Ein paar "Zauberer" weniger und stattdessen mehr "Worker" würde sich Julian Nagelsmann - mit einem etwas neidischen Blick auf das ÖFB-Team - in seinem Kader wünschen. Das ließ der deutsche Bundestrainer nach der Testspiel-Niederlage seiner Mannschaft in Wien am Dienstag (Spielbericht>>>) durchblicken.
Ob es Ralf Rangnick, der über zuhauf "Worker", dafür weniger "Zauberer", in seinem rot-weiß-roten Kader verfügt, genau umgekehrt geht?
Auf keinen Fall, betont der Deutsche. Denn: "Ich liebe meine Jungs, ich liebe diese Mannschaft, weil sie genau so ist, wie sie ist, weil sie genau richtig ist."
Das große Aber
Der nicht unwichtige Nachsatz lautet allerdings: "Aber ich muss es nochmal betonen: Es dürfen nicht allzu viele ausfallen."
Rangnick führt hierbei das Beispiel des vergangenen Oktober-Lehrgangs an, als in den entscheidenden EM-Quali-Spielen gegen Belgien und Aserbaidschan neun Spieler mit Stammspielerpotenzial verletzt fehlten und dem ÖFB-Team diese Ausfälle anzumerken waren.
Im aktuellen Lehrgang feierten die allermeisten dieser Spieler ihr Comeback. Bis auf Gernot Trauner und Patrick Wimmer, die von Rangnick explizit als schmerzhafte Ausfülle angeführt werden, waren diesmal alle Spieler (zumindest halbwegs) fit.
"Wenn wir alle an Bord haben, ist mir nicht bange. Dann haben wir genug Alternativen, um zu wechseln", blickt der Teamchef bereits auf die mittlerweile keine sieben Monate mehr entfernte EURO 2024.
Und für genau dieses Großereignis war das Spiel im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion die perfekte Generalprobe.
"Wunderschöner Abschluss dieses Fußballjahres"
Mit Deutschland war am Dienstagabend ein Gegner in Wien auf Besuch, der zum einen eines der möglichen Lose Österreichs bei der Gruppenauslosung am 2. Dezember sein wird, und der zum anderen zu der Elite an Nationen gehört, mit denen das ÖFB-Team nach Rangnicks Ansprüchen mithalten können muss.
Letztere Zielsetzung konnte mehr als eingehalten werden. Eine Genugtuung war der Sieg über seine Landsmänner für den 65-Jährigen ausschließlich aus diesem Grund, und nicht deshalb, weil er gegen sein Heimatland gelang. Das ist Rangnick an diesem Abend wichtig zu betonen.
"Ich freue mich vor allem, dass wir zu null gespielt haben und dass wir das Spiel zu jeder Phase wirklich unter Kontrolle hatten. Wir wollten mutig spielen, wollten Spielfreude zeigen, wollten nach Balleroberungen schnell umschalten. Deswegen war es ein wunderschöner Abschluss dieses Fußballjahres", strahlt Rangnick, der vom besten Spiel seiner ÖFB-Ära spricht.
Und es war auch ein erster Indikator dafür, in welche Richtung die EURO 2024 für Österreich laufen könnte.
"...dann können wir jeden Gegner schlagen"
"Wenn wir gegen den Ball so wie heute spielen, ist es nicht so einfach, gegen uns zu spielen. Wenn wir das, was wir heute gezeigt haben, tatsächlich jedes Spiel auf den Platz bringen, wird mir bei der EURO, egal, wen wir zugelost bekommen, nicht bange", so Rangnick, der für die Auslosung keine Wunschgegner nennen will.
Der Grund: "Wenn wir weiterkommen wollen, und das ist das klare Ziel, das wir haben, müssen wir es sowieso nehmen, wie es kommt, und auch gegen jeden Gegner in der Lage sein zu gewinnen."
Überhaupt ist sich der selbstbewusste "Fußball-Professor" sicher: "Wenn wir alle Mann an Bord haben und wir auf dem gleichen Niveau wie heute gegen den Ball spielen, was die Energie angeht, können wir jeden Gegner schlagen."
Elf Freunde müsst ihr sein
Diese rot-weiß-rote Energie war am Dienstag bis in die letzte Reihe des Happel-Ovals spürbar; nur selten wurde der Red-Bull-geprägte Pressingfußball in dieser Geschlossenheit und Intensität in einem österreichischen Stadion ausgeübt.
"In dieser Mannschaft steckt unheimlich viel Energie. Auch wenn es etwas abgedroschen klingt: Sie spielen wie Freunde und verhalten sich auch im Lehrgang so. Man hat heute gespürt, dass hier ein richtig verschworener Haufen zusammengespielt hat. Das war heute ein Sieg einer echten Mannschaft. Wir haben auf jeder Position maximale Energie in das Spiel investiert", zieht Rangnick den Hut vor seiner laufstarken Truppe.
Außerdem verrät der Deutsche, dass diese Energie nicht ausschließlich ins Spiel investiert wurde: "Es gibt nicht so viele Nationalmannschaften, die nach so einem Spiel wie heute so eine Atmosphäre in der Kabine kreieren."
Der gelernte österreichische Fußballfan weiß, dass so viele Euphorie sich manchmal auch kontraproduktiv auf die Teamleistung auswirken kann. Negativbeispiele dafür gibt es in der jüngeren rot-weiß-roten Fußballgeschichte genug.
"Das rot-weiß-rote Ballett sind wir nicht"
"Ich kenne die Jungs mittlerweile schon sehr gut. Da ist keiner dabei, der anfängt zu glauben, wir sind Real Madrid als Nationalmannschaft. Das rot-weiß-rote Ballett sind wir nicht."
Doch Rangnick wäre nicht Rangnick, würde er diesbezügliche Bedenken nicht sofort wegwischen. "Grundsätzlich ist gegen eine gute Grundstimmung und Identifikation mit der Mannschaft überhaupt nichts einzuwenden", sagt er.
Und ist sich sicher, dass seiner Mannschaft dieser Erfolgslauf nicht zu Kopf steigen wird: "Ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Die Jungs sind viel zu intelligent und bodenständig. Sie wissen, dass uns das nicht vom Himmel in den Schoß gefallen ist, sondern dass da sehr viel Energie drinnen steckt, sehr viel Engagement. Wir wissen ganz genau, dass wir dieses Level brauchen, um Spiele zu gewinnen."
Spiele in der Vergangenheit, die "zach" waren, wie es der mittlerweile im Österreichischen geübte Rangnick ausdrückt, habe sein Team stets mithilfe der für solche Partien notwendigen Einstellung und Mentalität und nicht über den "Zauberfußball" für sich entscheiden können.
"Ich kenne die Jungs mittlerweile schon sehr gut. Da ist keiner dabei, der anfängt zu glauben, wir sind Real Madrid als Nationalmannschaft. Das rot-weiß-rote Ballett sind wir nicht", schließt Rangnick den Kreis zur Liebeserklärung an seine Mannschaft.
Es sind nämlich die rot-weiß-roten "Worker", um bei Nagelsmanns Ausdruck zu bleiben, die das ÖFB-Team momentan so besonders machen. Zaubern dürfen gerne die anderen.