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ÖFB-Boom! Was steckt hinter Österreichs Talente-Zulauf?

Zehn Teenager vollzogen in den letzten Monaten einen "Nationenwechsel", um für ein österreichisches Nationalteam nominiert zu werden. Die Hintergründe dazu:

ÖFB-Boom! Was steckt hinter Österreichs Talente-Zulauf?

Die erstmalige Nominierung von Paul Wanner für das ÖFB-Team sorgte für großes Aufsehen.

Der 16-jährige gebürtige Dornbirner vom FC Bayern München wurde im November von Teamchef Ralf Rangnick für das Testspieldoppel gegen Andorra und Italien in den österreichischen Teamkader aufgenommen und sagte dafür der deutschen U18-Nationalmannschaft ab, für die er bereits zwei Mal zum Einsatz kam.

Auch beim Perspektivspielerlehrgang in Pula (Alle Infos>>>) war Wanner dabei, um Rangnicks Spielphilosophie noch genauer zu verinnerlichen und sich mit anderen ÖFB-Talenten vertraut zu machen.

Ob das Mittelfeld-Juwel sich tatsächlich einmal für Österreich und gegen Deutschland entscheiden wird, steht freilich noch in den Sternen. Dass Wanner vom ÖFB allerdings durchaus offensiv angeworben wird und er trotz seiner Jugend bereits für das A-Team nominiert wurde, kann allerdings nur positiv aufgenommen werden; nicht nur einmal wurden dem ÖFB in der jüngeren Vergangenheit in dieser Hinsicht Versäumnisse unterstellt, wenn man etwa an Personalien wie Moritz Leitner denkt.

Doch Wanner ist kein Einzelfall. Nicht weniger als zehn aktuelle ÖFB-(Nachwuchs)-Teamspieler entschieden sich binnen der letzten 15 Monate  - zumindest vorläufig - gegen eine andere Nation und für Österreich.

LAOLA1 hat bei ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel nachgefragt, was hinter dieser Anhäufung an jugendlichen rot-weiß-roten "Nationenwechslern" steckt.

Die zehn aktuellen österreichischen "Nationenwechsler" im Überblick:

Spieler Alter Position Verein ehemals zuletzt im Kader von
Paul Wanner 16 OM Bayern München Deutschland U18 ÖFB-A-Team
Vincent Spari 18 OM FC St. Gallen U21 Schweiz U15 ÖFB-U19
Denis Dizdarevic 18 OM Young Violets Bosnien U17 ÖFB-U19
Emirhan Acar 17 OM FC Torino U18 Türkei U17 ÖFB-U18
Aristot Tambwe-Kasengele 18 IV SK Rapid Wien II Kongolesischer Staatsbürger ÖFB-U18
Zeteny Jano 17 OM FC Liefering Ungarischer Staatsbürger ÖFB-U18
Matteo Schablas 17 LV Bayern München U19 Deutscher Staatsbürger ÖFB-U18
Jovan Zivkovic 16 ST SK Rapid Wien U18 Serbien U16 ÖFB-U17
Nicolas Jozepovic 14 ST Red Bull Salzburg U15 Kroatien Jugend ÖFB-U15
Dominik Dobis 13 ST Red Bull Salzburg U15 Slowakischer Staatsbürger ÖFB-U15

Schöttel: "Kein Zufall!"

Natürlich liefen auch in der Vergangenheit immer wieder Nationalspieler auf, die sich nach Einsätzen für ein ausländisches U-Nationalteam für Österreich entschieden haben, wenn man etwa an Moritz Bauer denkt; zudem gibt es mit Martin Harnik auch ein berühmtes Beispiel eines nicht gebürtigen Österreichers, der zugunsten des ÖFB-Teams seine Nationalität wechselte.

Eine solche Anhäufung an "Nationenwechslern", wie sie momentan zu beobachten ist, ist im heimischen Fußball aber ein Novum. Ein reiner Zufall, oder steckt da mehr dahinter?

