Eine Überraschung war es im Endeffekt wahrlich keine mehr, dass Damir Canadi bei Rapid als Cheftrainer den Karren aus dem Dreck ziehen soll.
Der 46-jährige Wiener stand medial schnell in der "Pole Position", bei den zehn LAOLA1-Trainerkandidaten war der smarte Taktikfuchs ebenso an erster Stelle gereiht wie in der Gunst der User (34 Prozent, vor Kühbauer mit 25).
Dies und seinen Vertrag bis Sommer 2018 hatte sich der Ex-Kicker im "Qualifying" selbst erarbeitet. Etwa als er schon im Oktober die Führungsriege der Hütteldorfer mit einer detailgetreuen Präsentation in Staunen versetzte, als er seinen Neo-Klub mit seinen perfekt eingestellten Altachern jedes Mal aufs Neue zum Verzweifeln brachte oder generell durch die anhaltenden Erfolge mit dem Bundesliga-„Zwerg“.
Zufall? Kaum. Denn wer über den Tellerrand blickte, musste rasch feststellen, dass Canadi in der aktuellen Situation die beste Lösung für den SK Rapid ist!
Die Hütteldorfer benötigten eine Trainer-Persönlichkeit, die auf Anhieb funktioniert, das Umfeld kennt, Bundesliga- sowie internationale (Europacup-)Erfahrung mitbringt, dem Druck von außen gewachsen ist, gut mit (jungen) Spielern umgehen kann und dem Verein taktische Variabilität verleiht. Und zudem auch noch leistbar ist, schließlich muss man derzeit einige beurlaubte Herrschaften noch ausbezahlen.
Wir wollen eure Meinung wissen:
All das und noch mehr bringt Canadi mit. Eine internationale, außenstehende, unbefangene Variante klingt immer verlockend – Namen wie Thomas Doll, Mirko Slomka oder Murat Yakin machten die Runde -, doch der Zeitdruck und die jüngsten Erfahrungen mit Mike Büskens, der selbst nach einer intensiven Vorbereitung noch nicht funktionierte, und Andreas Müller ließen schnell erahnen, dass sich der Tabellenfünfte für eine österreichische Lösung entscheiden wird.
Um wieder Ruhe reinzubringen, sich nicht von einem großen Namen blenden zu lassen und mit akribischer Arbeit wieder zurück in die Spur zu finden – und das sofort. Zu richtungsweisend sind die anstehenden Duelle mit RB Salzburg, KRC Genk und Sturm Graz vor der anstehenden Mitgliederversammlung Ende November.
Dies traute man einigen anderen anscheinend nicht zu.
Dietmar Kühbauer etwa, der von vielen Fans aus emotionalen Gründen gefordert wurde, durfte ebenfalls vorsprechen, schaute aber wie schon im Juni vor der Büskens-Bestellung durch die Finger. Ein guter Motivator? Ja. Ein guter Feuerwehrmann? Womöglich. Aber auf Dauer? Darüber herrschte zu viel Skepsis, wenn man sich intern umhört. Auch mit seiner aufbrausenden Art hätte er in so einer wichtigen Rolle vielen keinen Gefallen getan. Dabei wäre es nicht ungewöhnlich gewesen, wenn die Hütteldorfer mit der Installierung einer ehemaligen Vereins-Legende Ungereimtheiten und Misserfolge in der jüngeren Vergangenheit kaschiert hätten. Doch auch in dieser Hinsicht wurde über den Tellerrand geschaut.
Das sind Canadis Vorgänger:
Auch Andreas Herzog hätte in diese Schublade gepasst. Aber einen 48-Jährigen, der noch nie eine Klub- sowie Erwachsenen-Kampfmannschaft trainiert hat, als Retter in der Not zu präsentieren? Zudem ist nicht bekannt, ob der Co-Trainer der USA seinen Status dafür überhaupt aufgegeben hätte.
Da hätte noch eher Admira-Coach Oliver Lederer ins Schema gepasst. Der 38-jährige, seit Kindheit an bekennender Rapid-Sympathisant, hätte das Grundzeug mitgebracht, steht aber noch auf den ersten Sprossen seiner Karriere-Leiter und könnte auch in Zukunft noch zur Option werden.
Alle Konkurrenten hatten aber einfach auch damit zu kämpfen, dass Canadi derzeit alles überstrahlt. Deshalb blickte Rapid auch über 17 Einsatzminuten für den Erzrivalen Austria hinweg oder zwei Wiener Stadtliga-Meistertitel mit Fortuna 05 und dem 1. FC Simmering als mitunter größte Erfolge. Schon davor hat er als Co-Trainer bei Lok Moskau internationale Erfahrung gesammelt. Viel mehr imponiert aber sein Weg in den letzten fünf Jahren als er mit dem FC Lustenau erstmals aufzeigte, danach mit Altach in die Bundesliga aufstieg, den Klub bis in die Europa-League-Quali und aktuell auf Platz zwei der Bundesliga – punktegleich mit Sturm – führte.
Eine Garantie, dass es von Anfang an und auf lange Zeit funktioniert, gibt es ohnehin nicht – schon gar nicht bei so einem polarisierenden und pulsierenden Klub wie Rapid. Viel wird auch für Canadi neu sein, denn Altach war mit Sicherheit ein gemütlicheres, ruhigeres Pflaster. Dafür kehrt er in seine Heimatstadt zurück, wo seine Familie lebt und die private Komponente passt. Wenn man die Fakten also abwägt und wie oben erwähnt über den Tellerrand hinausblickt, dann haben sich die Grün-Weißen nicht von ihrer Eitelkeit und dem unbedingten Willen, etwas Außergewöhnliches präsentieren zu müssen, leiten lassen, sondern mit Vernunft die richtige Entscheidung getroffen. Denn auch ich bin überzeugt, dass Canadi in Rapids aktueller Situation die beste und überlegteste Lösung ist.