Die Zeit für ein rot-weiß-rotes "Sommermärchen" ist reif!
Wenn Österreichs U19-Nationalmannschaft am Sonntag mit dem Kracherspiel gegen England in die U19-Europameisterschaft in der Slowakei startet (ab 20 Uhr im LIVE-Ticker), tut sie das mit hohen Erwartungen und noch mehr Vorfreude.
"Wir sind richtig geil auf dieses Turnier. Wir haben alle richtig Bock drauf", kann es Kapitän Ervin Omic kaum mehr erwarten, bis es endlich losgeht.
Österreichs 2003er Jahrgang gilt als einer der talentiertesten der rot-weiß-roten Fußballgeschichte und geht durchaus als Mitglied des erweiterten Favoritenkreises ins Turnier.
LAOLA1 erklärt, was diese U19 so besonders macht, warum sich die Truppe mehr als Familie denn als Fußballmanschaft betrachtet, und zeichnet den Weg zur U20-Weltmeisterschaft in Indonesien 2023 vor:
Österreich einer von nur 8 Teilnehmern
Dass Österreich erstmals seit 2016 wieder bei einer U19-Europameisterschaft mitspielt, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Neben Gastgeber Slowakei sind nur sieben weitere Nationalmannschaften vertreten; die acht Teilnehmer werden auf zwei Gruppen aufgeteilt, wovon die zwei jeweils bestplatzierten Teams nach den drei Spieltagen direkt ins Halbfinale aufsteigen und damit sicher zur U20-Weltmeisterschaft ins ferne Indonesien fahren.
Die beiden Gruppendritten matchen sich in einem Playoff um das letzte von nur fünf für Europa vorgesehenen WM-Tickets.
Schwierige Eliterunde gegen Spanien und Dänemark
Der Weg für die von Martin Scherb trainierte Mannschaft zur EM-Endrunde begann vergangenen Oktober mit der ersten Phase der Qualifikation. In einer Gruppe mit Ungarn, Estland und Weißrussland hatte die jungen Österreicher durchaus ihre liebe Mühe, schlussendlich gelang der Aufstieg in die Eliterunde trotz zweier Remis gegen Weißrussland und Ungarn aber dennoch.
In der Eliterunde bekam man neben Russland und einem starken Jahrgang aus Dänemark (u.a. mit Sturm-Goalgetter Rasmus Höjlund) den Rekord-Europameister und amtierenden Titelverteidiger Spanien zugelost. Zu allem Überfluss hatten die Iberer auch noch Heimrecht bei dem nach Russlands Sperre nur aus drei Mannschaften bestehenden Mini-Turnier.
Dieses fand schließlich im März dieses Jahres trotz schwerer Unwetter im valencianischen La Nucia statt. Österreich trotzte bei einer absoluten Regenschlacht zunächst Spanien nach einem 0:2-Pausenrückstand noch ein 2:2-Remis ab und holte anschließend bei noch schlechterer Witterung einen etwas glücklichen 2:0-Sieg über Dänemark - dann hieß es bangen.
EM-Jubel in legendärem Zoom-Call
Das war richtig geil, wir haben alle getanzt und herumgeschrien.
Spanien traf nämlich erst nach Österreich auf Dänemark und wäre bei jedem Sieg mit drei Toren Abstand Erster geworden und damit zur EM gefahren. Bei zwei Toren Abstand hätte die Mannschaft mit der höheren Anzahl an erzielten Toren das Ticket gelöst, bei einem 2:0-Sieg der Iberer hätte gar die Fairplay-Wertung entschieden.
Die ÖFB-U19 ließ sich diese Partie natürlich nicht entgehen, verabredete sich zu einem Zoom-Call - und sah, wie das bereits ausgeschiedene Dänemark trotz eines 1:3-Pausenrückstands noch heroisch ein 3:3 holte und Österreich damit zur EM schickte.
"Wir waren extrem nervös. Es hieß bis zur letzten Minute zittern. Umso schöner war es dann, gemeinsam zu jubeln", wird Benjamin Kanuric, mit seinem Tor zum 2:2 gegen Spanien einer der Wegbereiter für die gelungene Qualifikation, diesen Zoom-Call nicht mehr so schnell vergessen.
Auch Stürmer Jakob Knollmüller bekommt funkelnde Augen, wenn er an die aufregende Video-Konferenz zurückdenkt: "Das war richtig geil, wir haben alle getanzt und herumgeschrien."
"Alle und immer!" - mehr als nur ein Motto
Auch Spieler wie Justin Omoregie, die verletzt nicht bei der Eliterunde dabei sein konnten, waren in diesem Zoom-Call drinnen. Das ist ob des Teamgeists in dieser ÖFB-U19 nicht überraschend. Das dazu passende Motto lautet "Alle und immer!".
