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Stagnation? Baumgartlinger ortet Findungsprozess

Gar nicht, meint Kapitän Baumgartlinger. Er nennt die Gründe für die Probleme:

Stagnation? Baumgartlinger ortet Findungsprozess Foto: © GEPA

Österreichs Nationalteam ist doch noch nicht so weit, wie man das - wahrscheinlich auch intern - geglaubt hat.

Mit diesem Urteil lehnt man sich nach den bisherigen Eindrücken des Länderspiel-Herbsts, in dem das klar formulierte Ziel Gruppensieg in der Nations League letztlich klar verpasst wurde, wohl nicht zu weit aus dem Fenster.

Nach dem 0:0 gegen Bosnien-Herzegowina ist nun Ursachenforschung angesagt. Intensiv betreibt selbige Kapitän Julian Baumgartlinger.

Er findet: "Man merkt einfach, dass doch noch ein Findungsprozess da ist."

Gruppe hat sich noch nicht so gefunden

Der Begriff Findungsprozess passt auf den ersten Blick nicht zum viel zitierten qualitativ hochwertigen Kader und somit zu sämtlichen Spielern, denen Teamchef Franco Foda öffentlich so gerne vertraut.

Und schon gar nicht passt er zum Beginn der Amtszeit des Deutschen, als man - allerdings in Testspielen - von Sieg zu Sieg eilte und glaubte, das Tief der letzten WM-Qualifikation hinter sich gelassen zu haben. Die Erwartungen sind jedenfalls entsprechend gestiegen.

"Wir haben im Juni eine ziemlich erfolgreiche erste Sequenz abgeschlossen, in der wir wirklich fast ans Optimum gekommen sind. Man darf aber auch nicht vergessen, dass zu dieser Zeit fast immer alle Spieler fit und auch präsent waren. Das war in diesem Herbst direkt anders", betont Baumgartlinger und ist mit den wegen einer Knieverletzung verpassten Lehrgängen im September und Oktober selbst ein gutes Beispiel.

"Da merkt man dann, dass sich einfach eine Gruppe noch nicht so im Gros gefunden hat, dass man das sofort wegstecken kann und sofort wieder dort ansetzen kann, wo man aufgehört hat", so der Leverkusen-Legionär weiter.

Erst die Pflichtspiele trennen die Spreu vom Weizen

"Nein, Stagnation ist es keine. Es ist eine Gruppe, die noch nicht zu 100 Prozent aufeinander abgestimmt ist, in der die Automatismen noch nicht da sind. Das soll nicht negativ klingen, ganz im Gegenteil. Es ist einfach ein Prozess und den kann man erst so richtig in diesen Bewerbsspielen weiterentwickeln."

Julian Baumgartlinger

Den Begriff "Stagnation" lässt Baumgartlinger jedoch nicht gelten: "Nein, Stagnation ist es keine. Es ist eben eine Gruppe, die noch nicht zu 100 Prozent aufeinander abgestimmt ist, in der die Automatismen noch nicht da sind. Das soll nicht negativ klingen, ganz im Gegenteil. Es ist einfach ein Prozess und den kann man erst so richtig in diesen Bewerbsspielen weiterentwickeln. So gut und so wichtig die Freundschaftsspiele waren, aber gerade diese Pflichtspiele trennen noch einmal die Spreu vom Weizen und zeigen, wenn es wirklich um etwas geht, wenn wirklich ein Hexenkessel da ist, wenn es um Punkte geht, wenn es darum geht, das Spiel gegen Widerstände und Drucksituationen durchzuziehen, dass man noch gefestigter sein muss. Dieser Weg ist noch nicht abgeschlossen."

In diesem Prozess gilt es diverse Komponenten zu bedenken. Einerseits die Erfahrung. Während der übriggebliebene Kern der Erfolgself von Marcel Koller wie Baumgartlinger selbst, Marko Arnautovic, David Alaba, Aleksandar Dragovic, Martin Hinteregger oder der diesmal verletzte Sebastian Prödl über reichlich Pflichtspiel-Erfahrung im Nationalteam verfügt, tun dies andere Protagonisten nicht.

