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Wenger: "Glasner taktisch unheimlich klug"

Trainer-Legende Arsene Wenger im LAOLA1-Interview! Wer ist WM-Favorit? Ist das Red-Bull-System zu intensiv für die WM? Was zeichnet Ralf Rangnick aus?

Wenger: Foto: © GEPA

Als FIFA-Direktor für globale Fußball-Förderung hat Arsène Wenger in diesen Tagen bei der Weltmeisterschaft in Doha viele Termine.

Der 73-jährige Franzose fand trotzdem für LAOLA1 ein bisschen Zeit, um seine Eindrücke zu dieser WM zu vermitteln, wie er die Technologie im Fußball betrachtet und was er zur Entwicklung der ÖFB-Elf meint.

Der langjährige Mastermind des FC Arsenal verrät zudem, warum Oliver Glasner derzeit für ihn der spannendste österreichische Trainer ist.

Sein Heimatland Frankreich bleibt Wengers Favorit
Foto: © getty

LAOLA1: Monsieur Wenger, von welchen Nationen sind Sie bei dieser WM besonders begeistert?

Arsene Wenger: Mein Favorit Nummer eins hieß vor dem Turnier Frankreich und dabei bleibe ich auch. Die "équipe tricolore" verfügt über die beste Offensive und den besten Charakter. Nationaltrainer Didier Deschamps ist es mit Bravour gelungen, auch für die nötige Stabilität in der Defensive zu sorgen. Insofern hat der amtierende Weltmeister nach wie vor richtig gute Möglichkeiten, seinen Titel erfolgreich zu verteidigen. Vor allem auch, weil das Potenzial in diesem Kader wohl noch nie so hoch war wie heute.

LAOLA1: Welche Teams würden Sie noch hervorheben?

Wenger: Mit Argentinien war klar zu rechnen. Lionel Messi setzt ja alles daran, diesen Fluch zu brechen und endlich Weltmeister zu werden. Er ist der Dreh- und Angelpunkt dieser argentinischen Elf. Marokko ist die ganz große Sensation. Ich bin begeistert von der Leidenschaft dieser Truppe. Auch von der Leistung in der Defensive bin ich schlichtweg beeindruckt, denn sie agiert mit unglaublich viel Kompaktheit und Disziplin.

LAOLA1: Was trauen Sie England nach dem Aus im Viertelfinale gegen Frankreich in den kommenden Jahren zu?

Wenger: Das Potenzial hat England zweifelsohne weiterhin für die nächsten Turniere. England hat gegen die Franzosen einen großen Kampf abgeliefert und hat sich absolut top verkauft. Bei den vergangenen Turnieren stand die Elf von Gareth Southgate stets unter den letzten Vier. Das ist sicherlich kein Zufall. Mit Jude Bellingham, Phil Foden, Mason Mount, Bukayo Saka, Marcus Rashford und so weiter hat England viele junge Talente in seinen Reihen und wird auch bei der EM 2024 sowie bei der WM 2026 zu den heißesten Titel-Anwärtern gehören.

LAOLA1: Finden Sie, dass diese WM spielerisch interessant ist?

Wenger: Absolut. Ich bin auch darüber nicht wirklich überrascht. Die Tatsache, dass diese WM mitten in der Saison stattfindet, sorgt dafür, dass die Spieler fitter sind, weil sie in dieser Saison ja maximal 20 Pflichtspiele wettbewerbsübergreifend in den Beinen haben. Dazu kommt der Punkt, dass sie von einem Spiel zum anderen kaum Reisestrapazen haben. Zwei Stunden nach Abpfiff sind sie wieder auf ihren Zimmern. Wir haben viele interessante Partien gesehen. Was mir besonders aufgefallen ist: Bis auf den niederländischen Top-Star Cody Gakpo sind wenig Treffer außerhalb des Strafraums erzielt worden. Viele Nationen haben gern den Ball und versuchen auch im gegnerischen Sechzehner zu kombinieren, manchmal zu viel.

"Vielleicht ist das Red-Bull-System tatsächlich einen Tick zu intensiv. Das 4-3-3 wird bei dieser WM eher bevorzugt, wie man bei Frankreich, Argentinien und Brasilien feststellen konnte."

Arsene Wenger

LAOLA1: Woran liegt es, dass das klassische Red-Bull-System 4-4-2 mit Raute quasi keine Rolle spielt – ist es zu intensiv für Nationalmannschaften?