"Dieses Motto ist in der U15 entstanden, weil wir Probleme in der Restverteidigung hatten. Wir haben gut nach vorne gespielt, aber immer wieder Konter zugelassen. Aus dem taktischen Inhalt ist dann die Definition von gemeinsamen Regeln für unser Zusammenleben entstanden, dass dieses 'Alle und immer' beschreibt. Das ist seit viereinhalb Jahren ein Anker für das gesamte Team", erklärt Teamchef Scherb die Hintergrundgeschichte hinter dem teaminternen Spruch.
Für Omoregie ist es "ein Motto, das man lebt. Das höre ich schon jahrelang und das verinnerlicht man auch selbst. Das gehört zu uns und das lebt jeder."
Österreichs U19 "wie eine Familie"
Überhaupt ist der Teamspirit in der Teenager-Truppe, die in dieser bzw. einer ähnlichen Form seit Jahren zusammenspielt und bereits in der Vergangenheit immer wieder mit guten Ergebnissen gegen absolute Top-Gegner für Aufsehen sorgte, das oberste Gebot.
"Uns machen unsere individuelle Qualität und unser Teamspirit aus. Ich habe einen solchen Zusammenhalt in meiner Karriere bisher noch in keinem anderen Team erlebt. Wir sind zu einer erfolgshungrigen Mannschaft zusammengewachsen", bringt es Kapitän Omic auf den Punkt.
Teamkollege Omoregie geht sogar einen Schritt weiter, für ihn ist Österreichs U19 "wie eine Familie, wir kennen uns in und auswendig. Auch außerhalb des Platzes verstehen wir uns unheimlich gut. Das unterscheidet uns."
Scherb zieht den Hut: "Schon sehr besonders"
Dieser Zusammenhalt wird nicht nur öffentlich beteuert, sondern auch intensiv gelebt. Teamchef Scherb, der bereits seit über vier Jahren als Trainer diverser rot-weiß-roter Nationalmannschaft werkt und auch davor einiges an Trainer-Erfahrung sammelte, zeigt sich vom Spirit der jugendlichen Truppe tief beeindruckt:
"Sie kommen zusammen und es ist wie bei einem Klassentreffen. Sie haben vor nichts Angst, sie denken groß, wissen, was sie können, aber auch, was sie noch nicht können. Ich habe schon einige tolle Mannschaften betreut, aber diese ist schon sehr besonders", erklärte der 52-Jährige erst kürzlich gegenüber der "APA".
Doch der Teamgeist in einer Mannschaft kann noch so stark sein, wenn nicht das nötige fußballerische Talent dahinter steckt - und davon gibt es im 2003er Jahrgang zu Genüge.
Nicht endenwollendes Potenzial im Kader
Adis Jasic, Justin Omoregie, Ervin Omic, Benjamin Kanuric, Jakob Knollmüller, oder natürlich Yusuf Demir, für den die U19-EM nach einem äußerst schwierigen Jahr besonders wertvoll werden könnte, sind nur einige der Kadermitglieder, denen eine ganz große Karriere zugetraut wird.
"Wir haben alle eine unglaubliche individuelle Qualität und wir bringen das als Team auch auf den Platz. Wir haben auch viele, die im Profibereich spielen, viele, die international spielen", weiß Omoregie um das Riesenpotenzial, das in ihm und seinen Teamkollegen steckt.
Zudem haben gleich 13 der 20 nominierten Spieler in der abgelaufenen Saison zehn oder mehr Spiele in einer der höchsten beiden österreichischen Spielklassen absolviert. Diese wertvolle Erfahrung im Erwachsenenfußball hat Österreich zahlreichen anderen EM-Teilnehmern voraus.
Knollmüller: "Sind auf jeder Position wirklich gut besetzt"
Dazu kommt, dass, obwohl mit Philipp Wydra und Muharem Huskovic zwei weitere Top-Talente verletzt ausfallen und freiwillig darauf verzichtet wurde, Spieler aus dem ebenfalls hochtalentierten 2004er Jahrgang (u.a. mit den Youth-League-Finalisten Dijon Kameri, Tolgahan Sahin und Samson Baidoo oder Rapid-Toptalent ) dazuzunehmen, die Kadertiefe enorm ist.
"Wir sind eigentlich auf jeder Position wirklich gut besetzt. Wenn einer mal ausfällt, wird er gleichwertig ersetzt, weil wir in der Breite des Kaders richtig gut aufgestellt sind", findet Knollmüller, der selbst zuletzt aufgrund diverser Verletzungen oftmals dem Nationalteam absagen musste, für die EM aber wieder bei voller Fitness ist.
Teamchef Martin Scherb stellt seinen ÖFB-U19-Kader im Detail vor:
Minimalziel WM-Qualifikation
Wir klopfen uns nicht auf die Schulter und sagen, dass es so toll ist, dass wir die EM erreicht haben. Wir wollen nächstes Jahr zur Weltmeisterschaft.
Das Selbstvertrauen ist teamintern also ausreichend vorhanden. Doch wie sehen die selbstgestecken Ziele aus?