Bei allen guten Vereinsleistungen mussten Spieler wie Alessandro Schöpf, Valentino Lazaro, Stefan Lainer, Peter Zulj, Florian Kainz, Michael Gregoritsch oder der diesmal verletzte Florian Grillitsch vor dieser Nations League noch kaum ÖFB-Verantwortung in Pflichtspielen tragen. Auch ihre Vorgänger um Martin Harnik oder Zlatko Junuzovic mussten erst schrittweise in diese Rolle schlüpfen. Nicht jeder ist ein Xaver Schlager, der kommt, sieht und nicht zu viel nachdenkt.

Fluch und Segen der Flexibilität

Dazu kommt die unter Foda ausgerufene Flexibilität, die fraglos viele Vorteile mit sich bringt, aber durchaus auch den Nachteil, dass bisweilen nicht auf Anhieb ein Rädchen ins andere greift.

"Gerade wenn man taktisch flexibel sein will, dauert es eine Spur länger, als wenn man sein flaches 4-4-2 permanent eineinhalb Jahre durchzieht", verdeutlicht Baumgartlinger, "es ist eine große Stärke, einen flexiblen Kader und viele variable Spieler zu haben. Trotzdem muss der Prozess dann sein, dass trotz der Flexibilität auch Stabilität da ist."

"'Schöpfi' hatte die Aufgabe, immer wieder ins Zentrum zu kommen. Das ist zwar flexibel, aber wir sollten auch hundertprozentig wissen, wann er in die Mitte kommt und wann er breit bleibt. 'Kainzi' ist ein ähnlicher Fall: Wann bleibt er auf der Zehn? Wann bleibt er vorne tief, um die Ketten zu binden?"

Julian Baumgartlinger

Beides könne laut Meinung des 30-Jährigen einhergehen. Jedoch lieferte gerade das Bosnien-Spiel zumindest zwei gute Beispiele, welche Gefahren diese Herangehensweise in punkto Automatismen mit sich bringt. Schöpf auf links und Kainz im Zentrum agierten auf weitestgehend ungeprobten Positionen. Nicht nur das Duo tat sich schwer, sondern auch ihre Mitspieler damit, die beiden richtig in Szene zu setzen.

"'Schöpfi' hatte die Aufgabe, immer wieder ins Zentrum zu kommen. Das ist zwar flexibel, aber wir sollten auch hundertprozentig wissen, wann er in die Mitte kommt und wann er breit bleibt. 'Kainzi' ist ein ähnlicher Fall: Wann bleibt er auf der Zehn? Wann bleibt er vorne tief, um die Ketten zu binden? Das sind alles Sachen, die erst über mehrere Pflichtspiele besser funktionieren können", erläutert Baumgartlinger.

Wie viel Zeit braucht dieser Prozess?

Zur Erinnerung: Koller setzte lange Zeit darauf, ein 4-2-3-1-System plus seine Spielphilosophie bis nahe an die Perfektion einzustudieren, am liebsten mit dem zumeist identen Personal. Das brachte den Vorteil mit sich, dass man sich beinahe blind verstand, mit der Zeit jedoch auch den Nachteil, dass man leichter ausrechenbar wurde.

Nun ist ein neuer Prozess im Gange. Die Frage aller Fragen nach den bestenfalls durchschnittlichen Auftritten in der Nations League lautet: Wie viel Zeit wird selbiger benötigen? Vor allem mit dem Wissen, dass 2019 je nach Auslosung für die EM-Quaifikation nur noch Pflichtspiele anstehen dürften und somit keine Tests, in denen man etwas probieren kann, zur Verfügung stehen.

