Am letzten Saisonwochenende sind zwei Mal 29 Punkte (25 für den Sieg, drei für die Pole, einer für die schnellste Runde) in der Formel-E-WM zu vergeben.
Dabei sind die Rollen klar verteilt: Jake Dennis, 2019 Teamkollege von Ferdinand Habsburg im St. Gallener Aston Martin in der DTM, führt nach dem Sieg zuletzt in Rom mit 195 Punkten klar. "Aber zu wenig, um mich auszuruhen", sagt der Londoner vor dem Heimspieldoppel im ExCel (Samstag und Sonntag jeweils 18:00 Uhr MESZ).
Seine Verfolger sind die verbliebenen Titelanwärter und beide Neuseeländer, die noch dazu nächste Saison Teamkollegen bei Jaguar sein werden: Nick Cassidy, im Jaguar-Kundenteam Envision heuer in Hochform, mit 171 Punkten und Mitch Evans im Werk-Jaguar mit 151.
Dass Dennis in Rom mehr als nur Rennen 14 gewann, war der Kollision der beiden Verfolger zuzuschreiben, die einem Fahrfehler von Evans folgte.
Evans könnte erneut leer ausgehen
Dabei ist der Webber-Schützling für viele der schnellste Fahrer der Elektroserie und nützt die Vorteile des britischen Aggregats in Sachen Effizienz am besten aus. "In Rom passierte Mitch der erste Fahrfehler seit New York 2019", nimmt ihn Teamchef James Barclay in Schutz.
Doch Evans, 29, könnte heuer wieder wie im Vorjahr (Vizemeister hinter Stoffel Vandoorne) "leer" ausgehen, trotz dreier Saisonsiege. In Saison acht schaffte er vier Rennsiege (also 25 Prozent) und sieben Podestplätze und verlor dennoch den Titel im letzten Rennen in Seoul.
"In diesem Jahr ließen wir zu Saisonbeginn zu viele Punkte liegen, aus dem einen oder anderen Grund", bestätigt Evans, "deshalb begann meine Meisterschaft in Sao Paulo." Das war Rennen sechs, bis dahin hatte er nur einen siebenten Platz in Dirijah als bestes Resultat vorzuweisen. Danach folgten zwei Nullnummern und sonst nur Top-Vier-Resultate.
"Ich werde jetzt nichts mehr anders machen. Es geht darum, beide Rennen zu gewinnen", sagt Evans zur Taktik in fast auswegloser Situation.
Cassidy lauert auf Fehler von Dennis, der sich vorsichtig gibt
Doch dass vieles möglich ist, weiß auch sein Landsmann Nick Cassidy. Der 28-Jährige hat nach drei Siegen und sieben Podiumsplätzen eine deutlich größere Chance, sollte Dennis ein Streichresultat einfahren.
"Wir haben heuer sehr viel Vertrauen gewonnen und eine starke Saison abgeliefert", sagt Cassidy, "aber die Jungs da (Dennis und Evans, Anm.) sind auch enorm stark."
Der ebenfalls 28-jährige Dennis, der für den Porsche-Kunden Avalanche Andretti fährt, hat den psychologischen Vorteil, im Vorjahr hier mit den Plätzen eins und zwei ein Megawochenende abgeliefert zu haben. Dennis muss nicht gewinnen, hat aber als Favorit alles zu verlieren, während Cassidy und Evans nur noch gewinnen können.
Er gibt zu: "Du weißt nie, wie die Bedingungen hier sein werden." Denn der Indoor-Outdoor-Kurs durch das Ausstellungsgelände und die riesige Halle bringt nicht nur einen rapiden Lichtwechsel, sondern auch einen möglichen Nass-Trocken-Mix auf einer in der Halle ohnedies rutschigen Bahn.
Für Günther geht es um Platz fünf
Wohl aus dem Rennen ist bereits der viertplatzierte Porsche-Pilot Pascal Wehrlein, der nach starkem Saisonbeginn (zwei Siege und ein zweiter Platz in den ersten drei Rennen) zuletzt trotz eines Sieges in Jakarta zu viele Punkte ausließ, weil Porsche im Qualifying schwächelte. Und die K.o.-Qualifikation mit den "Duellen" der jeweils besten Vier aus den zwei Qualigruppen ist ein Schlüssel zu einer Topplatzierung – besonders im ExCel, wo Überholmöglichkeiten rar sind.
Für den im Finish starken Deutsch-Österreicher Max Günther (Maserati) ist nur noch eine Verbesserung um einen Rang auf Platz fünf (gegen Ex-Champion Jean-Éric Vergne im DS Penske) möglich. "Ich rechne nicht damit, dass Dennis wegen seiner Führung leichtfertig Platz machen wird. Aber auf jeden Fall dürfen die Titelanwärter keine Kollision riskieren", sagt der Allgäuer.
Der Kampf um die Team-WM zeigt die Kräfteverhältnisse deutlich: Es kämpfen die Werk- und Kundenteams zweier Hersteller um die Krone. Envision-Jaguar hat einen kleinen Vorteil mit 253 Punkten vor Porsche (239), Jaguar (228) und Andretti-Porsche (218). "Ein WM-Titel unseres Kunden wäre auch für unsere Arbeit in der Entwicklungsabteilung ein toller Erfolg", geben die Teamchefs von Porsche, Florian Modlinger, und Jaguar, James Barclay, zu. Aber man merkt ihnen an: Der eigene Erfolg wäre doch schöner.
"Hier im Finale um beide Titel zu kämpfen ist das, worauf wir ein Jahr lang hingearbeitet haben", sagt Barclay. Dennoch: Sollte kein Titel gelingen, wäre es für die Briten mit dem effizientesten Antriebsstrang und zwei routinierten Siegfahrern dennoch eine herbe Enttäuschung.