Noch lebt der EM-Traum der ÖFB-Frauen.
Nach der 0:1-Niederlage im Hinspiel in Polen müssen sie im Wiener Viola Park am Dienstag (ab 18:15 Uhr im LIVE-Ticker >>>) alles geben, um den Rückstand im entscheidenden EM-Playoff zu drehen. Für die Wienerin Virginia Kirchberger wird es ein ganz besonderes Spiel: Im Stadion ihrer Austria kämpft die 109-fache ÖFB-Teamspielerin vor den Augen ihrer Familie um ihre dritte EM-Teilnahme.
Im Interview mit LAOLA1 spricht die 31-jährige Innenverteidigerin über den Umgang mit der Niederlage in Polen, ihre schwierige Zeit in Frankfurt, in der sie den Spaß am Fußball verlor, und ihre neue Herausforderung bei Austria Wien.
LAOLA1: In Polen musstet ihr eine 0:1-Niederlage im Hinspiel hinnehmen. Wie bewertest du das Spiel?
Virginia Kirchberger: Im ersten Moment waren wir sehr enttäuscht. Wir haben es nicht geschafft, alle zu 100 Prozent abzurufen. Das, was wir uns vorgenommen hatten, konnten wir nicht umsetzen. Teilweise haben wir guten Fußball gespielt, aber wenn wir wirklich zu 100 Prozent da sind, können wir sie schlagen. Wir müssen positiv bleiben. Das, was im Hinspiel nicht funktioniert hat, haben wir analysiert und aufgearbeitet.
LAOLA1: Welche Punkte gilt es besser zu machen?
Kirchberger: Unser Spiel im letzten Drittel muss besser werden. Wir wollen uns viel mehr klare Torchancen erarbeiten. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Restverteidigung – da müssen wir stabiler stehen. Die Konter der Polinnen dürfen wir so nicht mehr zulassen. Wenn dann jede von uns individuell auf 100 Prozent kommt, bin ich überzeugt, dass wir es am Dienstag schaffen können.
LAOLA1: Es wäre die dritte EM-Teilnahme in Folge. Du warst bei zwei Endrunden dabei. 2017 erreichte man das Halbfinale, 2022 das Viertelfinale. Wie besonders ist so ein Turnier?
Kirchberger: Es ist das Größte, was man im Fußball erreichen kann. Wir sind ein kleines Land und haben dennoch bei den letzten beiden EUROs außergewöhnliche Leistungen gezeigt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Der Frauenfußball entwickelt sich weltweit sehr schnell weiter, auch kleine Nationen haben mittlerweile Spielerinnen auf hohem Niveau. Es wird immer schwieriger, sich zu qualifizieren. Trotzdem bleibt unser Ansporn, uns bei so einem Turnier mit den Besten zu messen. So etwas erleben zu dürfen, ist einzigartig, und ich möchte es unbedingt ein drittes Mal erleben.
LAOLA1: Seit 2010 bist du Teil des Nationalteams. Wie bewertest du das aktuelle Team im Vergleich zu den letzten Jahren?
Kirchberger: Der Frauenfußball in Österreich hat sich sehr gut und schnell weiterentwickelt. Es gibt viele junge Spielerinnen mit großem Potenzial. Es ist schwierig zu sagen, ob das die beste Mannschaft ist, denn der Fußball ist sehr schnelllebig. Auch unser Spiel hat sich verändert. Vor 15 Jahren haben wir uns hauptsächlich auf die Verteidigung konzentriert. Jetzt hatten wir gegen Polen fast 70 Prozent Ballbesitz. Einen direkten Vergleich zu ziehen, ist daher nicht einfach.
LAOLA1: In der Mannschaft zählst du zu den erfahreneren Spielerinnen. Welche Rolle nimmst du ein?
Kirchberger: Ich versuche, meine Erfahrung weiterzugeben. Auf dem Spielfeld möchte ich eine Führungsrolle übernehmen, viel reden und präsent sein. Ich will der Mannschaft ein sicheres Gefühl geben, damit die Spielerinnen vorne sich entfalten können, während ich ihnen den Rücken freihalte. Jeder im Team kann mich um Rat fragen. Gleichzeitig lerne ich jeden Tag auch von den anderen Spielerinnen – die Entwicklung ist nie abgeschlossen.
"In Frankfurt hatte ich eine schwierige Zeit und musste eine schwere Verletzung verkraften. Ich hatte nicht mehr so viel Spaß am Fußball. Es war wichtig, wieder Fuß zu fassen und Freude am Spiel zu haben. Ich wollte mir dieses Gefühl zurückholen – warum man jeden Tag ins Training geht und alles gibt."
LAOLA1: Das Rückspiel findet am Dienstag im Viola Park in Wien statt, dem Stadion deiner Austria. Was bedeutet dieses Heimländerspiel im eigenen Wohnzimmer für dich?