"Es ist kein Zufall, weil wir statistisch einfach sehr viele Spieler in unseren Nachwuchsteams haben, die aufgrund der Herkunft der Eltern, der Großeltern oder der Zeit, in der sie in einem Land leben, auch für andere Nationen spielberechtigt sind. Diese Spieler sind in den letzten Jahren eindeutig mehr geworden", erklärt ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel gegenüber LAOLA1.

Der Begriff "Nationenwechsler" gefällt ihm allerdings nicht: "Was ich klarstellen möchte, ist, dass im Nachwuchsbereich die Nation problemlos gewechselt werden kann – auch wieder zurück. Wenn ein Zeteny Jano beispielsweise jetzt für Österreich spielt, heißt das nicht automatisch, dass er auch für unser Nationalteam spielen wird. Ein Nationenwechsel fixiert sich für mich deshalb erst, wenn der Spieler im Nationalteam zum Einsatz kommt."

Zehn "Nationenwechsler", zehn Geschichten

Überhaupt plädoyiert Schöttel dafür, dieses Phänomen an Neo-ÖFB-Talenten aus einer differenzierteren Warte zu betrachten.

"Alle Fälle der genannten Spieler unterscheiden sich. Überhaupt ist es so, dass sich kein Fall gleicht. Deshalb ist in diese Themen auch immer unsere Rechtsabteilung involviert, die immer genau darauf achtet, wie sich die Sachlage gestaltet", hält der Wiener fest.

Tatsächlich haben all die oben genannten Spieler teils völlig unterschiedliche Hintergrundgeschichten. Zum einen sind da die gebürtigen Österreicher wie Denis Dizdarevic, Jovan Zivkovic, Emirhan Acar, Nicolas Jozepovic oder eben auch Paul Wanner, die zunächst für ein anderes Nationalteam einberufen wurden und erst danach für eine österreichische Auswahl.

Zeteny Jano war ebenfalls bei Rangnicks Perspektivspieler-Lehrgang dabei

Ob es Zufall ist, dass sich diese fünf Kicker, denen allesamt großes Potenzial nachgesagt wird, nur Wochen bzw. Monate nach Rangnicks Amtsantritt als ÖFB-Teamchef zugunsten Österreichs umentschieden haben, sei dahingestellt...

Auch Vincent Spari lief bereits für ein anderes U-Nationalteam auf, nämlich für die U15 der Schweiz, wo er aufwuchs. Seit etwas mehr als einem Jahr ist der gebürtige Deutsche aber für Österreich im Einsatz.

Zeteny Jano war auf Nationalteam-Ebene hingegen bisher nur für Österreich aktiv. Der gebürtige Eisenstädter ist der Sohn ungarischer Eltern und wurde in deren Heimat groß. Erst 2018, als er vom FC Red Bull Salzburg gescoutet wurde, kehrte er - damals noch als Ungar - nach Österreich zurück.

Seit September 2021 ist Jano, der erst kürzlich vom renommierten "Guardian" zu einem der größten Talente seines Jahrgangs gekürt wurde, im ÖFB-Einsatz. Zuletzt gab der 17-Jährige in einem Testspiel gegen Inter Mailand sein Debüt für die erste Mannschaft der "Bullen".

Erst eingebürgert werden musste indes Aristot Tambwe-Kasengele. Der wuchtige Innenverteidiger des SK Rapid war bis Juni dieses Jahres kongolesischer Staatsbürger, erhielt kurz nach seinem 18. Geburtstag seinen österreichischen Pass und gab daraufhin gleich sein Debüt für die ÖFB-U18.

Matteo Schablas lebte hingegen noch nie in Österreich. Der gebürtige Deutsche aus der Jugend des FC Bayern läuft aufgrund seines österreichischen Vater seit September 2022 für Oliver Lederers U18-ÖFB-Nationalmannschaft auf.

Bleibt 13-jähriger Fünferpacker Dobis dem ÖFB erhalten?

Dominik Dobis könnte in einigen Jahren eine spannende Option im ÖFB-Sturm werden

Und dann ist da noch Dominik Dobis. Der Stürmer aus dem Salzburger Nachwuchs ist erst 13 Jahre jung und damit noch weit von einer A-Team-Karriere entfernt. Dennoch konnte der ÖFB den slowakischen Staatsbürger davon überzeugen, im November dieses Jahres bei der ÖFB-U15 reinzuschnuppern.

