Im Jahr 1995 hat das sogenannte „Bosman-Urteil“ den Profi-Fußball nachhaltig verändert.
Damals entschied der Europäische Gerichtshof, dass Profi-Fußballer nach dem Ende ihres Vertrages ablösefrei den Verein wechseln dürfen.
In Österreich könnte es aktuell zu einem Urteil ähnlichen Ausmaßes gekommen sein, wenn auch für den Amateur-Fußball. Es handelt sich um das Verfahren von Skispringer Lukas Müller gegen den heimischen Ski-Verband (ÖSV).
Müller hat sich einst als Vorspringer für die Skiflug-WM 2016 auf dem Kulm einen inkompletten Querschnitt zugezogen und sitzt seither im Rollstuhl. Das Verwaltungsgericht hat nun entschieden, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt und nicht - wie es der ÖSV und der Veranstalter eingestuft haben - um einen Freizeit-Unfall.
"Aus diesem Urteil ist definitiv herauszulesen, dass diese Sorglosigkeit, wie man bisher von den Verbänden mit den Sportlern umgegangen ist, Geschichte ist", erhofft sich Dr. Rudolf Novotny im Gespräch mit LAOLA1 eine positive Entwicklung.
Novotny ist federführend bei der Vereinigung der Fußballer, kurz VdF, und hat sich stark für Müller eingesetzt: "Wir haben Lukas Müller unterstützt und ermutigt, diesen Prozess zu führen und ihm die entsprechende Hilfestellung gegeben."
Auswirkungen auf den Amateur-Fußball
Was hat allerdings das Urteil eines Skispringers mit dem Amateur-Fußball zu tun? Sehr viel, wie Novotny erklärt. Durch das Müller-Urteil ist die Trennung zwischen Spaß und einem dienstähnlichen Verhältnis sehr nah aneinander gerückt.
Der Arbeitsrecht-Experte gibt ein Beispiel: "Ich kenne keinen Regionalliga-Kicker, der umsonst spielt. Da gibt es auch gegenseitige Rechte und Pflichten. Der Verein sagt ja, wenn du nicht zum Training erscheinst, dann streich ich etwas. Gleichzeitig will der Fußballer selbst, seine ausgemachten Zahlungen haben. Es gibt also gegenseitige Rechte und Pflichten. Dann ist das ein Dienstverhältnis, dann ist es keine Freizeit mehr."
"Gott sei Dank ist am Spielfeld schon ein Unglücksfall einer zu viel, aber da geht es auch darum, was passiert, wenn einer zum Training fährt. Im Arbeitsleben ist das ein Arbeitsunfall, weil man ja zum Dienst fährt", gibt Novotny zu denken.
Er warnt davor, dieses Thema zu leichtfertig zu behandeln: "Solche Themen werden immer dann diskutiert, wenn ein dramatischer Fall vorliegt. Ich habe immer gefragt, was passiert, wenn ein 31-jähriger Regionalliga-Spieler mit zwei Kinder tödlich am Weg zum Training verunglückt? Da gibt es nichts mehr."
Keine Kosten-Frage
Auf die Vereine könnten nun natürlich Mehrkosten zukommen, wenn sie ihre Spieler versichern. Für Novotny eine falsche Sicht auf die Dinge.
"Ich gebe ein Beispiel: Ich hatte einmal eine Diskussion mit einem 2. Klasse-Klub aus der Steiermark geführt und habe ihnen gesagt, dass der slowenische Spieler, der für sie spielt, zu versichern ist. Der bekommt ein Gehalt, der kommt zum Training", erklärt Novotny und meint weiter: "Ich muss mir im Verein, im Rahmen meiner Sorgfaltspflicht überlegen, ob ich so etwas überhaupt mache. Was heißt das an Mehrkosten? Wenn ich mir den (slowenischen Spieler, Anm.) hole, kann ich nicht sagen, dass er mir mehr kostet. Ich zahle einem Slowenen definitiv mehr als einem, der möglicherweise im Nebenhaus wohnt."
Er fordert eine Änderung der Sichtweise: "Wenn ich das machen will, dann gehe ich entsprechende Verpflichtungen ein. Ich kann nicht sagen, dass ich zwar gerne den Erfolg mit ihm hätte, aber übernehme dafür gar keine Verantwortung, wenn irgendetwas passiert."
"Ich muss den ja nicht unter dem Tisch zahlen, dann mach ich das transparent. Angenommen er bekommt 1.000 Euro im Monat, dann bekommt er vielleicht nur 900 Euro, wenn die Versicherung 100 Euro kostet - wird sie eh nicht kosten. Ich muss mir klar sein, dass ich das nicht unter dem Tisch machen kann, weil ich glaube, das ist eh nur ein Spaß", so Novotnys Plädoyer. "Wo gibt es den Auftrag, unbedingt aus einem Fünftliga-Klub einen Champions-League-Teilnehmer zu machen? Du musst das ja nicht machen, aber wenn du es machst, dann gefälligst ordentlich."
Kritik am ÖFB
Dass diese Regelungen und Verpflichtungen vom Fußballverband (ÖFB) und anderen Verbänden ignoriert werden, sorgt bei Novotny für große Verärgerung.
"Die Bundesliga ist ja geregelt, das ist durch den Kollektivvertrag völlig eindeutig. Nur wenn ich jetzt in eine dritte Leistungsstufe gehe, sagt der ÖFB, das sind alles nur Amateure. Die machen das ja alle in der Freizeit und aus Spaß an der Freude", kritisiert der VdF-Funktionär.
"Wenn einer zum Training erscheinen muss und Geld dafür bekommt, habe ich alle typischen Merkmale eines Dienstverhältnisses. Der Verband wiegt die Vereine in einer Schein-Sicherheit."
Der Buhmann will Novotny nicht sein: "Wenn du als Vertreter der Sportler auf so etwas aufmerksam machst, störst du die heile Welt. Wir sind ja alle nur zum Spaß am Sportplatz - das stimmt aber so nicht."
Er stellt die rhetorische Frage: "Ist das so wie das Gladiatorentum, wo ich mich in der Zuschauerrolle daran erquicke, wie der seinem Schicksal entgegenfährt? Oder ist es so, dass ich dafür sorge, dass ich das nicht zulasse?"
Wenig Hoffnung an Politik
Aktuell gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt und sich Gedanken um ein Berufssport-Gesetz machen soll. Das Müller-Urteil hat die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes unterstrichen.
Doch Novotny hat diesbezüglich wenig Hoffnung: "Ich war vor 15 Jahren in so einer Arbeitsgruppe, als das schon einmal diskutiert wurde. Dort bin ich unzähligen Verbandsvertretern gegenüber gesessen und habe festgestellt, dass sie eigentlich ein Funktionärs-Gesetz machen, damit sie ja keine Verantwortung haben."
Mit dem Gesetz könnte Klarheit herrschen. Das Urteil in der Causa Lukas Müller hat in jeder Hinsicht jetzt schon einen Präzedenzfall für den gesamten österreichischen Sport geschaffen.
So, wie es einst 1995 das Urteil um den belgischen Kicker Jean-Marc Bosman für den Profi-Fußball geschaffen hat.