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Die Mercedes-Zeitenwende naht: Darum Formel E

Toto Wolff über den Umstieg der Sterne vom Tourenwagen- in den Elektro-Motorsport.

Die Mercedes-Zeitenwende naht: Darum Formel E Foto: © GEPA

Wenn am Wochenende die Formel E in das große Finale der Saison 2017/18 mit zwei Rennen in New York City geht und gleichzeitig die DTM in Zandvoort aus ihrer kurzen Pause kommt, wird die Aufmerksamkeit von Beobachter Toto Wolff erstmals zweigeteilt sein.

Während sein eigenes Hauptprojekt, die Formel 1, nach dem ersten Triple-Header ihrer Geschichte endlich wieder ein freies Wochenende genießt, wird seine Frau Susie Wolff ihr Debüt als Teamchefin des Formel-E-Rennstalls Venturi geben.

Außerdem werden letztmalig Rennen der Elektroserie ohne Mercedes-Bezug über die Bühne gehen. Bevor die Silbernen selbst 2019/20 als Werksteam in die Formel E einsteigen, wird der eng mit der Marke verbundene Rennstall HWA im kommenden Jahr als Venturi-Kunde fungieren und Vorarbeit für den Werkseinstieg leisten.

Die Zeitenwende für den Automobil-Riesen wird damit an diesem Wochenende eingeleitet. Eine Zeitenwende, die auf Kosten des DTM-Engagements geht, was nicht nur die Zukunft von Lucas Auer am Ende des Jahres ins Ungewisse stellt.

Eine neue Zielgruppe

"Die Formel E ist eine völlig andere Spielwiese. Die Entscheidung gegen die DTM war keine Entscheidung für die Formel E", meinte Toto Wolff vor Beginn der Saison bei einem Medientermin in Wien.

Es war eine Marketingentscheidung, die getroffen werden musste. Und in dieser hatte die Formel E Vorzüge zu bieten, welche die DTM nicht mehr vorweisen konnte.

"Alles wird elektrisch. Auch Automobilkonzerne sind in einer Umbruchphase, und es ging darum abzuwiegen, auf welcher Plattform man sich neben der Formel 1 engagieren will. Am Ende des Tages machen wir Motorsport, um die Marke zu bewerben, und alles kann man nicht machen."

Die Formel E würde eine neue, urbane Zielgruppe ansprechen, die Rennen sind Events, die auch neben dem eigentlichen Rennen vieles bieten und so die modernen Lifestyle-Attitüden der Marke besser bedienen.

Nicht, was ist, sondern das, was wird

Dass die Formel E vor lauter Zukunftsperspektiven in der Gegenwart noch kaum eine Rolle spielt, mache dabei keinen Unterschied.

"Es geht weniger darum, was es heute ist, als vielmehr darum, was es übermorgen vielleicht ist. Wenn ich mir die Autos der nächsten Generationen ansehe, wird das auch uns 'Petrolheads' taugen. Vierradantrieb mit 500 Kilowatt Leistung, wir fliegen durch die Stadt mit einem Auto, das unter zwei Sekunden auf 100 km/h beschleunigt – das wird Helikopterfliegen im Wohnzimmer", zeigt sich Wolff begeistert.

"Und wenn das noch den Hollywood-Glamour bekommt, weil von Orlando Bloom bis Leonardo DiCaprio alles vertreten ist, kann das etwas."

Auch Kinder finden Autos cool

Kann man im Umstieg von Mercedes sogar eine Art Paradigmenwechsel verorten? Für Wolff ist jedenfalls klar, dass das Thema "Automobil" einer Adaption unterliegt, seine Relevanz langfristig aber keineswegs einbüßen wird.

Das Auto sei nach wie vor ein emotionaler Faktor im Leben, schon bei den Kindern. Der Zeitgeist ruft nach sauberer Effizienz und Kostenreduktion, aber die "Nebenansprüche" an ein Fahrzeug sterben deswegen nicht weg.

"Die Emotion und Passion für das Auto existiert und wird das auch in Zukunft tun. Eine der profitabelsten Einheiten innerhalb des Mercedes-Konzerns ist die 'AMG', die 120.000 Autos jährlich verkauft, die sich hauptsächlich über die Performance definieren", gibt Wolff zu bedenken.

Keine Kostenexplosion in der Formel E

Und was die Geldfrage betrifft – da steigt Mercedes in der Formel E langfristig nicht schlechter aus.

"Die Anlaufsaison wird teurer als die Folgesaisonen. Aber dann ist es ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und wird deutlich weniger sein, als wir im Tourenwagen-Sport ausgeben", ist Wolff sicher.

Bedenkt man den Personal-Aufwand, schätzt der Motorsportchef den Aufwand auf "etwa 40 Prozent von dem, was die DTM verursacht" ein.

"Es ist ein Einheits-Reglement, das Chassis ist ein Standard-Teil. Du kannst deinen eigenen Motor, deine eigene Hinterrad-Aufhängung, deine eigenen Federn und Dämpfer entwickeln – und sonst nichts", erklärt der 46-Jährige den Hintergrund.

Ein "Tanz auf drei Hochzeiten" mit der Formel 1, Formel E und DTM sei aber nicht zu finanzieren und würde auch der Markenphilosophie nicht entsprechen. Man wolle Ressourcen bündeln, sich werksmäßig auf die Hauptaufgaben konzentrieren und dort einen möglichst guten Job abliefern.

Und was macht dann Auer?

Bleibt noch die Frage, was mit den bei Mercedes aktuell in der DTM engagierten Fahrern und Ressourcen geschieht – und sogar mit der Rennserie selbst.

Besonders für Lucas Auer müssen sich nach vier Jahren der steten Entwicklung zum Titelkandidaten Ende 2018 neue Fenster auftun. Ein Verbleib in der DTM wäre für den Werksfahrer nur mit einem Wechsel der Marke möglich.

Seitens Mercedes will man den eigenen Fahrern keine Türen verstellen, sollte innerhalb des Konzerns vorerst keine adäquate Weiterbeschäftigung möglich sein. Aber vielleicht wird der Tiroler erster österreichischer Formel-E-Pilot?

"Beim 'Luggi' geht alles. Von den Tourenwagen über die Formel E, zum Le-Mans-Abenteuer bis zur Formel 1. Wir haben auch ein starkes GT-Programm, wo er immer wieder im Auto sitzt. Mal sehen", sagt Wolff.

"Elektro-Rennfahrer sind jedenfalls nicht anders als Sprit-Rennfahrer. Einen sensiblen Gasfuß brauchst du so oder so, sonst drehen die Räder durch."

Die Hausaufgaben liegen also bei der Familie Auer und Berger. Denn um die DTM-Zukunft zu sichern, muss DTM-Boss Gerhard schleunigst Ersatz für Mercedes auftreiben.

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