Im November hat Werner Gregoritsch erreicht, was er als "Lebensziel" bezeichnet: Die erfolgreiche Qualifikation für die U21-Europameisterschaft.
Seit sieben Jahren ist der Steirer mittlerweile U21-Coach des ÖFB. Davor stand der 60-Jährige als Chefcoach beim GAK (Cupsieger 2000), Mattersburg (Zweitliga-Meister 2003), dem LASK und Kapfenberg (Zweitliga-Meister 2008) an der Seitenlinie.
Unumstritten ist "Gregerl", der als Aktiver weit über 100 Bundesliga-Spiele in den Beinen hat (GAK, FC Linz, Vienna) allerdings nicht. "Man wird immer in eine Schublade gesteckt", sagt Gregoritsch.
Im großen LAOLA1-Interview erzählt er von seiner "anderen Seite", Umstellungen in Sachen Kabinenansprachen und Kickern, die nicht Profis werden wollen.
LAOLA1: Wie haben Sie den Abend nach der erfolgreichen EM-Quali verbracht?
Werner Gregoritsch: Wir sind zurück ins Hotel gefahren, haben uns mit den Betreuern zusammengesetzt – meine Frau und Fans sowie Freunde aus Graz waren auch dabei. Eigentlich hatten wir vor, länger zusammenzusitzen. Aber es war eigenartig. Ich habe zwei Bier getrunken und bin um 1:30 Uhr ins Bett, weil ich so müde war. Ich habe das erste Mal wieder so richtig gut geschlafen. Nach dieser Belastung ist alles von mir abgefallen, es war doch ein großer Druck.
"Ich habe das Geschäft 30 Jahre lang inhaliert - alles ist so schnelllebig, so vergänglich"
LAOLA1: Vielen Menschen geht es so, dass sie in ein Loch fallen, wenn sie ein Ziel erreichen, auf das sie lange hingearbeitet haben. Wie war das bei Ihnen?
Gregoritsch: Ich versuche, immer den Moment zu sehen. Wenn man auf ein Ziel hinarbeitet, wird man oft emotional, man denkt daran und es ist wie ein Traum. Wenn der Traum dann erfüllt ist, muss man den erst einmal realisieren. Wir sind dann gleich zur Auslosung geflogen. Dort haben wir gemerkt, dass wir eine Stufe höher gestiegen sind. Alle Länder, zu denen wir früher Kontakt gesucht haben, um Testspiele zu machen – England, Italien, Frankreich –, sind plötzlich gekommen und wollten gegen uns spielen. Auf einmal wurden wir registriert. Wir sind die Nummer 10 der Welt, gehören zu den Top-Nationen. Ich hatte über 600 SMS, 400 Mails von Leuten, die schon längere Zeit nichts mehr mit mir zu tun hatten, von vielen Fachleuten, etwa Adi Hütter und Oliver Glasner. Das war schon sehr angenehm. Ich spiele leidenschaftlich Tennis, da sind ältere Damen, die mit Fußball nichts am Hut haben, auf den Tennisanlagen zu mir gekommen, um mir zu gratulieren. Das hat mich beeindruckt.
LAOLA1: Andererseits könnte man denken: Jetzt kommen plötzlich die Schulterklopfer, von denen man jahrelang nichts gehört hat.
Gregoritsch: Ich bin 20 Jahre Profi-Trainer, war davor Spielertrainer. Ich habe das Geschäft 30 Jahre lang inhaliert. Alles ist so schnelllebig, so vergänglich. Ich kann das richtig einschätzen. Es ist zwar schön, wenn man etwas erreicht, aber man wird ständig daran gemessen, dass man etwas weiterbringt. Ich habe meinem Sohn, als er mit 15 Jahren das erste Tor geschossen hat, gesagt: „Wenn du jetzt 5.000 Fans hast, die dir gratulieren, hast du zumindest genausoviele Neider, die sagen, du hast Glück gehabt.“ Ich kann für mich selbst einschätzen, was das bedeutet und wer Anteil an diesem Erfolg hatte. Als Trainer bist du die Lokomotive, aber du hast sehr viele Waggons, in denen jeder seinen Anteil hatte – mein Betreuerteam und meine Spieler.
LAOLA1: Sie haben letztes Jahr Ihren 60. Geburtstag gefeiert. Runde Geburtstage sind oft Anlass zu einer Zäsur. Wie ist es Ihnen damit gegangen?
