Der SK Rapid bittet am Samstag im ausverkauften Allianz Stadion die AC Milan zum großen Testspiel-Kracher (17:30 Uhr).
Für die Hütteldorfer ist das Duell mit den "Rossoneri" die letzte Standortbestimmung, ehe in der folgenden Woche mit dem Europacup-Duell gegen Wisla Krakau (Donnerstag) die neue Pflichtspiel-Saison eingeläutet wird.
Das Duell zwischen den beiden Traditionsklubs, die heuer jeweils den 125. Geburtstag feiern, lässt vielleicht so manchen Fan an einen Spieler zurückdenken, der vor nicht allzu langer Zeit sowohl für die Grün-Weißen als auch die Mailänder spielte.
Philipp Prosenik galt einst als "Jahrhunderttalent", einer dem die Zukunft im Angriff eines internationalen (Top-)Klubs und im ÖFB-Team gehörte. Das dachte man Ende der 00er-Jahre zumindest. 2024 lässt sich sagen: Nichts davon wurde zur Realität.
Zu Gast in Rom, Turin, Mailand und London
Wir schreiben das Frühjahr 2009, der gerade erst 16 Jahre jung gewordene Sohn von Christian Prosenik hat die Qual der Wahl. Nach beeindruckenden Leistungen im Rapid-Nachwuchs und einem U16-Länderspiel gegen die Slowakei, in dem Prosenik drei der fünf Tore erzielte, stehen international renommierte Klubs regelrecht Schlange.
"Angeschaut habe ich mir AS Roma, Juventus Turin, Borussia Mönchengladbach, AC Milan, Inter Mailand und Chelsea", erinnert sich Prosenik im LAOLA1-Interview zurück. Auch der FC Bayern München soll damals konkretes Interesse am linksfüßigen Stürmer gezeigt haben, ein Anruf von Uli Hoeneß kam jedoch zu spät.
Den Zuschlag erhielten nämlich die "Blues", für Rapid gab es eine läppische Ausbildungsentschädigung von 30.000 Euro. Warum London? "Ich habe mich von Anfang an willkommen gefühlt. Vom Personal über den Jugenddirektor, auch die Spieler der Kampfmannschaft waren super nett, auch zu meiner Familie. Das war ausschlaggebend."
Der Sprössling kam bei einer Gastfamilie nur unweit des Trainingszentrums im Vorort Cobham unter, bei der es ihm an nichts fehlte. Der Wille, sich bei Chelsea durchzusetzen, war groß. Hätte doch bloß der Körper mitgespielt.
Ein Foul mit schweren Folgen
Denn das Talent reist mit einer Hypothek in die englische Hauptstadt. Bereits einige Monate vor seinem Wechsel, und damit noch bei Rapid, verletzte sich Prosenik am Knie. Das Unglück passierte in einem Trainingsspiel zwischen der Kampf- und der Amateurmannschaft - der 16-Jährige lief im Team der Profis auf und stand am Sprung nach oben.
Ein Foul hatte schwere Folgen, deren er sich erst gar nicht bewusst war. 2014 erzählte er in einem Interview: "Ich hatte anfangs eigentlich gar keine Schmerzen. Dann sind wir für ein Trainingslager in die Türkei geflogen und als ich aus dem Flieger ausgestiegen bin, war mein Knie angeschwollen."
Prosenik stieg in den nächsten Flieger nach Wien, eine MRT-Untersuchung stellte eine Verletzung am Meniskus fest, die operiert werden musste. Es war die erste von insgesamt drei Meniskus-Operationen innerhalb von eineinhalb Jahren, die letzte im September 2010 infolge eines Knorpelschadens zog eine langwierige Pause mit sich.
All das im Alter von 17 Jahren. "Das war zach", sucht Prosenik nach den richtigen Worten. "Vor allem mental ist das wahnsinnig herausfordernd." Der Wiener nahm es, wie es kam, sagt er heute. "Ich habe mich auf andere Dinge konzentriert, habe in der Kraftkammer trainiert und versucht, positive Dinge aus der Situation zu ziehen."
