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Der Wert des Trainers - Animateur oder Entwickler?

Der Trainer ist das schwächste Glied in einer Kette, die im Schnitt alle 11 Monate reißt. Warum? Ein Gastkommentar von Pro-Lizenz-Coach Tilo Morbitzer:

Der Wert des Trainers - Animateur oder Entwickler? Foto: © GEPA

Tilo Morbitzer (46) ist seit 2014 im Besitz der UEFA-Pro-Lizenz. Der Deutsche hat Sportwissenschaften studiert und lebt seit über einem Jahrzehnt in Österreich. Seit 2018 arbeitet Morbitzer in verschiedenen Funktionen beim FC Flyeralarm Admira, aktuell ist er Cheftrainer der U16. Zuvor war er nicht nur Scout des VfB Stuttgart, sondern unter anderem auch Individual-Trainer der Nachwuchsakademie des SK Rapid und Sportlicher Leiter des Wiener Fußball-Verbands.

In diesem Gast-Kommentar für LAOLA1 macht er sich Gedanken über die Mechanismen des Trainer-Geschäfts:


Der Wert des Trainers – kurzfristiger Animateur oder Spiel- und Spielerentwickler?

Die Antrittsworte der Trainer, die die Chance auf Erfolg wittern und mit Euphorie einen neuen Job im Profifußball beginnen, sind bei den Pressekonferenzen nahezu deckungsgleich. Alle "freuen sich auf die neue Aufgabe und die Möglichkeit, langfristig etwas zu entwickeln, um gemeinsam erfolgreich zu sein und die Ziele des Vereins zu erreichen". An ihren Seiten sitzen jeweils die Entscheidungsträger, die für die Bestellung des neuen Heilsbringers verantwortlich zeichnen und sind "zu 100% Prozent davon überzeugt, den Richtigen für diese Aufgabe gefunden zu haben".

Gemessen an der durchschnittlichen Verweildauer eines Profitrainers im Erwachsenenfußball, die mittlerweile bei ca. 11 Monaten liegt, erscheinen diese Aussagen immer mehr sehr optimistisch und man ist beinahe geneigt zu sagen, etwas zu optimistisch. Zu sehr ist der Trainer der Spielball im Fußballzirkus, der die Aufgabe hat, alle in diesem System zufriedenzustellen und aufpassen muss, nicht zwischen allen Fronten aufgerieben zu werden.

13,6 Trainer-Entlassungen pro Jahr in der deutschen Bundesliga

Alle glücklich zu machen, ist der Auftrag – die Spieler, den Sportdirektor, das Präsidium, den Vorstand, die Fans und natürlich nicht zuletzt auch die Medien. Nur allzu oft eine Sisyphos-Aufgabe, denn irgendwer ist immer unzufrieden und das schwächste Glied in der Kette ist am Ende zumeist der Trainer. Und dann dauert es nicht lange und der nächste Heilsbringer sitzt bei der Pressekonferenz und ist sich sicher, dass er "das Ruder herumreißen wird".

Eine Studie der Universitäten Münster und Kassel hat ca. 150 Trainerwechsel zwischen 1963 und 2009 genau unter die Lupe genommen und festgestellt, dass Trainerwechsel in der Gesamtheit betrachtet, eigentlich keinen spürbaren Effekt haben. In diesem Wissen sprechen 819 Trainerwechsel in der deutschen Bundesliga seit der Saison 1963/64 bis heute eine mehr als deutliche Sprache. Umgerechnet sind das 13,6 Trainerentlassungen pro Jahr, bei 18 Vereinen in der Liga.

Der einzige Hebel zur Veränderung, der den Entscheidungsträgern in den Sinn kommt, ist also trotzdem meistens der, des Trainerwechsels. Das ist wahrscheinlich die schnellste und bequemste, wenn auch nicht immer die billigste Lösung, um etwas zu verändern. Die einfachste Handlung ist immer die Symptombekämpfung, anstatt den Ursachen auf den Grund zu gehen. Das soll keinesfalls heißen, dass der Trainer niemals die Ursache ist und kein Trainerwechsel sinnvoll ist. Natürlich gibt es auch genügend Trainerwechsel, die sich als erfolgreiche Entscheidungen entpuppt haben.

Doch wie kann es sein, dass der wichtigste "Abteilungsleiter" eines Vereins bzw. eines Unternehmens, der hauptverantwortlich für die sportliche Performance und das Erreichen der sportlichen Ziele ist, das schwächste Glied in der Kette ist, die im Schnitt alle 11 Monate reißt?

Welche Mechanismen im System "Fußball" schwächen diese "wichtigste Funktion" in ihrer Position permanent und machen sie von allen Seiten angreifbar?

