Preise in den drei Kategorien, sondern unterteilen in Vollpreis, Ermäßigte und Kinderkarten. Im internationalen Vergleich sind wir mit Sicherheit nicht teuer."
Als Vollpreiszahler ist man gegen Israel mit Kartenpreisen zwischen 32 und 64 Euro mit dabei, pro Kind zahlt man ab 10 Euro aufwärts, die billigste ermäßigte Karte kostet 26 Euro - je billiger die Karte, desto schlechter die Sicht, was gerade im Happel-Stadion ein Faktor ist.
Erfolge sind das beste Marketing
Man kann dem ÖFB zumindest nicht vorwerfen, dass er nicht einiges unternommen hätte, um für die Partie zu trommeln.
"Im Gegensatz zur Vergangenheit haben wir gerade für das Lettland-Spiel in Salzburg sowie für die Oktober- und November-Spiele in Wien im Bereich Kommunikation und Marketing wesentlich mehr Maßnamen getroffen, haben Geld im Marketing investiert, um die Zuschauer wirklich auf diese wichtigen Spiele aufmerksam zu machen. Es kann zumindest nicht daran liegen, dass die Leute nicht Bescheid wissen, dass diese Spiele statfinden", unterstreicht Neuhold.
Das enttäuschte Fazit: "Aber letztendlich muss man Stand heute konstatieren, dass es für das Israel-Spiel beim Fan offensichtlich nicht angekommen ist."
Letztendlich sind und bleiben wohl Erfolge der Mannschaft das beste Nationalteam-Marketing - und dafür gab es, kombiniert mit den diversen Neben-Themen, seit der historischen Qualifikation für die EM 2016 offenkundig zu wenige oder zumindest zu wenig konstante, um eine Euphorie auszulösen.
Der Ballungsraum Wien
Oder zumindest in Wien und Umgebung genügend Motivation, um aktiv an der Entstehung einer Euphorie, die eine geglückte EM-Qualifikation fraglos zur Folge hätte, teilzuhaben.
Neuhold: "Immer dann, wenn wir nicht im Happel-Stadion gespielt haben, hat es die Forderung gegeben: Länderspiele nur im Happel-Stadion! Für mich ist es grundsätzlich schwer nachvollziehbar, dass es in einer Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt wie Wien mit diesem großen Ballungsraum nach Niederösterreich, Burgenland oder sogar Oberösterreich nicht möglich ist, für so ein wichtiges Spiel nicht zumindest 40.000 Leute ins Stadion zu bekommen."
Dies würde umgehend zum Thema Nationalstadion - und somit für den Showdown gegen Israel zu weit - führen...