Das Coronavirus hat die Welt weiter fest im Griff. Auch in Aserbaidschan ist das Leben zum Stillstand gekommen.
Die ehemalige Sowjetrepublik – unwesentlich größer als Österreich und von rund elf Millionen Menschen bevölkert - liegt zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus. Die Hauptstadt Baku an der Westküste des Kaspischen Meers bildet das wirtschaftliche Zentrum der Region. Dort wohnt seit September 2018 - mit Blick auf den derzeit menschenleeren Sandstrand inklusive der großzügig angelegten Promenade - mit Fritz Stuchlik auch einer der bekanntesten Schiedsrichter-Namen Österreichs.
Der 54-jährige, langjährige FIFA-Referee ist als Vorsitzender der Schiedsrichterkommission beim Fußballverband von Aserbaidschan tätig. "Beim Blick aus dem Fenster sehe ich wie die Polizisten im Golf-Cart auf der Promenade patrouillieren", schildert Stuchlik im Video-Call.
Der ehemalige ÖFB-Schiedsrichter-Manager berichtet weiter: "Es sind in Baku nur ganz wenige Hotels geöffnet, etliche sind als Not-Quartiere für mögliche Corona-Erkrankte umgerüstet worden, falls die Spitäler voll ausgelastet sind. Das öffentliche Leben ist komplett heruntergefahren, nur ein Bruchteil des ansonsten enormen Verkehrs in der Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole Baku rollt noch über die Stadt-Autobahnen, auf denen überall Kontroll-Stationen eingerichtet sind, wo die Polizei die Ausgang-Erlaubnis überprüft."
Ende Februar anlässlich eines UEFA-Workshops am Flughafen Wien-Schwechat war Stuchlik zuletzt in Österreich. "Ein Kurzaufenthalt, der zufällig in meiner Heimat stattgefunden hat. Ich kann derzeit auch nicht sagen, wann ich wieder nach Wien kommen werde. Mein Motto lautet aktuell also wie jenes der Assistenten im Schiedsrichterwesen: Wait and see!"
Im LAOLA1-Interview gewährt Fritz Stuchlik einen Einblick über seine aktuelle Situation sowie die Lage des Profi-Fußballs und des Schiedsrichterwesens in Aserbaidschan.
(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)
LAOLA1: Das Außenministerium hat versucht, alle Österreicher zurück ins Land zu holen. Warum sitzt du weiter in Baku?
Fritz Stuchlik: Die Überlegung war in zwei Richtungen. Wenn ich zurückkomme nach Österreich, dann bin ich zwei Wochen in der Quarantäne. Sollte ich danach wieder nach Aserbaidschan reisen, dann erwartet mich dort die nächste Quarantäne – möglicherweise 14 Tage oder sogar länger. Die zweite Überlegung war natürlich, dass ich in Baku bin, sollte der Fußball wieder losgehen, da ich ja eine Verpflichtung gegenüber dem aserbaidschanischen Verband habe.
LAOLA1: Hast du Kontakt zum Außenministerium oder zur Botschaft?
Stuchlik: Ich werde laufend von der österreichischen Botschaft in Baku kontaktiert und bekomme alle notwendigen Informationen. Das funktioniert großartig, alle sind sehr bemüht.
LAOLA1: Wie arg wütet das Coronavirus in Aserbaidschan, was bekommst du mit?
Stuchlik: Die neuesten Meldungen sind nicht übertrieben besorgniserregend. Es gab zuletzt täglich etwa 50 Neuansteckungen. Das ist bei mehr als zehn Millionen Einwohner im Land nicht dramatisch. Die Regierung ist aber offensichtlich sehr besorgt, dass mehr passieren könnte und hat eine Reihe von Maßnahmen erlassen. Neben dem Verbot von Sport- und allen anderen Veranstaltungen dürfen Leute, die nicht in systemrelevanten Jobs tätig sind, auch nicht zur Arbeit gehen. Seit zehn Tagen gibt es eine Ausgangssperre. Du kannst nur nach vorheriger Anmeldung per SMS und mit einem Code sowie der gleichzeitigen Eingabe deiner Personalnummer und dem nachfolgenden Erlaubnis-SMS deinen Wohnort verlassen. Die Gründe dafür sind simpel. Du darfst maximal zwei Stunden einkaufen oder eine halbe Stunde pro Tag spazieren gehen sowie medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, also die Apotheke aufsuchen oder zum Arzt gehen. Die SMS wird umgehend zurückgeschickt und dient zur Überprüfung auf der Straße, sollte man von der Polizei angehalten werden.
LAOLA1: Wie viele Spieltage sind in der Premyer Ligasi – der höchsten Spielklasse in Aserbaidschan – noch ausständig?
