Alexander Manninger hat mit 19 Jahren für den GAK gegen Inter Mailand sein Europacup-Debüt gefeiert, ein Jahr davor war er für Vorwärts Steyr schon in der Bundesliga im Einsatz.
In einer Zeit, in der junge Torhüter praktisch keine Chancen bekamen, war der Salzburger ein Senkrechtstarter. Als Teenager folgte der Wechsel zu Arsenal. Fiorentina, Torino, Siena, Bologna, Red Bull Salzburg, jahrelang Backup für Gigi Buffon bei Juventus, dann Augsburg und zum Abschluss die Anfangszeit von Jürgen Klopp beim FC Liverpool – Manninger hat eine unglaubliche Karriere hingelegt.
Mit 40 Jahren erst hat der 33-fache ÖFB-Teamgoalie seine Laufbahn beendet. Und danach wurde es sehr ruhig um ihn.
„Ich hatte nach meinem Karriereende nie wieder Handschuhe an“, verrät der 44-Jährige im LAOLA1-Interview. Im Rahmen des „Fußballkongress“ in der Wiener Generali Arena nimmt sich der frühere Profi Zeit, um in einem sehr offenen Gespräch über seine Zeit nach dem Schlusspfiff zu sprechen.
Außerdem erklärt Manninger, warum das Verhältnis zum ÖFB-Team oft schwierig war und unter welchen Umständen er ins Fußballgeschäft zurückkehren könnte.
LAOLA1: Nach deinem Karriereende ist es ruhig geworden um dich. Was machst du eigentlich so?
Alexander Manninger: Das war auch bewusst. Dieser Trubel ist schön, aber auch belastend. Mir war relativ bald klar, dass mein Zuhause wieder Österreich sein wird, nämlich Salzburg. Ich schätze, was ich habe und woher ich komme. Ich will so leben wie einer, der nicht Fußball gespielt hat. Ich bin gelernter Tischler, bin da wieder verwurzelt. Ich befasse mich viel mit Immobilien-Einrichtung, mit der Bau-Situation. Ich bin wieder zurück zu den Wurzeln.
(Interview wird unter dem Video fortgesetzt)
LAOLA1: Und der Sport?
Manninger: Ich bin nach wie vor Sportler, natürlich. Aber wenig Fußball – ich schaue mir das eine oder andere Spiel an, etwa wenn mich Salzburg einlädt. Vor einem Jahr war ich in London, habe mir ein Arsenal-Spiel angesehen. Nach Augsburg sollte ich auch mal wieder. Aber an der Tagesordnung steht Fußball nicht, da eher Skifahren, Golfen und Fischen.
"Ich schätze den Fußball sogar, aber es ist ein anderer Fußball als der, den ich kenne"
LAOLA1: Spielst du selbst noch hin und wieder?
Manninger: Ich hatte nach meinem Karriereende nie wieder Handschuhe an. Toni Pfeffer hat mich erst gefragt, ob ich bei der Copa Pele mitspielen will. Ich bin da gerne dort, aber ich glaube nicht, dass ich spielen werde. Ich bin im Kopf nicht bereit. Ich kenne einige, die nach ihre Profikarriere noch irgendwo ein bisschen spielen, das hat es bei mir nicht gegeben. Ich mache so viele andere Sportarten gerne, die ich viel lieber mache.
LAOLA1: Geht es dir gar nicht ab?
Manninger: Nein! Ich habe nach meinem Karriereende 2017 bewusst ein Jahr lang nichts gemacht. Ich habe mir keine Spiele angesehen, bin in kein Stadion gegangen. Ich habe mir gedacht: „Irgendwas muss dir doch fehlen!“ Aber wenn du so lange dabei warst und alles gesehen und erlebt hast, wenn du weißt, was dazugehört, ganz oben zu sein, wenn du weißt, was es heißt, nicht ganz oben zu sein, verletzt zu sein, dann sagst du dir ab 40, dass du etwas anderes machen kannst. Ich habe bei einigen Freunden und Kollegen gesehen, dass es oft gefährlich wird, was man danach macht. Deswegen habe ich auf Golfen, Fischen und Wandern gesetzt, das ist weniger gefährlich. (schmunzelt)
LAOLA1: Das klingt, als ob du nach deinem Karriereende ziemlich die Schnauze voll gehabt hättest – vom Fußball, vom Business, von dem ganzen Trubel.