Der pfeilschnelle Angreifer beließ es allerdings nicht beim Reinschnuppern, sondern schnürte bei seinem Startelfdebüt im ÖFB-Trikot gleich mal einen Fünferpack. Beim 5:2-Testspielsieg über Tschechien erzielte Dobis als im Vergleich zu seinen Mitspielern ein Jahr Jüngerer alle österreichischen Treffer. Auch in der U15-Jugendliga ließ es der Blondschopf mit 20 Treffern im abgelaufenen Herbst richtig krachen.

Ob ein Nationenwechsel von Dobis nach seinem eindrucksvollen Debüt für Österreichs U15 trotz seiner slowakischen Staatsbürgerschaft nur mehr Formsache ist? "Keineswegs", erklärt Schöttel, "aber wir haben gemeinsam mit Red Bull Salzburg ein großes Interesse daran, dass er für Österreich spielt, was er ja jetzt auch gemacht hat. Aber da muss man auch vorsichtig sein, er ist U15-Spieler."

ÖFB zuletzt nicht immer erfolgreich im Überzeugen

Klar ist, dass es nicht all diese oben genannten Kicker einmal ins österreichische Nationalteam schaffen werden; der ein oder andere wird sich womöglich doch noch für eine andere Nation entscheiden, wie es zuletzt etwa Robert Ljubicic tat, der zunächst von der kroatischen U20 zur österreichischen U21 wechselte, nur um dem ÖFB dann doch abzusagen.

"Natürlich hat man nie eine Garantie, dass sich der Spieler schlussendlich auch für Österreich entscheidet. Wir schaffen es zwar oft, aber es gelingt uns nicht immer, weil auch zum Heimatland der Eltern oder Großeltern eine große Bindung besteht. Das müssen wir dann zur Kenntnis nehmen und akzeptieren", betont Schöttel.

Prominente Fälle aus der jüngeren Vergangenheit für solche Vorkomnisse sind etwa die beiden Salzburger Top-Talente Amar Dedic und Luka Sucic, die beide in Österreich geboren wurden und aufwuchsen, schlussendlich aber für das jeweilige Nationalteam aus dem Herkunftsland ihrer Eltern auflaufen.

In den letzten Jahren hatte man nicht immer das Gefühl, der ÖFB würde an seine Grenzen gehen, um die "Verluste" von gebürtigen Österreichern, die das Potenzial für das A-Team besitzen, zu vermeiden. Mittlerweile dürfte sich das geändert haben.

Schöttel: "Filtern in den Nachwuchsteams"

"Wir filtern in den Nachwuchsteams, welche Spieler künftig für uns im Nationalteam interessant werden könnten und versuchen, zunächst über unsere Nachwuchs-Teamchefs, eine Bindung, eine Beziehung zu dem Spieler aufzubauen und ihm Wege aufzuzeigen, wohin es möglicherweise gehen kann. Wenn es dann näher in Richtung A-Team geht, übernehme ich gemeinsam mit Teamchef Ralf Rangnick diese Gespräche", erläutert Schöttel die zuletzt erfolgreiche Herangehensweise.

Abschließend gilt es zu betonen, dass der Nationalteamfußball nicht zum Klubfußball verkommen darf. Nachwuchskicker sollten nicht von einer Nationalität zur anderen hin und her wechseln dürfen, wie es ihnen lieb ist; Nationalverbänden sollte es verboten werden, wie am Transfermarkt um gewisse Spieler zu wettzubieten.

Solange die FIFA aber weiterhin so lasch ihre eigenen Regelungen durchsetzt - wie zuletzt etwa im Fall des vermeintlich nicht in Ecuador geborenen ecuadorianischen Teamspielers Byron Castillo - und Nationen wie die Türkei oder Kroatien immer wieder von (unter anderem österreichischen) "Nationenwechslern" profitieren, gibt es an der momentan etwas offensiver angelegten Nominierungspolitik des ÖFB überhaupt nichts auszusetzen - im Gegenteil.

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