Gregoritsch: 60 ist ganz ein komisches Alter. Man sagt: „Schön langsam gehörst du zum alten Eisen.“ Es beginnt der Abschnitt, der ein Ablaufdatum hat. Wenn man das beobachtet und dann auch noch Erfolg hat, ist das etwas Schönes. Mein Image als Trainer war immer, ein Motivator zu sein, dessen Mannschaften topfit und kämpferisch sind. Ich war auch einer der Ersten in Österreich, die Pressing gespielt haben, aber die spielerische Linie ist nicht so zur Geltung gekommen – bis auf den GAK. Das lag auch an den Spielern. Jetzt habe ich die besten Spieler und es ist schön anzusehen. Man entwickelt sich. Wenn man Spieler hat, die bei Sevilla, Ajax und Leipzig spielen und trotzdem gerne kommen, macht das stolz. Ich war vor 18 Jahren Cupsieger, vor zehn Jahren in der zweiten Liga Meister. Ich hatte nicht nur mit einer Mannschaft, sondern mit mehreren Erfolg. Ich bin in diesem Alter immer noch sehr aktiv und auf den Fußball fokussiert. Ich bin sehr zufrieden mit diesem Zustand.
LAOLA1: Im Zusammenhang mit Ihrer Person liest und hört man oft das Wort „kernig“. Im Duden stehen mehrere Synonyme. Einerseits kräftig und stark, andererseits auch knochenhart und derb.
Gregoritsch: Man wird immer – aufgrund dessen, was man sieht – in eine Schublade gesteckt. Im Fernsehen sieht man mich emotional. Wenn das Adrenalin im Kopf rauscht, ist man ein anderer Mensch. Mein Leben war immer mit Kampf verbunden, mit grenzwertigen Situationen. Ich habe relativ früh meine Mutter an Krebs verloren, hatte selber eine schwere Krankheit. Ich musste mich mein ganzes Leben beweisen. Ich hatte keinen Papa, der mich zu einem Fußballverein gebracht hat, ich habe das alles selbst gemacht. Ich war recht früh im Leben alleine. Ich musste mit 18 Jahren schon Entscheidungen treffen, weil wir einen Herbergsbetrieb hatten. Das habe ich zusammen mit meiner Schwester gemacht. Sie ist – gerade als ich begonnen habe, als U21-Teamchef zu arbeiten – verstorben. Ein Schicksalsschlag. Solche Dinge prägen. Doch es gibt auch eine andere Seite: Ich habe in einem humanistischen Gymnasium in Altgriechisch und Latein maturiert. Ich bin mit großer Freude Pädagoge. In der Schule war ich immer der Lehrer für Problemtypen – es gab ganz selten welche, die ich nicht hingebracht habe, dass sie in der Gemeinschaft funktionieren.
"Es ist oft sicher nicht einfach, mich so zu nehmen, wie ich bin"
LAOLA1: Kommen wir zurück zum Begriff kernig.
Gregoritsch: Ich war immer kernig in dem Sinn, dass ich eine gerade Linie hatte. Wenn es Konflikte gab, habe ich immer versucht, das sofort in einem Gespräch auszumerzen. Ich habe nie lange herumgeeiert oder bin zu einer dritten Person gegangen. Das Wichtigste im Leben ist es, geistige Unabhängigkeit zu schaffen – gut verbunden mit einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Wenn du wirtschaftlich nicht unabhängig bist, kannst du es geistig auch nicht sein. Zurück zum Wort kernig. Wer mich nicht kennt, sagt: „Der rennt wie ein Gladiator herum, wenn du dem ein Schwert gibst, haut der da dazwischen.“ Ich muss aber dazusagen, dass ich nie einem Konflikt aus dem Weg gegangen bin. Da mag kernig schon richtig sein. Wer mich kennt, weiß aber, dass ich einen hohen Sinn für Humor habe, auch über mich selbst lachen kann und die Menschen liebe. Ich will anderen etwas Gutes tun. Es ist oft sicher nicht einfach, mich so zu nehmen, wie ich bin. Was ich hasse, sind Lügen und Unehrlichkeit. Es gibt auch viele Zeiten, in denen ich mich zurückziehe. Ich schöpfe zuhause meine Energie.
LAOLA1: Ich kann mich an ein Auswärtsspiel des Kapfenberger SV bei der Austria erinnern. Ich bin in der Pause über eine Stiege gegangen, die durch eine Betonwand von der Auswärtskabine getrennt war und habe sie trotzdem in der Kabine schreien gehört. Auf der Pressetribüne ist dann der verletzte Robert Gucher gesessen, den ich darauf angesprochen habe. Er hat nur gesagt: „Das ist ganz normal.“
Gregoritsch: (lacht) Das hat sich in gewisser Weise verändert. Meine Liebe zum Nationalteam hat sich auch deshalb entwickelt, weil die Spieler solche Facharbeiter sind, dass du mit denen ganz anders umgehst. Es kommt schon vor, dass ich mal reinfahre. Aber es gab einen Generationswechsel. Zu meiner Zeit waren in einer Mannschaft zwei Maturanten und der Rest waren Arbeiter. Heute hat im Prinzip jeder eine Schulausbildung. Die Spieler denken sehr reflexiv. Ich habe durch Spieler sehr viel gelernt. Sie sind viel mündiger. Ich habe da ein Lieblingsbeispiel.