Manninger: Du hast nicht Unrecht. Schnauze voll ist vielleicht grob ausgedrückt. Nennen wir es so: Ich war müde. Ich habe sehr viel investiert, habe vieles hintenangestellt – Freunde, Familie. Ich habe vieles geopfert. Ich war 20 Jahre im Ausland, das fordert Verzicht. Ich bin aber kein Fußball-Gegner, sage nicht, dass alles schlecht ist. Ich sehe aber den Fußball mit anderen Augen. Ich schätze den Fußball sogar, aber es ist ein anderer Fußball als der, den ich kenne. Darum tut es mir ganz gut, nicht mehr täglich dabei zu sein, das aus der Distanz zu sehen.
LAOLA1: Während deiner langen Karriere hat sich der Fußball extrem weiterentwickelt.
Manninger: Ich war 22 Jahre lang Profi. Ich habe drei Abschnitte mitgemacht. Am Anfang waren es Beruf, Arbeit und Sport. Dann war es lange Medien, Sport und Marketing. Jetzt ist es überwiegend Schauspiel, Social Media und Reinpassen in das Bild. Wir sind von den ersten vier, fünf Eigenschaften weggekommen. Ich will nicht bewerten, was besser ist, aber die Faktoren haben sich komplett verschoben. Talent, Trainingseifer, Motivation – das ist anders zu sehen als vor 15, 20 Jahren. Inzwischen sind Jugendliche Profis, die haben die Erwartungshaltung, Spiele zu entscheiden. Das hat es zu meiner Zeit nicht gegeben. Da hast du mal zehn Jahre spielen müssen, um zu wissen, was es überhaupt heißt, ein Spiel rüberzubringen, auf Ergebnis zu spielen.
LAOLA1: Die Hierarchien sind flacher geworden.
Manninger: Es hat sich verschoben, es ist viel kurzfristiger geworden. Spieler hören mit 30 Jahren auf. Mit 28 Jahren kann es aus sein, wenn du keinen Vertrag mehr hast, kann es sein, dass du eine Liga weiter runter musst. Auch das Umfeld, es sind Gelder im Spiel… Ich bin keinem etwas neidig, aber ich hinterfrage schon, ob es richtig ist. Ist es diese Branche wert, diese Gelder zu zahlen? Ich spreche da gar nicht von denen, die am Feld stehen. Aber es gibt Positionen im Fußball, die bekleiden Leute, die nie am Feld gestanden sind. Wie weit versalzen diese Positionen die Suppe?
LAOLA1: Du hast angesprochen, dass Selbstvermarktung und Selbstdarstellung immer wichtiger werden. Du warst schon als Aktiver keiner, der sich gerne ins Rampenlicht gestellt hat. Denkst du, dass dir das im Laufe deiner Karriere geschadet hat? Hattest du dadurch nicht den Stellenwert, den du dir verdient hättest?
Manninger: Von den Vereinen habe ich immer Wertschätzung erfahren. Aber ja, die Außendarstellung war vielleicht ein bisschen das Problem. Ich war jung im Ausland, dadurch ist mir die Wertschätzung immer ein bisschen abhandengekommen. Es wurde immer wieder hinterfragt: Macht er das Richtige? Es war nicht immer alles richtig, ganz klar. Andererseits hat es mir Druck erspart, dass ich meine Nase nicht immer überall reingesteckt habe, wenn ich sowieso schon den einen oder anderen misstrauischen Blick gegen mich hatte. Und dann war da das Nationalteam…
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(Interview wird unter dem Video fortgesetzt)
LAOLA1: Wo es nie so recht geklappt hat.
Manninger: Ich schaue da mit einem weinenden Auge zurück. Ich war nichts anderes lieber als Österreicher. Ich habe früh in meiner Karriere in Salzburg erfahren dürfen, was richtiger Fußball ist. Ich bin mit 20 Jahren zu Arsenal gekommen. Ich wollte mich da nicht mit Negativem belasten. Aus den heimischen Reihen ist aber viel Negatives gekommen. Mit 30 Jahren habe ich dann das Nationalteam – leider – liegen gelassen. Das sind Entscheidungen, die weh tun. Aber das hat sich aufgebaut, es war nicht einmal ein schlechtes Tor, einmal Kritik. Irgendwann habe ich mir gesagt: „Ich habe mir in den letzten Jahren jetzt drei Mal weh getan und es war drei Mal beim Nationalteam.“
"Mit 30 habe ich den Mut aufgebracht, mir die Frage zu stellen, wo ich gut bin. Und das liegt ja nicht nur an einem selbst, sondern auch am Umfeld."
LAOLA1: Und dann hast du Konsequenzen gezogen, bist zurückgetreten.
Manninger: Dieser Rucksack ist so schwer geworden, dass ich ihn lieber geleert habe. Im Nachhinein würde ich Sachen vielleicht anders machen. Damals habe ich mir die Frage gestellt, ob ich durch ganz Europa reisen soll, um dann nicht zu spielen, oder ob ich mich für Juventus reinknien soll, was mein täglich Brot ist. Irgendwann filtert man aus. Mit 30 habe ich den Mut aufgebracht, mir die Frage zu stellen, wo ich gut bin. Und das liegt ja nicht nur an einem selbst, sondern auch am Umfeld.
