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Kommentar: Schadenfreude und Sorgenfalten

Die DFB-WM-Blamage sorgt in Österreich bei vielen für Freude. Dabei sind die Problemzonen erstaunlich ähnlich. Verfügt jedoch der ÖFB über den deutschen Trumpf?

Kommentar: Schadenfreude und Sorgenfalten Foto: © GEPA

Wer hat’s gesagt?

"Wir reden schon seit Jahren über einen Neuner, den wir brauchen. Über spielstarke Außenverteidiger."

Ralf Rangnick oder Hansi Flick?

Die rot-weiß-rote Schadenfreude über das abermalige WM-Aus von Deutschland nach der Gruppenphase ist nachvollziehbar. Was wäre der Fußball schließlich ohne seine Rivalitäten?

Blickt man nach der ersten Emotion etwas nüchterner auf "das Ende einer großen Fußball-Nation" (O-Ton "Bild"), könnte man durchaus Sorgenfalten bekommen, so ähnlich sind die häufig diskutierten Problemzonen.

Das Stürmer-Thema etwa kommt auch rund um Österreichs A-Team bekanntlich immer wieder auf. Darauf, wie knapp die Außenverteidiger-Situation im ÖFB-Team ist, weist Teamchef Rangnick bei jeder Gelegenheit hin, und das zurecht.

Wenigstens hat in Österreich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten die Ausbildung von Innenverteidigern funktioniert, offenkundig ganz im Gegensatz zu unseren Nachbarn.

Aber auch abseits des Platzes sind Parallelen zwischen Rot-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold zu orten.

Da wie dort ist eine gewisse Entfremdung zwischen Fans und Nationalteam nicht zu verleugnen – der ÖFB rätselt inzwischen seit Jahren, warum es nicht wesentlich besser gelingt, Anhänger ins Stadion zu locken.

Da wie dort schrieben in den vergangenen Jahren die hochrangigsten Funktionäre mit ihren Streitigkeiten Schlagzeilen.

Ich verstehe jeden, der meint, dass das beim Spiel wurscht sein muss. Ich halte dem jedoch entgegen, dass es erstens mit Sicherheit nicht schadet, wenn ein kompletter Verband mit Funktionären, Staff und Spielern eine Einheit darstellt, und es zweitens das große Ganze betrachtend sehr wohl sportliche Auswirkungen hat, wenn Leute, die von Profi-Sport wenig bis keine Ahnung haben, Profi-Sport-Entscheidungen treffen, wie dies in Österreich vor allem im richtungsweisenden Herbst 2017 der Fall war.

Da wie dort hat man jedoch – vor allem in den Nuller-Jahren – auch viel richtig gemacht.

Da beide Fußball-Nationen – auf ihrem jeweiligen Niveau - rund ums Jahr 2000 in einer tiefen Krise steckten und Turniere im eigenen Land vor der Tür standen (WM 2006 in Deutschland, EURO 2008 in Österreich), war dies auch alternativlos.

Vor allem in Sachen Nachwuchs-Förderung wurde an so ziemlich jeder Schraube gedreht.

Beide Länder beschenkten sich mit hoffnungsvollen Talenten. Deutschland belohnte sich 2014 mit dem WM-Titel. Österreich hätte sich mit dem entwickelten Spielermaterial schon in den vergangenen Jahren fraglos besser belohnen müssen, aber Blitzlichter wie die grandiose Quali für die EM 2016 samt Aufstieg in die Top-10 der Weltrangliste oder der Achtelfinal-Einzug bei der EURO 2021 ließen uns wenigstens in Richtung gehobener internationaler Klasse schielen.

Da wie dort wurden in den vergangenen Jahren jedoch auch die Rufe, sich in Sachen Ausbildung nicht auf den in den Nuller-Jahren gesetzten Standards auszuruhen, lauter.

Da wie dort werden auf ähnlichen Positionen keine Klassespieler ausgebildet (ich nehme an nur Zufall, oder?). Da wie dort diskutiert man, ob nicht eine individuellere Förderung notwendig wäre.