Keine leichte Aufgabe, wenn die Teamkollegen täglich auf dem Spielfeld stehen, "während du in die Kraftkammer marschierst, weil nichts anderes funktioniert. Überhaupt in dem Alter ist das ein Wahnsinn."
Lobende Worte von Drogba, die nichts nutzten
Bei Chelsea hielt man große Stücke auf den österreichischen Jungstar, der mittlerweile einen Profivertrag unterschrieben hatte.
"Bei solchen Vereinen kriegst du dann eiskalt die Rechnung. Du bist im Endeffekt nur eine Nummer. Funktionierst du nicht, funktionieren die anderen drei hinter dir."
Jeder kannte jeden, die Verknüpfungen zwischen Profis und Nachwuchs waren eng. Didier Drogba äußerte sich im Klub-eigenen Magazin sehr positiv über den Linksfuß. "Er kann einmal in meine Fußstapfen treten", sagte der Ivorer. "Was gibt es Besseres, als wenn man so etwas liest?", fragt Prosenik.
"Trotzdem musst du auf dich schauen. Ein Drogba kam auch nur dorthin, wo er war, weil er täglich hart an seinen Schwächen gearbeitet hat." Mangelnder Ehrgeiz konnte dem Nachwuchs-Stürmer wahrlich nicht vorgeworfen werden, doch der eigene Körper machte es ihm schwer, sich zu etablieren.
"Bei solchen Vereinen kriegst du dann eiskalt die Rechnung", betont Prosenik. "Du bist im Endeffekt nur eine Nummer. Funktionierst du nicht, funktionieren die anderen drei hinter dir." Die große Frage, was passiert wäre, wenn das Knie und später der Knöchel keine Probleme gemacht hätten, blieben unbeantwortet.
"Das nervt hin und wieder schon", gibt der inzwischen 31-Jährige offen zu. Die Zeit in London neigte sich dem Ende zu, der 2009 unterschriebene Dreijahresvertrag lief aus. An eine Verlängerung dachte bei den "Blues" niemand, Prosenik zeigt dafür Verständnis, nachdem er fast zwei Jahre verletzt ausgefallen war.
In Bella Italia war es nicht ganz so schön
Deshalb entschied sich der Wiener bereits ein halbes Jahr vor Vertragsende für eine Luftveränderung. Prosenik tauschte das typische Regenwetter auf der britischen Insel mit Bella Italia, ganz so schön sollte seine Zeit bei der AC Milan allerdings nicht sein.
Dies war anfangs nicht abzusehen. Die "Rossoneri" verloren den Österreicher während seiner Zeit in London nicht aus den Augen, "für mich war es in dieser Situation auch die beste Entscheidung", erzählt der 31-Jährige. Heute lässt sich das Gegenteil behaupten.
Prosenik unterschrieb in der Mode-Metropole einen Vierjahresvertrag, die Mailänder steckten offensichtlich genauso wie Chelsea rund drei Jahre zuvor große Hoffnungen in den Nachwuchs-Angreifer.
Aber der damals noch 18-Jährige schleppte seine Wehwechen mit sich, besonders der dreifach operierte Meniskus bereitete weiterhin Schmerzen. Auch der Knöchel und die Schulter hätten Probleme gemacht. "Das wirft einen immer wieder drei, vier Schritte zurück."
Depressionen und Burnout-Anzeichen
Der wuchtige Stürmer absolvierte zwar 15 Spiele für die U19-Mannschaft, aber er fühlte sich in Mailand unwohl, war anders als noch in England auf sich alleine gestellt. Deshalb zog er nach eineinhalb Jahren die Reißleine, löste sein Arbeitspapier wieder auf.
"Ich hatte Depressionen, Anzeichen eines Burnouts. Ich habe nur in den Tag hineingelebt, ohne Lust und Laune."