LAOLA1: Du warst zuletzt bei einem Talk bei Servus TV, bist jetzt hier am Fußballkongress. Willst du wieder zurück ins Fußballgeschäft?
Manninger: Das hat sich ergeben. Es sind Leute da, die mich meine ganze Karriere begleitet haben. Ich spüre den Respekt dieser Leute. Wenn dann beide Seiten sagen, dass das interessant ist, dann macht man sowas. Es gibt nichts Schöneres im Sport, als Dinge zu teilen. Wenn Leute Dinge teilen wollen, bin ich der Letzte, der Nein sagt. Wobei man als Tormann ja ein bisschen Einzelsportler ist. Man steckt genug ein. Diese kurzen Hosen haben nicht genug Taschen für all die Dinge, die man einstecken muss.
LAOLA1: Wir sitzen hier auf der Tribüne der Generali Arena.
Manninger: Vor 20 Jahren konnte sich keiner vorstellen, dass das mal so aussieht. Ich sage das nicht, weil ich dorther komme: Salzburg ist sehr viel für diesen Trend in Österreich verantwortlich – sie haben viel geleistet in einem Sport, der gerne größer sein würde, als er es bei uns ist. Zu meiner Zeit vielleicht noch nicht, aber in den letzten zehn Jahren hat Salzburg vieles richtig gemacht.
LAOLA1: Du hast in der Anfangszeit bei Red Bull Salzburg gespielt, damals war wohl nur schwer vorstellbar, in welche Richtung sich das entwickelt hat.
Manninger: Kompliment! Andere Vereine haben es mit einem ähnlichen Aufwand probiert, aber nach vier, fünf Jahren gesagt, dass es nicht geht, dass es sich nicht auszahlt. In Salzburg hat es Verantwortliche gegeben, die sich gesagt haben, dass man mal hinfallen kann, aber eben auch wieder aufstehen sollte. Mittlerweile muss Salzburg niemandem mehr etwas beweisen, sie werden kopiert. Es war Geduld, es war viel Geld und es waren viele Dinge, die sie richtig gemacht haben. Davon profitiert die ganze Liga.
LAOLA1: Was müsste passieren, damit du wieder in dieses kurzlebige Tagesgeschäft Fußball einsteigst?
Manninger: Nichts Weltbewegendes. Ich habe mein Leben lang Fußball gespielt, habe einiges gesehen. Man muss sich die richtige Tür in die Hand geben, man muss sich spüren. Bei mir war es immer so, dass ich mich spüren musste. Wenn dieses Gefühl nicht mehr da war, war ich der Erste, der eine Entscheidung getroffen hat. Diese Entscheidungen haben mich immer durch die nächste Tür gehen lassen. Wenn sich etwas ergibt, warum nicht? Wenn ich mich in einer Funktion wieder spüre… Nach vier Jahren ohne Fußball kann ich sagen, dass die Emotionen selten so groß waren wie während meiner Zeit im Fußball. Fußball ist sehr nahe an der Emotion, deswegen will ja auch jeder dabei sein – Politik, Menschen mit Geld, Menschen ohne Geld. Fußball teilt Vieles. Und ich kann mir gut vorstellen, Dinge zu teilen. Ich bin bereit, wieder etwas zu tun.
LAOLA1: Abschließend noch ein aktuelles Thema: Wie hast du den ersten Auftritt des ÖFB-Teams bei der EURO 2020 erlebt? Was traust du der Mannschaft noch zu?
Manninger: Positiv! Das ist wirklich eine Mannschaft. Das ist ein Trainer, der weiß, worum es geht. Er kann 26 Leute bei Laune halten. Man sieht, dass in einer funktionierenden Mannschaft Einwechselspieler Partien entscheiden. Ich traue ihnen zu, dass sie uns alle überraschen. Ich spüre so ein bisschen die allgemeine Meinung: „Gut, aber nicht gut genug. Schön, aber nicht schön genug.“ Lassen wir die Latte doch einmal dort, wo sie liegt. Wir haben erstmals ein Spiel bei einer EM gewonnen. Wir haben mit der Geschichte gebrochen. Wir spielen gut. Wir schießen drei Tore. Ich sehe nur Positives. Aber ich würde deswegen nicht mit der Arbeit aufhören. Aber die Sorge habe ich nicht, ich sehe, dass alle hungrig auf mehr sind. Ich sehe Hunger und Funkeln in den Augen – das ist für einen Sportler das Wichtigste. Das war hierzulande nicht immer so.