Ein Vorwurf in Österreich lautet seit Jahren gerne, dass – fußballerisch wie von der Mentalität her – "Einheitsbrei" ausgebildet wird.

Dies ist schwer zu bemessen, aber wenn, sollte es zumindest nicht so sein, dass aalglatte Charaktere die besseren Chancen haben, die Akademie zu absolvieren als jene mit Ecken und Kanten – oder wiederum jene, die in ihrer Entwicklung einfach eine Spur zurück sind.

Akteure – und auch erfrischende Charaktere - wie Marko Arnautovic oder Sasa Kalajdzic, die es ohne die Hauptausbildungs-Schiene nach ganz oben geschafft haben, sind jedenfalls seltener geworden. Ebenfalls da wie dort.

Ein Karriereweg wie jener von Miroslav Klose, der nach seiner Dachdeckerlehre erst in seinen frühen 20ern erstmals Richtung Profi-Szene schnupperte und dann noch eine Welt-Karriere hinlegte, ist auch in Deutschland kaum mehr denkbar.

"Flüsternde Talente" werden jene Spieler genannt, deren Karriere Umwege braucht, weil sie im Akademiealter noch nicht so weit sind. Es gilt, sie wieder besser zu hören.

Keine Frage, das Ausbildungs-Thema ist in Deutschland nicht der einzige Grund für das aktuelle Nationalmannschafts-Tief, dafür ist das Spielermaterial trotz allem zu gut. Und in Österreich haben wir auch schon auf wesentlich niedrigerem Niveau gejammert.

Aber es ist ein Symptom und auf manchen Positionen auch ein Problem. Da es nun mal die Basis für vieles im Profi-Fußball ist, gilt es immer und immer wieder darauf hinzuweisen. Gerade in einem Fußball-Land, das Antrieb zu Innovation mitunter nicht in seiner DNA hat.

Die Tendenz, erst dann tätig zu werden, wenn der Hut brennt, kann man auch den Deutschen mitunter vorhalten.

"Früher kamen Engländer und Franzosen, um sich unsere Talentförderung anzusehen, heute klopft keiner mehr an. Wir haben uns in den letzten Jahren etwas auf vergangenen Erfolgen ausgeruht", erklärte im Frühjahr 2021 mit Joti Chatzialexiou der "Sportliche Leiter Nationalmannschaften" in einem interessanten Interview bei "11 Freunde".

Weiters meinte er: "Sollten wir unsere Nachwuchsausbildung nicht massiv verändern, wird der deutsche Fußball nach der WM 2026 eine lange Durststrecke erleben."

Damals konnte er noch nicht wissen, dass bereits die EURO 2021 eine Enttäuschung und die WM 2022 ein Fiasko werden würden.

Der Satz eingangs stammte übrigens von Flick, gesagt gestern auf der PK nach dem WM-Aus. Aber so ähnlich könnte er natürlich auch von Rangnick stammen.

Während in dessen Heimatland nun ein schonungsloses Aufarbeiten des Scheiterns zu erwarten ist, scheint der deutsche ÖFB-Teamchef der große Hoffnungsträger zu sein, dass auch hierzulande stets Finger in die vorhandenen Wunden gelegt werden.

Sein offenkundiges Interesse an heimischen Talenten lässt hoffen, dass er auch in Sachen Ausbildung wertvolle Hinweise gibt.

Und in seinem eigentlichen Zuständigkeitsbereich, dem A-Team, lässt er ohnehin keine Zufriedenheit aufkommen.

Als ich ihn Ende August nach dem torreichen Saison-Start diverser ÖFB-Stürmer befragte, schlug er die Einladung zum Lob vehement aus und wies viel mehr darauf hin, dass Österreich keinen internationalen Klasse-Stürmer habe, mit David Alaba sowieso nur einen internationalen Superstar und "von mir aus" noch Konni Laimer.

Das ist – wenn man die Richtschnur nun höher legt - die Wahrheit.

Und womöglich haben wir da in Österreich auch gerade jenen kritischen Geist aus Deutschland am Werk, den dort der deutsche Fußball nun bräuchte.


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