"Unser Minimalziel ist auf jeden Fall die U20-WM. Natürlich, die EM zu gewinnen, ist das große Ziel, aber wir müssen von Spiel zu Spiel schauen. Jetzt geht's mal gegen England, und bevor wir das nicht gewonnen haben, brauchen wir nicht über Ziele sprechen", so Knollmüller selbstbewusst.
Auch Teamchef Scherb hat keine Lust, auf die Euphoriebremse zu drücken, er fordert: "Wir klopfen uns nicht auf die Schulter und sagen, dass es so toll ist, dass wir die EM erreicht haben. Wir wollen dort reüssieren. Wir wollen nächstes Jahr zur Weltmeisterschaft. Aber dazu muss alles passen."
Erster Gegner England "der Top-Favorit auf den Titel"
Anders als bei der letztmaligen U19-EM-Teilnahme Österreichs, als es der 1997er Jahrgang mit den Kalibern aus Portugal, Italien und Deutschland zu tun bekam und trotz zweier Unentschieden Letzter wurde, hat die Auslosung diesmal eine ausgeglichenere Gruppe ausgespuckt.
Der erste Gruppengegner England stellt dabei gleich die wohl größte Hürde dar. "England ist gemeinsam mit Frankreich sicher der Top-Favorit auf den EM-Titel. Eine Mannschaft mit sehr guten Einzelspielern und sehr guter Struktur. Wir haben aber schon eine Schwäche entdeckt, die wir ausnutzen wollen. Aber natürlich brauchen wir ein A-Game, um da bestehen zu können", so die Gegneranalyse von Teamchef Scherb.
Scherb warnt vor Überraschungsteam Israel
Nach dem Auftaktspiel gegen die jungen "Three Lions" geht es am kommenden Mittwoch weiter mit dem Duell gegen Überraschungsteilnehmer Israel. Die Mannschaft aus dem Nahen Osten hat eine der einfacheren Gruppeneinteilungen bei der Eliterunde erwischt, sich gegen die Altersgenossen aus der Türkei, Ungarn und Schottland durchgesetzt und ist nun zum zweiten Mal nach 2014 bei einer U19-EM dabei.
Auch damals war Israel einer der Gruppengegner Österreichs und verlor nach Toren von Sinan Bytyqi, Florian Grillitsch und Valentin Grubeck mit 0:3.
Nun dürfte die Qualität höher sein, Scherb warnt: "Israel kommt sehr über's Umschaltspiel. Sie haben schnelle, technisch hervorragende Spitzen."
Fitnessvorteile gegenüber Abschlussgegner Serbien?
Am Samstag, dem 25. Juni, steht schließlich das (wohl entscheidende) Gruppenspiel gegen Serbien auf dem Programm. "Serbien hat eine sehr gute Struktur und gute Einzelspieler", warnt Scherb vor der Mannschaft rund um AC-Milan-Stürmer Marko Lazetic, den vor seinem Wechsel in die Lombardei auch der FC Red Bull Salzburg gerne verpflichtet hätte.
Die Erkenntnisse des österreichischen Teamchefs zum letzten Gruppengegner sind die frischestesten, bestritten die Serben - unter anderem vor Scherbs Augen - die Eliterunde aufgrund des Kriegs in der Ukraine doch erst Anfang Juni. Serbien setzte sich in den Niederlanden gegen den holländischen Gastgeber, die Ukraine und Norwegen durch und ist erstmals seit acht Jahren wieder bei einer U19-Endrunde dabei.
Durch die verschobene Eliterunde hatten die serbischen Youngsters aber so gut wie keine Pause nach Saisonende und werden gegen Österreich das sechste Spiel innerhalb von 24 Tagen bestreiten. Ein Umstand, der Rot-Weiß-Rot in die Hände spielen könnte:
"Ich gehe davon aus, dass wir vielleicht die frischere Mannschaft sein könnten", erhofft sich Scherb gegenüber der "APA" erschöpfte Serben.
Scherb: "Sind sehr gierig, noch ein Jahr zusammenzuarbeiten"
Wenn alles normal läuft, ist diese ÖFB-U19-Mannschaft allerdings nicht auf Ermüdungserscheinungen beim Gegner angewiesen - zu groß ist das Potenzial und der Zusammenhalt in dieser "Familie" aus rot-weiß-roten Toptalenten, die so überhaupt keine Lust hat, sich schon in zwei Wochen voneinander zu trennen.
"Wir sind sehr gierig, zumindest ein Jahr weiter zusammenzuarbeiten", hat Teamchef Scherb große Trennungsängste. Diese sind nur durch einen Halbfinal-Einzug und einer damit verbundenen WM-Qualifkation zu beseitigen. Und auch im Semifinale muss ja nicht zwingend Schluss sein.
Fußball-Österreich wäre jedenfalls mehr als bereit für ein kleines, feines rot-weiß-rotes "Fußballmärchen" in der Slowakei.
