Es gab Torte. "Wie immer mit Schokolade - das ist mein Untergang", lacht Werner Gregoritsch.
Der Steirer hatte dieser Tage nicht nur seinen 64. Geburtstag zu feiern, sondern auch sein 10-jähriges Jubiläum als U21-Teamchef des ÖFB. Eine Bilanz >>>
Bevor es am Freitag, um 18 Uhr, im Auswärtsspiel gegen Kroatien in der EM-Quali um alles geht, nimmt sich der Trainer Zeit, um bei LAOLA1 auf die vergangenen zehn Jahre zurückzublicken.
"Ich kann mir den Job ohne weiteres noch drei, vier Jahre vorstellen. Der Fußball ist nach wie vor ein Lebenselixier. Ich kann mir aber nicht vorstellen, mit 70 Jahren noch auf der Bank zu sitzen", sagt Gregoritsch.
Der U21-Teamchef verrät zudem, welche Spieler ihn in ihren späteren Karrieren überrascht haben, wie er sich als Trainer im vergangenen Jahrzehnt verändert und warum er zuletzt alle Anfragen von Vereinen abgeblockt hat.
LAOLA1: Kann man von einem Endspiel gegen Kroatien sprechen?
Werner Gregoritsch: Wenn man bedenkt, dass eine Niederlage das Ende der EM-Träume ist, kann man das so sehen. Das Spiel ist aber auch für die Zukunft wichtig, ich werde ein paar junge Spieler ins kalte Wasser werfen. Das Hauptziel der U21 ist aber, Spieler für das A-Team vorauszubilden. Mit Nicolas Seiwald hat es schon ein Spieler dieses Teams zur Stammkraft im A-Team geschafft. Aber natürlich täte es mir sehr weh, würden wir gegen Kroatien ausscheiden.
LAOLA1: Die bisherige Quali ist mit drei Niederlagen aus sieben Spielen nicht nach Wunsch gelaufen. Ist das dem Umstand geschuldet, dass bisher noch kein Stamm entstehen konnte, weil bei jedem Lehrgang viele Spieler ausfallen?
Gregoritsch: Die Gegner haben immer gelacht – bei denen hatte keiner Corona, die sind immer mit der kompletten Mannschaft gekommen. Wir mussten jedes Mal viele Verletzte und Corona-Infizierte vorgeben. Die Kombination 2000 bis 2003 ist eigentlich einer der stärksten Jahrgänge. Tobias Lawal, Flavius Daniliuc, Leo Greiml, Tobias Anselm, Patrick Wimmer – uns fehlen immer wieder sehr wichtige Spieler. Dabei hatten wir in jedem Spiel mehr Ballbesitz, mehr Torschüsse und mehr Torchancen. Gegen Kroatien haben wir 1:3 verloren, aber wir hatten 2,6 Expected Goals, die nur 1,4. Die Effizienz war meistens schlecht.
"Ich kenne einige Spieler, die ihre ganze Familie erhalten. Durch diese Ernsthaftigkeit geht die Unbekümmertheit verloren."
LAOLA1: Sie sind seit zehn Jahren U21-Teamchef.
Gregoritsch: Es hat sich sehr, sehr viel im Fußball verändert. Der Druck auf die Spieler ist größer geworden, es gibt weitaus mehr Verletzte. Außerdem habe ich das Gefühl, dass der Druck von Seiten der Spielermanager sehr groß wird auf die U21-Teamspieler. Die werden in eine Ego-Rolle gedrängt – da wird von außen suggeriert, dass es wichtig ist, wie der Spieler selbst spielt, nicht die Mannschaft. Das macht den Job schwieriger.
LAOLA1: Wird sich diese Spirale, dass junge Spieler schneller erwachsen werden müssen, weiterdrehen?
Gregoritsch: Sie verdienen weitaus mehr als Erwachsene. Einerseits sind sie sehr jugendlich, teils kindisch, was sich ja auch gehört, andererseits verdienen sie viel Geld und wissen, dass sie finanziell durch sind, wenn sie zehn Jahre lang Karriere im Ausland machen. Ich kenne einige Spieler, die ihre ganze Familie erhalten. Durch diese Ernsthaftigkeit geht die Unbekümmertheit verloren.
LAOLA1: Unabhängig davon, was im Umfeld persönlich auf die Burschen einprasselt – sind sie in der Regel bessere Fußballer als noch vor zehn Jahren?