"Rückblickend war es nicht die beste Entscheidung. Es hat von Anfang an nicht funktioniert, ich bin mit der italienischen Mentalität auch nicht klargekommen", meint Prosenik. Neben der physischen Komponente, die ein Dauerbegleiter in seiner Karriere war, stand plötzlich die mentale im Fokus.
Er offenbart: "Ich hatte Depressionen, Anzeichen eines Burnouts. Ich habe nur in den Tag hineingelebt, ohne Lust und Laune." Mehrere Monate war an Fußball gar nicht zu denken, das Karriereende im Alter von gerade mal 20 Jahren stand im Raum.
In dieser Zeit hätte ihm die Familie viel Kraft gegeben. "Meine Mutter ist auch dahinter gewesen, dass ich mich in der Familie engagiere, zum Beispiel den Haushalt übernehme, damit ich Aufgaben und Ziele habe und wieder richtig ins Leben einsteige."
Die Rückkehr zur fußballerischen Jugendliebe
Während sich der Wiener allmählich wieder in den Alltag zurückkämpfte, suchte er ärztliche Beratung auf, um abzuklären, wie es allen voran um sein Knie steht. Experten rieten ihm dazu, die Schuhe an den Nagel zu hängen, da schmerzfreier Sport kaum mehr möglich sein würde.
Niemand hätte es ihm übel genommen, wenn er dies tatsächlich getan hätte. Doch die Lebensfreude und der Ehrgeiz kamen wieder zurück. Als der Anruf seiner fußballerischen Jugendliebe folgte, konnte Prosenik nicht ablehnen. In den Gesprächen mit Sportdirektor Helmut Schulte, Profi-Trainer Zoran Barisic und Amateur-Coach Norbert Schweitzer wurde ihm eine Perspektive gegeben.
Also unterschrieb der Wiener wieder beim SK Rapid, sollte vorerst bei den Amateuren einsteigen und sich hochspielen. "Es hat von Anfang an Spaß gemacht. Ich war wieder in einem gewohnten Umfeld, in dem ich schon Erfolge gefeiert habe und Spaß am Fußball hatte. Das hat mir sehr geholfen", so der Sohn von Christian Prosenik, der in seiner Karriere auf 389 Spiele in der Bundesliga kam, sowohl für Rapid als auch die Austria auflief.
Philipp stellte schnell unter Beweis, dass er seinen Torriecher nicht verloren hatte. Für Rapid II erzielte der Stürmer acht Tore aus 15 Spielen und saß nach einem Jahr auf der Bundesliga-Ersatzbank.
Sein Debüt in Österreichs höchster Spielklasse folgte am 2. August 2014 bei einem 1:1 auswärts gegen die Admira, knapp zwei Monate später folgte beim 1:2 gegen den FC Red Bull Salzburg sein erstes Bundesliga-Tor.
Das vorläufige Highlight seiner Karriere folgte am 12. April 2015, als Prosenik beim 3:3-Remis gegen die "Bullen" in der Nachspielzeit den Ausgleich erzielte. Der Stürmer war der Edeljoker vom Dienst, wenige Wochen zuvor traf er gegen den SCR Altach ebenfalls in der Nachspielzeit und bescherte Rapid so einen 1:0-Sieg.
Der Anfang vom Ende
Die Saison 2015/16 hätte den Durchbruch darstellen können, der Angreifer bekam einige Startelf-Einsätze. Seine Chancen nutzte er jedoch zu selten, aus insgesamt 35 Spielen standen lediglich fünf Tore zu Buche.
Im Sommer 2016 wurde Prosenik an den Wolfsberger AC verliehen, im Lavanttal absolvierte der zu diesem Zeitpunkt 23-Jährige seine beste Profi-Saison. Sieben Tore, darunter jenes beim 1:0-Sieg im Allianz Stadion gegen Rapid, sechs Assists und 33 Bundesliga-Spiele konnte der Stürmer am Ende der Spielzeit vorweisen.
