Marcel Hirscher tut es schon wieder.
Der Ski-Superstar stapelt vor dem Weltcup-Auftakt in Sölden tief. Er bringe im Training keine guten Zeiten herunter, andere ÖSV-Fahrer seien schneller als er, beim ersten Riesentorlauf der Saison wäre schon ein Platz in den Top 15 gut.
Das kaufe ich ihm nicht ab. Erstens gibt sich ein Marcel Hirscher nicht mit einem Platz im Mittelfeld zufrieden, zweitens bin ich davon überzeugt, dass er im Training nicht weit von den besten Zeiten entfernt ist. Mag sein, dass er die Trainings nicht dominiert – ich will ihm auf keinen Fall unterstellen, dass er lügt. Aber inzwischen muss er in der Vorbereitung nicht mehr mit Vollgas den Berg hinunter rasen. Er weiß, wann er den Hebel umlegen muss. Nämlich beim Rennen.
Deshalb stapelt Hirscher stets tief
Es ist auch keine neue Methode, die der Salzburger anwendet. Bereits in den letzten Jahren schob er die Favoritenrolle oftmals weit von sich weg. Genau vor einem Jahr, ebenfalls kurz vor dem Auftakt in Sölden, betonte Hirscher, sein Ziel am Rettenbachferner sei ein Platz unter den ersten 15.
Es wurde ein starker, dritter Platz – mit hauchdünnem Rückstand auf den Sieg. Sorgen sollten sich die rot-weiß-roten Ski-Fans also auch diesmal keinesfalls. Doch warum stapelt Hirscher Jahr für Jahr tief?
Ganz einfach. Auf dem Annaberger lastet ohnehin schon genug Druck von außen. Fans und Medien erwarten Siege von ihm, da kann er so viel tiefstapeln, wie er will. Würde sich der 27-Jährige nun selbst auch noch nach außen hin großen Druck auferlegen, würde ihm vermutlich der Knopf platzen.
Bei genauerer Betrachtung wirken Aussagen wie „es wird beim derzeitigen Stand sogar schwierig, in die Top 15 zu fahren“, sogar genau in die andere Richtung. Sie nehmen ihm eine gewisse Last ab. Denn sollte im Fall der Fälle (der höchstwahrscheinlich nicht eintreten wird) wirklich etwas schiefgehen und er etwa die komplett falsche Abstimmung wählen, kann er im Nachhinein sagen, dass er es ja bereits vorher wusste. Langwierige Erklärungen würde er sich dann ersparen.
Fans und Medien würden Patzer ausschlachten
Eine Art Selbstschutz also. Auch in anderer Hinsicht: Die Öffentlichkeit ist sehr streng, wenn es um die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Überheblichkeit geht. Ansagen wie „wenn ich einen normalen Tag erwische, kann mich keiner schlagen“, wird man von ihm nicht zu hören bekommen. Auch, wenn sie in Hirschers Fall wohl der Wahrheit entsprechen würden.
Warum? Für einige würden solche Aussagen großkotzig wirken. Und sollte dann wirklich irgendetwas passieren – was heutzutage bei der Millimeterarbeit mit Kanten, Wachs, der generellen Abstimmung und anderen Einflüssen ja eigentlich schnell der Fall sein kann – und Hirscher einmal nicht auf das Podest oder in die Top 5 fahren, wäre das ein gefundenes Fressen für gewisse Medien, Fans oder selbsternannte Experten. Sofort würden seine Aussagen ausgegraben werden.
Deshalb ist es verständlich, dass Hirscher seiner Linie treu bleibt und lieber zu tief, also zu hoch stapelt. Außerdem: Warum sollte er etwas ändern? Die Strategie hat in den letzten Jahren schließlich nicht so schlecht funktioniert.
Ich muss im Gegensatz zu ihm keine Rücksicht nehmen. Und ich behaupte, die Fans brauchen sich keine Sorgen zu machen. Marcel Hirscher fährt in Sölden unter die ersten 5. Davon bin ich nach wie vor überzeugt.