Gregoritsch: Es hat immer gute Fußballer gegeben, aber heute sind sie vom Gesamtpaket her weitaus besser vorbereitet. Die Athletik hat sich verändert, es ist viel robuster und intensiver geworden. Was immer ärger wird, ist das Thema Schnelligkeit. Wenn du heute diese Schnelligkeit nicht besitzt, hast du auf Top-Niveau keine Chance. Es ist aber auch die Mentalität ein wesentlicher Faktor. Wissen Sie, was ich zu manchen Spielern gesagt habe?
LAOLA1: Was denn?
Gregoritsch: "Es ist besser, du gehst in die Regionalliga und spielst dort Fußball, wie du es willst – mit Auszeiten und machst nebenbei einen Job." Vor zehn Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich das mal zu einem Spieler sage. Jahre später treffe ich welche von diesen Spielern wieder und sie bedanken sich bei mir dafür. Es gibt gute Fußballer, die mit dem Druck und der Mentalität nicht zurechtkommen. Ich habe immer gut erkannt, wer ein Fußballer wird. Martin Hinteregger habe ich zum Beispiel gesagt: "Noch zwei Spiele und du bist beim A-Team." So ist es auch gekommen.
LAOLA1: Hat es auch Spieler gegeben, denen Sie ihre spätere Entwicklung nicht zugetraut haben?
Gregoritsch: Den hatte ich nie beim ÖFB, sondern in Kapfenberg: Ich hätte nie geglaubt, dass Michael Liendl so einen Weg gehen wird. Der war ein Luftikus, hat nicht immer gespielt, war zwar ein Riesentalent aber galt als lauffaul und war von der Fitness her nicht so gut drauf. Unglaublich, wie sich der entwickelt hat! Es gibt wenige Spieler, die einer Mannschaft so den Stempel aufdrücken.
LAOLA1: Was ist mit Ihrem Sohn?
Gregoritsch: Seine Beurteilung war für mich immer schwierig. Er galt als Protektionskind. Ich habe aber gewusst, er hat das Zeug zu einem sehr guten Fußballer. Er spielt seit vielen Jahren in der deutschen Bundesliga, hat dort fast schon 200 Spiele gemacht. Das hätte ich ihm nie zugetraut.
LAOLA1: Wie haben Sie sich in diesen zehn Jahren als Trainer verändert?
Gregoritsch: Klar ist: Ruhiger werde ich nicht. (grinst) Das ist mein Naturell. Es war immer meine Stärke, Menschen mit meiner Emotion und meiner Energie bewegen zu können. Als Trainer ist es entscheidend, eine gewisse Erfahrung zu haben. Als ich als Profi-Trainer begonnen habe, hatte ich 150 Videos und über 100 Fachbücher daheim. Ich habe nur gearbeitet. Heute sehe ich, dass du dich bestens vorbereiten kannst, aber manchmal super Spiele ablieferst und es nicht schaffst, ein Tor zu schießen. Wenn es nicht sein will, kannst du machen, was du willst. Kennen Sie folgenden Satz von einem Trainer?
"Ich kann mir den Job ohne weiteres noch drei, vier Jahre vorstellen. Der Fußball ist nach wie vor ein Lebenselixier."
LAOLA1: Welchen?
Gregoritsch: "Ich habe einen Karriereplan." Als Trainer gibt es keinen Karriereplan. Das kannst du vergessen! Du bist so sehr von der Gegenwart abhängig. Es gibt erfolgreiche Trainer, die entlassen werden, weil sie auf einmal nicht mehr ins Anforderungsprofil des Sponsors passen. Ich bin in den letzten Jahren gelassener geworden.
LAOLA1: Warum?
Gregoritsch: Mich bedrückt die Corona-Situation. Verwandte von mir wären fast gestorben. Pflegepersonal wird attackiert, weil manche Idioten glauben, das ist Fake. Das passt nicht in mein Weltbild. Ich sehe Berichte aus der Ukraine, wo Kinder mit Infusionen im Arm im Keller liegen. 1,5 Millionen Kinder wissen nicht, wie ihr Leben weitergeht. Welche Traumata da entstehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich nochmal einen Krieg in Europa erlebe. Wir sind sehr privilegiert, dass wir Fußball spielen dürfen.