LAOLA1: Bitte, nur her damit.
Gregoritsch: Mein Vater war sehr autoritär. Der hat beim Essen gesagt: „Die Suppe isst du jetzt auf.“ Da hast du salutiert und gegessen. Wenn ich meinem Sohn heute sage, er soll die Suppe essen, fragt er: „Warum? Was ist da drinnen, dass ich das essen muss?“ Es wird hinterfragt und argumentiert. Ich habe eine natürliche Autorität, das ist auch wichtig. Wenn du als Trainer erscheinst, müssen die Spieler wissen, dass der Chef da ist. Laissez-faire geht für mich im Leistungssport gar nicht. Es muss eine Linie und eine Hierarchie geben. Aber die Regeln werden heute nicht mehr vom Trainer, sondern gemeinsam mit den Spielern aufgestellt. Ich beschäftige mich viel mit Psychologie. Mir ist es immer darum gegangen, wie Menschen auf gewisse Situationen reagieren. Ich mache jetzt viele Dinge anders. Du kannst vor der Mannschaft keinen Spieler mehr verbal bis auf die Unterhose ausziehen und glauben, es kommt dann etwas Positives. Die Spieler sind sehr viel sensibler geworden, sie brauchen Unterstützung. Wer als Trainer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
LAOLA1: Sind Spieler egoistischer geworden?
Gregoritsch: Es ärgert mich, wenn ein Spieler der Mannschaft gegenüber nicht korrekt ist. Es muss immer die Mannschaft vordergründig sein, nicht der einzelne Spieler. Ein Spieler darf nicht das Nationalteam benutzen. Er kann sein Talent für das Nationalteam nutzen, weil das eine Ehre ist. Es darf aber niemand glauben, dass das Nationalteam eine Hilfe ist, um einen anderen Lebensstandard zu erreichen. Natürlich ist das so, aber ein Spieler darf es nicht deswegen machen. Wenn es keine Identifikation mit dem Land und der Mannschaft gibt, geht das nicht. Die größte Auszeichnung meiner Arbeit war, dass sich ein Spieler bei einer Pressekonferenz des A-Teams hinsetzt und sagt, dass er eigentlich bei der U21 spielen will, weil er helfen will, dass wir zur EM fahren (Anm.: Xaver Schlager, hier Nachlesen >>>).
"Zwischen 18 und 21 glaubst du, du bist der Beste, der Größte, der Fescheste und du wirst alles erreichen"
LAOLA1: Wenn Sie Ihre Beziehung zu den Spielern in einen familiären Kontext setzen müssten, wären Sie dann Vaterfigur, der große Bruder oder der wohlwollende Onkel?
Gregoritsch: Ich glaube schon, dass ich eine Vaterfigur bin. Sehr viele Spieler rufen mich oft an. Wenn es Transfers gibt, melden sich Minimum 60 Prozent bei mir. Die guten Spieler müssen sich nicht melden, wie etwa ein Wöber oder ein Laimer. Aber es gibt viele Spieler, die im Niemandsland sind, wenn sie bei mir beginnen – sie sind Profis, aber noch keine Stammspieler. Es ist immer spannend zu sehen, wie sich die Spieler in den zwei Jahren entwickeln – einige bleiben stecken und gehen unter, andere schaffen es. Es ist schön, dass sie nach meiner Meinung fragen. Ich stehe ja auch mit vielen Vereinen in Kontakt. Eines hat sich über die Generationen hinweg aber nicht verändert.
LAOLA1: Was denn?
Gregoritsch: Zwischen 18 und 21 glaubst du, du bist der Beste, der Größte, der Fescheste und du wirst alles erreichen. Wenn manche Spieler dann zufrieden sind und sich gar nichts sagen lassen, geht es daneben. Manche sagen dann auch: „Nein, ich bin nicht zum Profi geboren. Ich will nicht nur Fußballspielen, ich gehe lieber arbeiten, spiele Regionalliga und habe dort meinen Spaß.“ Es gibt Menschen, die mehr feiern wollen, mehr Urlaub wollen und dann in den Amateurbereich gehen. Heute akzeptiere ich das. Früher hätte ich das nie verstanden. Ich war früher einer, der es unbedingt schaffen wollte. Dann sehe ich Spieler, die das wegwerfen. Aber man darf sie menschlich deswegen nicht deklassieren. Das Wichtigste im Fußball – auch auf höchstem Niveau – ist Spaß. Wenn du keinen Spaß mehr hast, die Belastung zu hoch ist – es gibt Burnout-gefährdete Spieler –, dann musst du ihm sagen: „Lass es! Das Leben ist viel zu kurz.“
LAOLA1: Wie erleben Sie die Erwartungen an die EM?