Stuchlik: Im Profi-Fußball sind noch acht Spieltage offen. Dazu kommen noch Cup-Halbfinale und Finale. Inwieweit es notwendig ist, die ausstehenden Spiele noch zu bestreiten, kann ich schwer beurteilen. Fakt ist jedenfalls, dass die Positionen in der Tabelle klar bezogen sind. Qarabag (Anmerkung: 45 Punkte aus 20 Spielen) wird wohl wie in den letzten sechs Jahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder Meister. Dahinter liegen aktuell Neftci (37 Punkte) und Kesla (30 Punkte) auf jenen Rängen, die für die internationalen Bewerbe notwendig sind. Und, was eine Besonderheit ist, es wird heuer keinen Absteiger geben, da die Liga plant, von derzeit acht Vereinen für die nächste Saison auf zehn Klubs aufzustocken. Das heißt, das ist aktuell natürlich ein günstiger Moment, sollte der Meisterschaftsbetrieb in dieser Saison nicht mehr aufgenommen werden können.
LAOLA1: Wie hart trifft dich und deine Schiedsrichter der momentane Stillstand?
Stuchlik: Einen Nachteil haben alle, die im Fußball-Getriebe tätig sind, gerne Fußballspiele sehen bzw. an Fußballspielen teilnehmen. Die Schiedsrichter haben natürlich auch das Problem, dass sie derzeit nur eingeschränkt trainieren können. Sie sind unglücklich, weil sie sehr gerne trainieren und üblicherweise drei Mal in der Woche gemeinsam ihre Übungen absolvieren. Sie haben zudem einmal in der Woche verpflichtend eine technische Schulung. Das fällt aktuell alles weg. Es gibt ein Individualtraining bzw. technische Schulungen über Video-Konferenzen. Meine Schiedsrichter – auch das ist eine Besonderheit – sind Profis, ohne dass sie einen Vertrag unterschrieben haben. 95 Prozent aller Referees in Aserbaidschan leben ausschließlich vom Schiedsrichtertum und die werden derzeit vom Staat unterstützt. Das heißt, dass alle, die ihre Steuern bezahlt haben – und das hat jeder der vom Fußballverband Spielleitergebühren bekommt – vom Staat eine Unterstützung kriegen. Zusätzlich wird, je nachdem wie viel seit Sommer 2019 die Schiedsrichter im Schnitt Einkommen gehabt haben, der Fußballverband - auch wenn keine Spiele stattfinden - an die Schiedsrichter Gelder ausschütten, da die Schiedsrichter ja nicht Schuld sind, dass im Moment keine Spiele stattfinden.
LAOLA1: Gibt es für die Premyer Ligasi Verpflichtungen aus der TV-Vermarktung, um den Betrieb wieder aufzunehmen?
Stuchlik: Die TV-Vermarkung ist hierzulande sicher nicht ausschlaggebend dafür, ob der Betrieb wieder aufgenommen wird oder nicht. Die Frage wird einzig und alleine sein, wie die Regierung in Aserbaidschan die Gefahr einschätzt, wenn viele Leute an einem Ort zusammenkommen. Es muss aber mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die Zuschauerzahlen in der Vergangenheit nicht sehr hoch waren und auch in Zukunft vermutlich nicht massenhaft ansteigen würden. Als Problem gilt aber, dass bei einer Mannschaftssportart wie dem Fußball der Körperkontakt in den Zweikämpfen und damit die Infektionsgefahr gegeben sind. Und das werden die entsprechenden Behörden abschätzen und an den Fußballverband signalisieren. Derzeit ist noch alles offen. Es gibt aktuell keine Entscheidung, der Verband wartet ab, was bis zum Ende der Woche passiert. Bis dahin ist die Regelung mit den Ausgangssperren offiziell in Kraft. Mit dem 19. April soll die Situation im Land dann neu bewertet werden. Zum einen wie es im zivilen Leben weitergeht und zu anderen wie es mit dem Fußball weitergeht.
LAOLA1: Mit Weißrussland und Tadschikistan gibt es aktuell zwei Länder, die ihre Punktejagd ohne Unterbrechung fortführen. Wie nimmt Aserbaidschan das wahr?
Stuchlik: Ich nehme das insofern wahr, da einer meiner TV-Sender mir den weißrussischen Fußball frei in die Wohnung liefert. Ich habe mir am Wochenende zwei Spiele angesehen. Wir stellen fest, ja sie spielen. Ich glaube aber nicht, dass sie als Vorbild für Aserbaidschan dienen, in Sachen Fußball-Stopp orientiert sich der Verband ganz klar an den anderen europäischen UEFA-Mitgliedsländern, die ebenfalls den Fußball gestoppt haben. Ich glaube auch nicht, dass der Virus vor den weißrussischen Grenzen oder jenen von Turkmenistan oder Tadschikistan Stopp macht, sondern das ist eben eine eigene Einschätzung, die jede Nation oder deren Regierung für sich treffen muss. Aserbaidschan wird sicher – davon gehe ich aus – den europäischen Weg gehen, der vor allem die Gesundheit der Beteiligten schützt.