LAOLA1: Sie machen es mir schwer, das Gespräch wieder in Richtung Fußball zu lenken. Ich probiere es trotzdem. Karriereplan haben Sie keinen, das weiß ich jetzt. Sie sind 64 Jahre alt, Menschen in normalen Berufen denken da über ihre Pension nach. Wie ist das bei Ihnen?
Gregoritsch: Ich habe 91 Spiele als U21-Teamchef. Mein wichtigstes Spiel war jenes im Oktober 2020 kurz nach meinem Herzinfarkt. Wenn ich da gespürt hätte, dass ich körperliche Probleme kriege, hätte ich sofort aufgehört. Zum Glück war es nicht so. Ich kann mir den Job ohne weiteres noch drei, vier Jahre vorstellen. Der Fußball ist nach wie vor ein Lebenselixier. Ich kann mir aber nicht vorstellen, mit 70 Jahren noch auf der Bank zu sitzen.
LAOLA1: In den vergangenen zehn Jahren sind die Betreuerstäbe mehr und mehr angewachsen. Ist es Ihnen leichtgefallen, Dinge vermehrt zu delegieren, Entscheidungen abzugeben?
Gregoritsch: Mittlerweile fällt mir das leicht. Ich schätze es sehr, wenn junge Kollegen mit neuen Trainingsmethoden kommen. Die technischen Hilfsmittel haben sich enorm verändert. Du musst in der Trainingssteuerung nicht mehr nur nach Gefühl gehen, sondern hast messbare Parameter, die die Arbeit erleichtern.
LAOLA1: Gibt es etwas, was Sie als Trainer noch erleben wollen? Die tägliche Arbeit am Platz mit einer Vereinsmannschaft vielleicht?
Gregoritsch: Für mich stellt sich die Frage nicht, weil mich mein Job erfüllt. In den vergangenen zehn Jahren haben sich jedes Jahr zwei bis drei Funktionäre bei mir gemeldet, die mich gefragt haben, ob ich mir das vorstellen kann. Es hat sich aber nie ergeben, dass das zeitlich gut gepasst hätte, ich wollte meine U21-Mannschaft nie im Stich lassen. Mir macht die Arbeit als U21-Teamchef so viel Spaß. Mir fällt ein, wie ich mich als Trainer noch verändert habe.
LAOLA1: Wie denn?
Gregoritsch: Ich wollte früher immer gewinnen, gewinnen, gewinnen. Heute will ich es genießen. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Ich lebe nur in der Gegenwart. Diese zehn Jahre sind übrigens nicht das einzige Jubiläum.
LAOLA1: Wirklich?
Gregoritsch: Ich bin genau seit 50 Jahren im Fußball. Ich habe im März 1972 die Unterschrift meiner Mutter gefälscht, um beim GAK als Fußballer anzufangen. Seit da an musste ich jedes Wochenende gewinnen. Vor 33 Jahren wurde ich dann Trainer, vor 22 Jahren Profi-Trainer. Ich musste 40 Jahre lang jedes Wochenende gewinnen. Das prägt. Erst im Nationalteam gab es dann Auszeiten. Ich genieße es, gelernt zu haben, nicht immer gewinnen zu müssen, Niederlagen nicht persönlich zu nehmen. Früher war ich zu 70 Prozent der Gregoritsch und zu 30 Prozent rational. Abgesehen von manchen Stresssituationen habe ich inzwischen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Emotionalität und Rationalität. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
LAOLA1: Wenn ich mir die Fotos von Ihnen von vor zehn Jahren ansehe, schätze ich, dass sie 15 bis 20 Kilo weniger haben als damals.
Gregoritsch: (lacht) Das ist eine Frechheit, Rufschädigung! Ich gebe Ihnen Recht, dass sich bei mir in den letzten Jahren sehr viel verändert hat. Als Corona begonnen hat, wollte ich körperlich fit werden. Ich fühle mich wohl. Ich will nicht nochmal in die Situation kommen, total am Boden zu sein. Ich habe am 24. August mit meinem Leben abgeschlossen. (Anm.: Gregoritsch hatte beim Tennis einen Herzinfarkt) Ich bin dort gesessen, konnte mir nicht mehr helfen und habe geglaubt, mein Herz zerplatzt. Ich habe monatelang gelitten. Man glaubt nicht, was sich da danach im vegetativen Nervensystem abspielt, das ist, als ob man in eine Depression kommt. Der Fußball hat mich wieder aufgerichtet.