Gregoritsch: Ich kann mich erinnern, dass jeder schon vom Semifinale und vom Finale gesprochen hat, als es das Nationalteam zur EURO 2016 geschafft hat. Bei uns sagen sie: „Jetzt sind sie mal dabei, schön. Aber Deutschland ist automatisch besser, gegen die Dänen haben sie schon 0:5 verloren und Serbien ist mit Luka Jovic unbesiegbar.“ Ich habe mir immer eine Aufgabe gestellt – und wenn 100 Leute gesagt haben, ich schaffe das nicht, habe ich gesagt, dass ich das durchziehe. Ich bin es angegangen und bin marschiert. Das ist richtig kernig. Manchmal habe ich es geschafft, manchmal nicht. Aber nicht alles dafür getan zu haben, wäre das Schlimmste überhaupt! Es wäre das Schlimmste, so eine Chance nicht mit voller Leidenschaft ergreifen zu wollen.
LAOLA1: Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs die vielen Nachrichten, die Sie nach der erfolgreichen Quali bekommen haben, angesprochen. Waren da auch Vereine dabei, die gesagt haben: „Wir hätten dich gerne!“?
Gregoritsch: Ich habe viel Kontakt zu vielen Vereinen, da spürt man, wo man gewollt und respektiert wird. Die U21-EM war ein Lebensziel für mich. Ich lasse nichts anderes an mich heran, beschäftige mich mit nichts anderem. Für mich gibt es jetzt das Nationalteam! Mit ungelegten Eiern beschäftige ich mich nicht. Aber natürlich hat es Anfragen gegeben, wie lange ich das noch mache. Das schmeichelt mir. Aber alle meine Gedanken drehen sich um die U21.
"Ich trinke bis zur Europameisterschaft keinen Tropfen Alkohol, möchte topfit sein"
LAOLA1: Was haben Sie den Vereinen gesagt, die Sie gefragt haben, wie lange sie noch beim ÖFB bleiben?
Gregoritsch: Bis Sommer ganz sicher. Ich habe ihnen auch gesagt, dass ich über so etwas nicht reden will, weil ich mir darüber keine Gedanken mache. Das Schöne bei der U21 ist ja, dass danach wieder etwas Neues anfängt, eine neue Mannschaft, neue Aufgaben. England, Türkei, Kosovo und Albanien – das ist in der kommenden Quali wieder eine Herausforderung. Aber ich will mich weder damit, noch mit Vereinen zu sehr beschäftigen. Wenn ich etwas nicht ganz mache und mich total konzentriere, bringe ich die Leistung nicht. Ich bin der Trainertyp, der etwas vorleben muss.
LAOLA1: Wie meinen Sie das?
Gregoritsch: Du musst auch für dich selbst auf Dinge verzichten. Ich habe zum Beispiel meine Ernährung umgestellt. Und ich trinke bis zur Europameisterschaft keinen Tropfen Alkohol, möchte topfit sein. Wenn ich topfit bin, weiß ich, dass meine Spieler – vom Kopf her – auch topfit sind. Ich will einfach, dass Österreich die nächste Überraschung schafft. Und das wäre ein Einzug ins Semifinale. Das ist irrsinnig schwer, aber wir fahren sicher nicht dorthin, um eine dankbare, nette Mannschaft, die jedem Salzburger Nockerl und eine Sachertorte übergibt, zu sein. Solange ich Trainer bin, wird es das nicht spielen. Ich will, dass keiner gerne gegen Österreich spielt.
LAOLA1: Und dann lassen Sie sich die Olympischen Ringe auf den Oberarm tätowieren…
Gregoritsch: Ich habe mich schon vor Jahren über Tätowierungen so geäußert, dass ich bei vielen nicht sehr beliebt war. Jeder soll machen, wie er will. Aber ich bin sehr glücklich, dass sich mein Sohn noch nicht tätowieren hat lassen. Eines weiß ich sicher: Wenn wir unser Ziel erreichen, muss ich ein besonderes Fest starten. Aber es geht darum: Wir müssen bescheiden bleiben.