Wie ändert sich ein Fußball-Spiel ohne Abseits?
Viel wurde über diese Frage diskutiert. Nach dem Experiment von LAOLA1 sind wir schlauer - zumindest in einigen Punkten.
Der SV Yspertal und Erzrivale SKV St. Oswald haben sich dieser österreichischen Premiere gestellt und damit Neuland betreten.
Torreich war es auf jeden Fall: Yspertal siegte in einem wahren Krimi mit 5:4. Wie viel dieser Trefferreigen mit dem Verzicht auf die Abseits-Regel zu tun hatte, sei dahingestellt - es ist nämlich kein einziges der neun Tore aus einer Abseitsposition entstanden.
Andere Erkenntnisse ließen sich eindeutiger gewinnen:
HIER GIBT ES DAS GESAMTE SPIEL OHNE ABSEITS MIT ANALYSEN UND INTERVIEWS!!!
VIDEO: Die Highlights vom Spiel ohne Abseits!
(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)
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Die Verteidiger müssen umdenken
Die defensive Organisation müsste revolutioniert werden, wenn die Abseitsregel abgeschafft wird. Orientieren sich die Abwehrspieler seit Jahren aufgrund der Raumdeckung an ihren jeweiligen Nebenmännern und an der Abseitslinie, ist es nicht mehr notwendig auf einer Linie zu stehen. Yspertal hat gegen St. Oswald praktisch mit einem Libero gespielt, der sich mit der Solospitze beschäftigen musste. Mussten sich bisher die Stürmer an den Verteidigern orientieren, ist es ohne Abseits eher umgekehrt. „Als Stürmer ist es einfach. Man kann alles machen und muss im Prinzip auf nichts schauen. Jetzt muss der Verteidiger auf mich schauen und nicht ich auf ihn“, sagt St. Oswald-Angreifer Martin Haubenberger. Sein Gegenspieler Robert Schlager beklagt: „Es ist als Verteidiger ziemlich schwierig. Wenn du schnell hinten rausspielst und aufrückst, drehst du dich um und plötzlich stehen noch drei Gegner zwischen dir und dem Tormann. Da sind Ballverluste tödlich.“
Exemplarisch ein paar Szenen als Video:
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Es gibt mehr Räume
Wie erwartet wird mehr vom Spielfeld genutzt und die Räume werden mehr. „Man kann nicht rausrücken und den Platz nicht eng machen“, erklärt Yspertal-Mittelfeldmann Michael Eder. Sein Trainer Thomas Schneider ergänzt: „Ohne Abseits nimmt man dem Fußball die Kompaktheit.“ Die vielen Räume zu bespielen, erfordert dementsprechend mehr Bewegung. „In der Mitte ist sehr viel Platz, es ist sehr laufintensiv“, beklagt nicht nur St. Oswald-Flügelflitzer Christian Wimmer die höhere körperliche Belastung. „Am Schluss waren wir schon am Rande unserer Kräfte“, sagt sein Teamkollege Stefan Sponseiler. Wohlgemerkt wurde das Spiel nur über 2x30 Minuten ausgetragen.
Exemplarisch ein paar Szenen als Video:
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Hohe Bälle werden wieder wichtiger
„Es hat sich in den letzten Jahren viel verändert im Fußball. Es werden nur noch sehr selten weite Bälle trainiert. Auch Nachwuchsspieler aus den Akademien haben Probleme, wenn du ihnen sagst, sie sollen mit rechts und mit links lange Bälle auf 40 Meter spielen“, sagt LAOLA1-Experte Dominik Voglsinger. Wer seine Stürmer ohne Abseitsregel sehr tief in der gegnerischen Hälfte postiert, muss diese auch entsprechend einsetzen. Kein einfaches Unterfangen. „Von ganz hinten ganz nach vorne zu schießen, ist schwierig. Man muss versuchen, bis zur Mitte zu kommen und dann hohe Bälle spielen“, sagt Wimmer. Wenn dann doch die langen Bälle ihr Ziel finden, müssen sie auch verarbeitet werden. „Einer alleine vorne ist generell zu wenig“, stellt Voglsinger fest.
Exemplarisch ein paar Szenen als Video:
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Standardsituationen werden für den Tormann knifflig
Bei Freistößen gaben sich beide Teams experimentierfreudig. Oft wurden zwei bis drei Spieler in unmittelbarer Nähe des Torhüters positioniert. „Wenn sich bei Freistößen die gesamte gegnerische Offensive vor den Tormann stellen kann, ist das ungut“, sagt Yspertal-Goalie Lukas Enengel. „Wenn sich alle zum Tormann stellen, wird es gefährlich. Ich glaube aber nicht, dass das für die Zuschauer so schön anzusehen ist“, meint Yspertal-Kicker Michael Eder. Nachsatz von Enengel: „Und rausrücken kann man nach dem Eckball oder dem Freistoß auch nicht schnell.“
Exemplarisch ein paar Szenen als Video:
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Die Rolle der Unparteiischen ändert sich
„Als viele weite Bälle gespielt wurden, war es vom läuferischen Pensum enorm. Es ist auf jeden Fall mehr Aufwand für den Schiedsrichter“, berichtet Referee Richard Zeinzinger. Beim „Experiment“ standen die Assistenten in der ersten Hälfte wie gewohnt an den Seitenlinien, nach der Pause wechselten sie hinter die Torlinien. „Da konnten wir den Schiedsrichter besser unterstützen“, sagt Assistent Herbert Steininger. Der Haken an der Sache: An den Seitenlinien wurden dennoch Unparteiische benötigt, da sonst Out-Entscheidungen nicht korrekt getroffen werden konnten. „Es braucht also fünf Schiedsrichter“, fasst Assistent Gerald Tiefenbacher zusammen. Einen großen Vorteil hatte das Spiel ohne Abseits für den Referee aber zweifellos: Diskussionen bleiben fast völlig aus.
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Die Umstellung ist schwierig
„So schnell kann man die eingeschlagenen Pfade eben nicht verlassen“, meinte ein Zuschauer. Tatsächlich hatten die beiden teilnehmenden Teams große Probleme, sich auf die neue Situation einzustellen. Oft orientierten sich die Offensivspieler trotzdem an der imaginären Abseitslinie, oft wurde in die Breite statt in die Tiefe gespielt, für eine radikale Positionierung am oder im Strafraum der Gegner fehlte der Mut. „Man sieht, dass es echt nicht einfach ist, gewohnte Automatismen von der einen auf die andere Sekunde zu ändern“, fasst LAOLA1-Experte Voglsinger zusammen. Man habe ja gewollt, aber… – das war von den beiden Trainern nach dem Spiel zu hören. Von klein auf sehen sich Fußballer mit der Abseitsregel konfrontiert, da ist das Umschalten entsprechend schwierig. Um tatsächlich Erkenntnisse über Fußball ohne Abseits zu gewinnen, müsste wohl eine Liga eine ganze Saison ohne Abseitsregel spielen.