Wenger: Vielleicht ist es tatsächlich einen Tick zu intensiv. Das 4-3-3 wird bei dieser WM eher bevorzugt, wie man bei Frankreich, Argentinien und Brasilien feststellen konnte. Dadurch wirken diese Teams stabiler und taktisch flexibler, um mehr Unruhe in der gegnerischen Hälfte zu bringen.

LAOLA1: Welche Bilanz ziehen Sie aus dieser WM in punkto Technologie?

Wenger: Sehr positiv. Allein der Chip im Ball sorgt für einen klaren Fortschritt. Dadurch erfährt man sofort, ob der Ball mit vollem Umfang draußen war, ob ein Spieler im Abseits stand, usw. Mehr Technologie bedeutet mehr Fairness, mehr Justiz. Nun haben wir deutlich mehr gerechte Entscheidungen als in der Vergangenheit.

LAOLA1: Wie weit will die FIFA mit der Technologie gehen?

Wenger: Wir müssen mit Sicherheit aufpassen, dass man es mit der Technologie nicht übertreibt, sonst wird diese fantastische Sportart irgendwann zu sehr robotisiert. Das wäre in keinem Fall im Sinne der Fußball-Fans. Aber für die entscheidenden Spiel-Szenen ist es eminent wichtig, diese Technologie zu haben.

LAOLA1: Ist sie also unentbehrlich geworden Ihrer Meinung nach?

Wenger: Mir ist die Gerechtigkeit einfach von Bedeutung. Nur darum geht es in dieser Hinsicht.

LAOLA1: Gefällt Ihnen die Entwicklung des Fußballs in den vergangenen Monaten?

Wenger: In den vergangenen Jahren konnte ich eine klare Entwicklung feststellen, aber eher körperlicher als technischer Natur. Das Spiel ist schneller geworden. Die Spieler, die nicht in der Lage sind, in einen "Schnellzug" einzusteigen, konnten sich auf Dauer nicht durchsetzen. Aber der Fußball entwickelt sich stets weiter, er bleibt nie stehen.

Wenger hält Glasner für einen guten In-Game-Coach
Foto: © GEPA

LAOLA1: Österreich hat sich zwar nicht qualifizieren können, aber wie sehen Sie die Entwicklung der ÖFB-Elf in den vergangenen Monaten?

Wenger: Die österreichische Nationalmannschaft wäre ja bei dieser WM fast dabei gewesen. Nichtsdestotrotz ist diese Nation auf einem guten Weg. Wenn man sich die gesamte Auswahl ansieht, dann sieht man fast nur Spieler, die bei sehr guten Vereinen unter Vertrag stehen, besonders viele in der deutschen Bundesliga. Ich denke, dass das Ziel nun heißen muss, sich für die Endrunde der Europameisterschaft 2024 zu qualifizieren.

LAOLA1: Dafür müsste sich die ÖFB-Elf in einer Gruppe unter anderem gegen Belgien und Schweden durchsetzen.

Wenger: Es wird eine sehr ausgeglichene Gruppe sein. Ich sehe durchaus gute Chancen für Österreich, auch weil dieses Team immer besser wird. Mir gefällt besonders das Mittelfeld mit Marcel Sabitzer und Konrad Laimer - zwei Spieler, die sowohl mit als auch ohne Ball sehr stark sind. Sie bewegen sich sehr klug zwischen den Linien, und auch physisch sind sie beeindruckend.

"Ralf Rangnick ist nicht nur Trainer, er ist auch eine Art Visionär."

Arsene Wenger

LAOLA1: Wie sehen Sie Ralf Rangnick als ÖFB-Nationaltrainer?

Wenger: Ralf ist nicht nur Trainer, er ist auch eine Art Visionär. Er ist der Richtige, um Österreich auf die nächste Entwicklungsstufe zu bringen. Dass er ein gutes Auge für junge talentierte Spieler hat, wird dafür sorgen, dass Österreich noch konkurrenzfähiger wird.

LAOLA1: Oliver Glasner/Ralph Hasenhüttl/Adi Hütter – wer ist derzeit der spannendste österreichische Trainer?

Wenger: Ich würde sagen Oliver Glasner, der bei der Frankfurter Eintracht einen tollen Job macht. Ich habe festgestellt, dass er taktisch unheimlich klug ist. Sobald seine Elf seine Erwartungen nicht erfüllt, ändert er mitten im Spiel seinen Matchplan und sehr oft mit Erfolg. Das zeichnet ihn besonders aus.

Das Gespräch führte Alexis Menuge

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