"Vielleicht dauert es einen Quali-Zyklus", meint Baumgartlinger, der die generelle Ausgangsposition jedoch optimistisch betrachtet: "Wir sind damals in der ersten WM-Quaifikation unter Koller, in der wir schon sehr viele positive Ansätze hatten, knapp gescheitert. Das heißt nicht, dass wir jetzt wieder scheitern, ganz im Gegenteil. Ich bin der Meinung, dass wir weiter sind - und daran hat diese Nations League einen großen Anteil, auch darum erwähne ich diesen Bewerb immer wieder positiv."

Die Begründung des gebürtigen Salzburgers: "Ich finde, dass uns die Nations League jetzt schon in der Vorbereitung auf die Qualifikation hilft. Wir sind jetzt im zweiten Topf, das haben wir fixiert und damit eine gute Ausgangsposition geschaffen. In den Pflichtspielen, die nächstes Jahr reihenweise daherkommen, müssen wir aber einfach weiter wachsen. Die Basis ist schon da."

Mehr Hirnschmalz fürs Nationalteam abseits der Lehrgänge

"Vielleicht müssen wir Spieler individuell abseits der Lehrgänge mehr ans Team denken - in theoretischer, taktischer oder Analyse-Hinsicht. Die Möglichkeiten sind da. Imre Szabics macht etwa eine sehr gute Video-Analyse."

Julian Baumgartlinger

Gerade der laufende Lehrgang ist eine gute Übung dafür, mit denkbar wenigen Trainings im Donnerstag-Sonntag-Rhythmus antreten zu müssen. Zeit für gemeinsame Entwicklung in den Übungseinheiten bleibt dabei kaum.

Baumgartlinger regt an, auf diese immer knapper bemessene Zeit zu reagieren und auch abseits der Lehrgänge dem Nationalteam mehr Zeit und Hirnschmalz zu schenken:

"Was der Teamchef extrem akribisch macht, ist, dass er uns Spieler beobachtet, besucht und sich mit uns nach den Spielen bei den Vereinen austauscht. Das Trainerteam ist über die Form der einzelnen Spieler sehr gut im Bilde. Vielleicht muss man dann einfach sagen, wir Spieler müssen individuell abseits der Lehrgänge mehr ans Team denken - in theoretischer, taktischer oder Analyse-Hinsicht. Die Möglichkeiten sind da. Imre Szabics macht etwa eine sehr gute Video-Analyse."

Die richtigen Lehren

Gut vorbereitet sei man trotz der kurzen Zeit auch auf das Bosnien-Spiel "auf jeden Fall" gewesen. Alleine im Spiel nach vorne wollte gerade vor der Pause nur wenig gelingen, was auch daran lag, dass Bosniens Teamchef Robert Prosinecki im Vorfeld ebenfalls nicht auf der faulen Haut gelegen sein dürfte. Anders als im ÖFB-Team erwartet, agierte der Gegner alles andere als abwartend.

"Das spürt man auch auf dem Platz, wenn man etwas machen will, was man dann aber nicht umsetzen kann. Man geht ins Spiel und denkt sich, diese Räume wollen wir bespielen, und findet dann einen Gegner vor, der uns hoch anläuft und permanent unter Druck setzen will. Bosnien hat uns definitiv gut analysiert, wusste, was unsere Stärken sind und hat sich gut darauf eingestellt."

Nachsatz: "Aber da sind wir in der Pflicht, wenn es eng wird und der Gegner uns fordert, dass wir dann nach wie vor dominant agieren."

Dieses Manko bekam das Nationalteam von Bosnien definitiv aufgezeigt. Vielleicht zur rechten Zeit, um im Hinblick auf die EM-Qualifikation die richtigen Lehren zu ziehen. Denn: Auch wenn man aktuell noch nicht so weit zu sein scheint, wie man glaubte, besteht durchaus das Potenzial, rechtzeitig (wieder) dorthin zu kommen.

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