Die Medien und die ehemaligen Größen

Die Medien spielen in der öffentlichen Meinungsmache natürlich die größte Rolle und zeichnen das von ihnen gewünschte Bild eines Trainers. Damit sind sie ohne Frage mit in der Verantwortung, eine Trainerdiskussion zu schüren, ob der Trainer noch tragbar ist oder nicht.

Ex-Bundestrainer Hansi Flick
Foto: © getty

Auch ehemalige Spieler und Größen des Fußballgeschäfts schwächen mit ihren Aussagen in der Öffentlichkeit die Position des Trainers. Wie zuletzt Mario Basler im "Sport1 Doppelpass", der zwar die deutschen Nationalspieler als "11 Blinde" bezeichnet hat, um somit den Trainer Flick wohl irgendwie aus der Schusslinie zu nehmen, aber nicht mit Stefan Effenbergs Antwort gerechnet hat, der Flick sofort wieder zurück in die Schusslinie stellte. Effenberg konterte die "11 Blinden"-Aussage Baslers mit den Worten: "Ich habe ein Problem mit der Aussage über die '11 Blinden', das stimmt so einfach nicht. Das sind alles super Spieler, und dass die ihre Leistung nicht bringen, liegt am Trainer."

Aber Mario Basler wäre nicht Mario Basler, wenn er darauf nicht sofort einen Gegenkonter gehabt hätte. Nur leider stärkte er damit nicht noch einmal die Position des Trainers, sondern schwächte sie in einem Ausmaß, das ihm wahrscheinlich selbst nicht bewusst war, obwohl er selbst seit 2004 immer wieder als Trainer arbeitet und schon längst die Trainerperspektive haben müsste. Er fragte Effenberg: "Hast du früher denn auf den Trainer gehört?! Mir war es doch immer egal, was der Trainer sagt!" Damit brachte er nicht nur Stefan Effenberg in die Bredouille, aus der dieser sich jedoch gekonnt herauswinden konnte, er beförderte die Funktion des Trainers eigentlich in die Bedeutungslosigkeit und stellte die Macht der Spieler über den Trainer.

Die Spieler und die Fans

Und damit sind wir bei den Spielern, die auch immer wieder erheblichen Anteil am schnellen Austausch ihres Übungsleiters haben und dadurch mächtiger sind, als ihr Chef. Wenn man die Leistungen, vor allem die Defensivarbeit gegen den Ball, der beiden Spiele Deutschlands bei der Niederlage gegen Japan (1:4), noch unter Flick, bei der so manches Gegentor durch auffällige Passivität der Verteidigung begünstigt wurde, und beim Sieg gegen Frankreich (2:1) vergleicht, fällt es tatsächlich schwer, zu glauben, dass alle Spieler gerne mit Hansi Flick weitergemacht hätten. Somit bestand Handlungsbedarf und der Trainer wurde entlassen.

Spieler, die ihr persönliches Ego nicht in den Dienst einer Mannschaft stellen, sondern darüber, sind oder werden immer zu einem Problem für den Trainer, sobald ihnen bei mangelhaften Leistungen entweder der rote Teppich nicht mehr ausgerollt wird oder der sportliche Erfolg ausbleibt. Im schlimmsten Fall trifft sogar beides zu. Sind derartige Spieler dann noch Lieblinge der Fans, ist der Machtkampf zwischen Spieler und Trainer vorprogrammiert.

Die Fans, die eigentlich aus Liebe zum Verein agieren sollten, spielen mancherorts eine weitaus größere Rolle, als die der lautstarken Unterstützung bei einem Spiel. Oftmals greifen sie durch ihre Macht, die Mannschaft bei Erfolg zu pushen oder bei Misserfolg mit Abwesenheit und Pfiffen zu bestrafen, auch in sportpolitische und personelle Entscheidungen ein. So mancher Trainer musste seinen Platz räumen, weil er sich mit den Fans angelegt hatte und dadurch die Entscheidungsträger dem öffentlichen Druck der sogenannten Fans nicht mehr standhalten konnten.

Die Entscheidungsträger

Die sportlichen Entscheidungsträger des Vereins, ob das die Sportdirektoren, die Präsidenten, die Manager, die Vorstände oder im schlimmsten Fall durch die Macht des Geldes Sponsoren sind, sind die einzigen Instanzen, die den Trainer stärken und schützen können. Aber aufgrund persönlicher Interessen bzw. Differenzen oder sportpolitischer Interessen geschieht auch hier oftmals das Gegenteil. Wie kann es sein, dass ein Verein einen Trainer nach zwei Niederlagen entlässt, der davor zwei Jahre hintereinander aufgestiegen ist und auch in der 2. Liga einen Start mit 3 Siegen hinlegen konnte? Wie ist es möglich, dass ein Trainer eines Zweitligavereins, einen Job nach wenigen Wochen kündigt, den viele Trainer als Traumjob definieren würden?

