Maximilian Wöber wohnt in einem Vorort von Leeds - im Vergleich ungefähr wie Baden zu Wien.
"Es ist sehr ruhig, es leben viele Pensionisten dort", grinst der 25-Jährige. Ruhe, die er beruflich gerade ganz und gar nicht vorfindet.
Denn auf die Frage, was er seit seinem Wechsel Anfang Jänner zu Leeds United vor allem dazugelernt habe, fällt ihm auf Anhieb ein Wort ein: "Abstiegskampf."
Solch ein wilder Fight um den Klassenerhalt, wie ihn die Premier League derzeit erlebt, ist auch alles andere als alltäglich.
Zwischen Platz zwölf und dem Schlusslicht liegen neun Mannschaften binnen vier Punkten. Leeds sprang am Wochenende mit einem Sieg bei Wolverhampton vom 19. auf den 14. Rang - der ganz normale Wahnsinn im sportlichen Überlebenskampf.
Ein anderes Gefühl als mit Salzburg
"So etwas habe ich in meiner Karriere bislang auch noch nicht erlebt. Es ist schon ein anderes Gefühl, als wenn man mit Salzburg immer als Nummer eins auf den Platz geht und sich eigentlich sicher ist, dass man drei Punkte holt, wenn alles normal läuft und man eine gute Leistung zeigt", gesteht Wöber.
Unlängst habe man gegen Brighton eine gute Leistung gezeigt, nach dem 2:2 gegen den Tabellen-Siebenten sei man jedoch trotz des Punktgewinns gleich um zwei Plätze und unter den roten Strich abgerutscht.
"Man merkt am Feld, dass es wie um Leben und Tod geht - jeder Zweikampf wird mit 100 Prozent und ohne Rücksicht auf Verluste geführt. Das ist etwas Neues, das kannte ich so bis jetzt noch nicht."
"Es ist wirklich jede Partie eine Kampfpartie. Man merkt auch im Stadion und in der Mannschaft, dass mehr Druck da ist", berichtet der Wiener.
Gerade in den Duellen mit direkten Konkurrenten würde man merken, dass es um irrsinnig viel geht: "Jeder Punkt und jeder Sieg kann entscheidend sein. Man merkt am Feld, dass es wie um Leben und Tod geht - jeder Zweikampf wird mit 100 Prozent und ohne Rücksicht auf Verluste geführt. Das ist etwas Neues, das kannte ich so bis jetzt noch nicht."
Diese Spannung muss nicht sein
Dabei ist Wöber nicht nur Bundesliga-Fußball gewohnt, sondern stand in seiner Karriere auch schon in Diensten von Ajax Amsterdam und dem FC Sevilla, mit Salzburg sammelte er reichlich Champions-League-Erfahrung.
Ob die aktuelle Situation in gewisser Weise sogar spannender sei als etwa das Abo auf den Meistertitel mit Salzburg?
"Mir wäre lieber, wenn wir Siebenter oder Achter wären und nichts mit dem Abstiegskampf zu tun hätten. Aber es ist natürlich eine Erfahrung, bei der man einiges dazulernen und auch als Mannschaft wachsen kann. Die kommenden Wochen werden sicher interessant", vermutet Wöber.
Klare Marschrichtung im Verein sei, trotz der brenzligen Situation die Ruhe zu bewahren und an die eigenen Qualitäten zu glauben: "Wir wollen Spiel für Spiel unser Selbstbewusstsein zurückbekommen und nicht zu viel auf die Tabelle schauen, weil das einen doch verunsichern könnte."
Marsch war ein Mitgrund für den Transfer
Zum Mittel des Trainerwechsels griff man ohnehin schon im Februar. Anfang des Monats musste Jesse Marsch gehen, zweieinhalb Wochen später heuerte Nachfolger Javi Gracia an.
Es ist kein Geheimnis, dass Marsch angesichts der gemeinsamen Zeit in Salzburg ein Mitgrund für Wöbers Wechsel nach Leeds gewesen ist.
"Natürlich war er ein großer Grund, diesen Transfer zu machen, weil ich einfach wusste, wie Jesse Fußball spielen möchte, welche Philosophie er hat und auch wie er über mich denkt", sagt Wöber, stellt jedoch gleichzeitig klar, dass dies eben die Mechanismen des Fußballgeschäfts seien.
Seine Aufgabe sei es, am Platz zu performen: "Das ist bei jedem Trainer gleich. Wenn man gute Leistungen zeigt, wird man dafür belohnt und wieder in die Startelf nominiert. Von meiner Spielzeit her hat sich nicht viel verändert. Ich habe mir mit guten Leistungen unter Jesse diesen Platz erkämpft und mich auch beim neuen Trainer mit guten Leistungen in die erste Elf gespielt."
Ein anderer Ansatz als unter Marsch
Wöber ist auch unter Gracia Stammspieler, wenngleich sich dessen Herangehensweise durchaus von jener Marschs unterscheiden würde:
"Er ist eine andere Persönlichkeit. Jesse ist immer sehr emotional und eng bei der Mannschaft. Der neue Trainer ist sehr ruhig, probiert klar und sachlich zu sein und hat auch ein bisschen einen anderen Ansatz von Fußball. Wir pressen nicht immer, sondern ziehen uns auch einmal zurück, um kompakter in der eigenen Hälfte zu verteidigen."
"Außerdem ist in der Premier League die Qualität der Stürmer bei jeder Mannschaft so hoch, dass man sich keinen Fehler erlauben kann. Sonst scheppert's."
Zuletzt ging es ergebnistechnisch wieder aufwärts. Für ihn als Verteidiger würde sich angesichts der Spielphilosophie schon etwas ändern, die Grundtugend bliebe jedoch gleich.
"Für mich gilt dasselbe - meine Duelle gewinnen, den Stürmern in den Arsch treten und schauen, dass wir kein Tor kriegen", grinst Wöber und konkretisiert:
"Natürlich ist es als Innenverteidiger intensiver, wenn man das ganze Spiel über hoch presst, weil man einfach viel nach vorne verteidigt und im Rücken der Außenverteidiger absichern muss. Wenn dann einmal Bälle über die Kette kommen, hat man auch viel mehr Meter nach hinten."
"Sonst scheppert's"
Wenn man wie aktuell tiefer steht, stünde im Vordergrund, jeden Ball, der in die Box kommt, zu klären:
"Du musst jede Sekunde fokussiert sein, weil die Bälle aus teilweise 30, 40 Metern in den Strafraum fliegen. Außerdem ist in der Premier League die Qualität der Stürmer bei jeder Mannschaft so hoch, dass man sich keinen Fehler erlauben kann. Sonst scheppert's."
Zur großen Zufriedenheit Wöbers in Leeds fehlt nur der geschaffte Klassenerhalt - mit möglichst wenig Nervenkitzel.