Prosenik erreichte den Höhepunkt seiner Karriere. Dieses Gefühl wurde ihm in Hütteldorf ebenfalls vermittelt. "Sie wollten mich unbedingt wieder zurückholen", erklärt Prosenik. Was er nicht wusste: Es sollte der Anfang vom Ende sein, denn bei den Grün-Weißen war er gar nicht so willkommen, wie es den Anschein machte.
Goran Djuricin übernahm die Mannschaft im April 2017 interimistisch, nachdem Damir Canadi entlassen wurde. "Gogo" führte den Rekordmeister noch aus dem Abstiegssumpf und ins Cup-Finale, das gegen Red Bull Salzburg verloren wurde. Im Sommer wurde beschlossen, Djuricin zum neuen Cheftrainer zu ernennen.
"Vor Beginn der Vorbereitung hat er mich angerufen und gesagt, dass ich mir schon einen anderen Verein suchen könne."
Prosenik kannte Djuricin seit vielen Jahren, er spielte mit Marco Djuricin gemeinsam in der Jugend. Doch dessen Vater machte ihm schnell klar, nicht auf ihn zu setzen. "Er war von Anfang an gegen mich", verrät der 31-Jährige.
Er führt aus: "Es hat zwischenmenschlich überhaupt nicht gepasst. Vor Beginn der Vorbereitung hat er mich angerufen und gesagt, dass ich mir schon einen anderen Verein suchen könne." Ein Schlag mitten ins Gesicht des Angreifers, der daraufhin eine Offerte des SKN St. Pölten erhielt - und ablehnte.
Der Rekord-Torschütze des U17-Nationalteams wollte sich durchbeißen, erhielt am zweiten Bundesliga-Spieltag gegen den SKN St. Pölten sogar noch eine Chance in der Startelf, da Joelinton gesperrt und Giorgi Kvilitaia verletzt war. In der 68. Spielminute wurde er ohne Tor ausgewechselt, Djuricin lobte ihn daraufhin für seinen Einsatz.
Im Herbst sollte Prosenik allerdings nur mehr zu vier Kurz-Einsätzen kommen, sein spätes Tor am 9. Dezember 2017 zum 2:2-Ausgleich gegen den SV Mattersburg sollte das letzte Tor im Rapid-Dress sein.
"Ich bereue nichts"
Prosenik ließ sich im folgenden Winter zur SV Ried in die 2. Liga transferieren, ein halbes Jahr später war er wieder vereinslos. Mit dem Wechsel nach Mattersburg kam der Linksfuß nochmal in der Bundesliga unter, wurde jedoch nur in neun Spielen eingesetzt.
"Es hat nirgends mehr richtig geklappt", sagt Prosenik, der den Klubs keinerlei Vorwürfe machen will. "Menschlich war alles super, aber es hat von mir aus nicht mehr so funktioniert, wie es hätte sollen." Es folgte der Wechsel zum FAC, die letzte Chance, im Profi-Bereich nochmal Fuß zu fassen.
Doch Prosenik verlor den Spaß am Fußball - und fand ihn auch nicht mehr wieder. "Damit habe ich mich auch relativ schnell abgefunden und bin deshalb auch nach Siegendorf gewechselt", so der Stürmer. Im Alter von 27 Jahren war die Profi-Karriere des von vielen als "Jahrhunderttalent" titulierten Stürmers vorbei.
"Ich bereue nichts", betont der 31-Jährige. "Ich würde mit 16 sofort wieder zu Chelsea gehen. Ich habe über die Jahre so viel mitgenommen, spreche Englisch, Italienisch, habe in jungen Jahren Erfahrungen gesammelt, die nur wenige Menschen machen. Ich habe für das Leben extrem viel gelernt."
Mit dem Fußball hat Philipp Prosenik nichts mehr am Hut. Sein Spielerpass liegt offiziell noch beim FSV Velm, die Schuhe schnürt er sich jedoch längst nicht mehr. Seit knapp drei Jahren ist der Wiener bei einer Speditionsfirma angestellt. Man hört heraus, dass er mit sich im Reinen und glücklich ist. Und das ist, was am Ende wirklich zählt.