Sobald die genannten Entscheidungsträger den Trainer aus persönlichen oder sportpolitischen Gründen nicht mehr schützen oder wenn sie aufgrund fehlender Identität, was Konzept, Philosophie oder Zielformulierung des Vereins anbelangt, zu schnellen und überstürzten Trainerwechseln neigen, ist der Trainer bei ausbleibendem Erfolg sehr schnell zum Abschuss freigegeben.

Und damit ist das Streben nach Langfristigkeit und nachhaltiger Entwicklung mit dem jeder Trainer sein Amt antritt, wenn er nicht klar ausgesprochen als Feuerwehrmann geholt wird, nahezu ein Ding der Unmöglichkeit und das einzige Ziel, das jedem Trainer bleibt, ist es, das nächste Spiel zu gewinnen. Derartige Entscheidungsträger sind nicht dazu in der Lage, ein gesundes System zu entwickeln und im Verein zu installieren. Unklare Machtverhältnisse und damit viele Trainerwechsel ohne Effekt kennzeichnen deren Arbeit, ohne dass sie sich selbst hinterfragen, ob sie wirklich positive Arbeitsbedingungen schaffen und gute Entscheidungen in ihrer Position treffen, wenn der 10. Heilsbringer in 7 Jahren wieder nicht eingeschlagen hat.

Es gibt Ausnahmen! Warum?

WSG-Langzeit-Trainer Thomas Silberberger
Foto: © GEPA

Aber manchen Trainern gelingt es dennoch, sehr lange im Amt zu bleiben und langfristig erfolgreich zu entwickeln und zu arbeiten. In Österreich steht dafür Thomas Silberberger, der seit über 10 Jahren das Zepter bei der WSG Tirol in der Hand hält und auch davor schon beim FC Kufstein 6 Jahre lang gearbeitet hat. Das macht zwei Trainerstationen in 16 Jahren.

Warum nützen sich manche Trainer also nicht ab? Wieso wurden Trainer, wie Jürgen Klopp und Pep Guardiola oder auch Christian Streich vom SC Freiburg und Frank Schmidt vom 1.FC Heidenheim noch nie entlassen? Liegt das einzig und allein an ihren außergewöhnlichen Persönlichkeiten? Sind sie fachlich so viel besser als andere? Oder haben sie vielleicht noch außergewöhnlichere Fähigkeiten im Umgang mit Menschen und sind auf emotional-sozialer Kompetenzebene unschlagbar bzw. "nicht abnutzbar"?

Oder sind es die Vereine, wie der SC Freiburg oder Heidenheim, die es offenbar schaffen, gesunde Systeme zu entwickeln, geduldig zu bleiben und nicht beim ersten Gegenwind den Trainer zu entlassen?

Vermutlich hängen diese beiden Faktoren untrennbar zusammen. Vereine, die dazu in der Lage sind, eine klare Identität zu schaffen, an ihre Vereinsphilosophie auch im Falle einer Misserfolgszeit zu glauben, den Mitarbeitern, allen voran dem Trainer, weiterhin das Vertrauen zu schenken, können ein gesundes System entwickeln, installieren und konsequent leben. Entscheidungsträger mit emotional-sozialen Fähigkeiten werden Teams zusammenstellen, die harmonisch miteinander arbeiten werden, was nicht heißen soll, dass es dort keine Reibungen gibt. Im Gegenteil, aber die Reibung führt zu konstruktiver Kritik und respektvollem Umgang.

Spieler und auch andere Mitarbeiter, die ihr Ego über den Verein und seine Identität stellen, sind in einem gesunden System nicht mächtiger als der Trainer und werden den Verein voraussichtlich wieder verlassen müssen, wenn sie diese Philosophie nicht mittragen wollen oder können. Fans, die sich sportpolitisch verwirklichen wollen, haben bei solch einem Verein keine Macht.

Gesunde Systeme sind die ideale Plattform für Trainer, die ebenfalls nicht nur fachlich top sind, sondern auch sogenannte "Menschenfänger". Deshalb nützt sich ein Christian Streich in Freiburg nicht ab. Deshalb konnte ein Frank Schmidt Heidenheim von der 5. Liga in die 1. Bundesliga führen und seit 17 Jahren dort erfolgreich arbeiten. Deshalb gehen die Spieler, die ihre Egos zum Wohle des Mannschaftserfolges einbringen, für Trainer, wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola, jahrelang durchs Feuer und bleiben hungrig nach Erfolg.

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