Kirchberger: Das ist unglaublich cool! Ich bin ja auch Wienerin, und meine ganze Familie wird vor Ort sein. Mit der Austria durften wir diese Saison jedes Heimspiel im Stadion austragen. Es ist sozusagen ein "Heim-Heimspiel" für mich (lacht). Ich hoffe auf viele Fans.
LAOLA1: Wie wichtig ist es für euch als Team, in solchen Stadien zu spielen?
Kirchberger: Das ist sehr wichtig. Gerade in Spielen, in denen es um alles geht, können uns die Fans zusätzlichen Rückenwind geben. Je lauter es im Stadion ist, desto motivierter ist man. Die Unterstützung der Fans kann uns durch die entscheidenden Minuten tragen.
LAOLA1: Als aktuelle ÖFB-Teamspielerin bist du im Sommer aus der deutschen Bundesliga zur Wiener Austria gewechselt. Warum?
Kirchberger: Ich war 15 Jahre im Ausland und für mich hat es sich richtig angefühlt, wieder nach Hause zu kommen. In Frankfurt hatte ich eine schwierige Zeit und musste eine schwere Verletzung verkraften. Ich hatte nicht mehr so viel Spaß am Fußball. Es war wichtig, wieder Fuß zu fassen und Freude am Spiel zu haben. Ich wollte mir dieses Gefühl zurückholen – warum man jeden Tag ins Training geht und alles gibt. Gleichzeitig hat mir die Austria beruflich eine Perspektive geboten, indem ich parallel ins Berufsleben einsteigen kann. So kann ich mir für die Zeit nach meiner Karriere etwas aufbauen.
LAOLA1: In der Bundesliga gibt es seit dieser Saison einen neuen Modus mit mehr Spielen. Hat das eine Rolle gespielt?
Kirchberger: Auf jeden Fall! Ich finde es großartig, wie sich der Frauenfußball in Österreich weiterentwickelt. Die Liga ist so ausgeglichen, dass wir jede Woche 100 Prozent geben müssen. Das sieht man auch an den Ergebnissen: Mannschaften, die unten stehen, können den Favoriten Punkte abnehmen.
LAOLA1: Mit 16 Jahren hast du 2009 die österreichische Bundesliga verlassen. Was hat sich seither verändert?
Kirchberger: Die Liga ist deutlich besser geworden. Jede Mannschaft hat starke Spielerinnen und es gibt keine Selbstläufer mehr. Man muss jede Woche alles geben. Es macht wirklich Spaß, hier zu spielen. Unsere Mädels sind super, wir haben uns in dieser Saison enorm weiterentwickelt. Ich habe den Wechsel an keinem einzigen Tag bereut – im Gegenteil!
"Bei uns fehlt die Breite im Kader. Wir haben Topspielerinnen und sehr junge Talente mit viel Potenzial. Besonders defensiv bringen wir viel Mentalität mit und kämpfen füreinander."
LAOLA1: Der Trend war jahrelang, dass man sehr jung den Sprung ins Ausland wagt. Ist das heute noch notwendig?
Kirchberger: Das hängt von der individuellen Situation ab. Für manche ist es gut, früh die Komfortzone zu verlassen, andere entwickeln sich in ihrer gewohnten Umgebung besser. Ich war immer ehrgeizig und klar in meinen Entscheidungen – für mich war der Schritt nach Deutschland damals der richtige. Das heißt aber nicht, dass es mit 20 Jahren zu spät ist. Als ich nach Deutschland ging, gab es in Österreich noch keine Frauen-Akademie und die Liga war nicht so stark. Heute gibt es mehr Möglichkeiten, aber um den Sprung ins Nationalteam zu schaffen, braucht es oft die internationale Härte.
LAOLA1: Ihr seid vier Punkte hinter Serienmeister SKN St. Pölten und stellt mit vier Gegentreffern die beste Defensive der Liga. Was fehlt noch auf den SKN?
Kirchberger: Der SKN hat dieses Jahr einen hervorragenden Kader – den brauchen sie auch für die Champions League. Bei uns fehlt die Breite im Kader. Wir haben Topspielerinnen und sehr junge Talente mit viel Potenzial. Besonders defensiv bringen wir viel Mentalität mit und kämpfen füreinander. Unsere Stärke ist das Verteidigen als Team. Mit dem Ball haben wir noch Potenzial. Es gab im Sommer einige Neuzugänge und es dauert, bis man sich richtig findet. Aber wir werden von Spiel zu Spiel besser und es ist noch einiges möglich.
LAOLA1: Gibt es ein konkretes Ziel? Wollt ihr den SKN stürzen?
Kirchberger: Unser erstes Ziel ist das obere Playoff. Danach wäre es großartig, wenn wir nächstes Jahr international spielen könnten – das wäre ein Traum. Aber wir dürfen nicht übermütig werden und müssen unsere Hausaufgaben machen.