Ein notwendiges Übel.
So lässt sich das Verhältnis von Formel-1-Fans zum Drag Reduction System, kurz DRS, wohl zusammenfassen.
Seit elf Jahren ist der Klapp-Heckflügel Bestandteil der schnellsten Rennwägen der Welt. Ein Vorteil für den Verfolger, geboren aus einer Notwendigkeit. Weil die Überholmanöver im Laufe der Jahre immer weniger wurden.
Kritik am System gab es immer, doch es wurde hingenommen, um wenigstens etwas Geschehen auf der Rennstrecke zu haben.
Die ersten beiden Rennen der Saison 2022 haben das System, bei aller erzeugten Spannung, aber wieder in den Fokus gerückt.
Noch nie zuvor gab es vier DRS-Zonen
So spannend der DRS-Kampf zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc in Saudi-Arabien auch war: Die entscheidende Frage drehte sich nur mehr darum, wer bei der finalen DRS-Zone die bessere Ausgangsposition für den Angriff haben würde.
Dies führte zur kuriosen Szene, in der sich beide Sieg-Kontrahenten einbremsten, um vor der DRS-Linie ja nicht in Führung zu liegen. Ein seltsames Schauspiel, für das sogar Red-Bull-Teamchef Christian Horner - trotz des Sieges seines Schützlings - Kritik übrig hatte (HIER nachlesen>>>).
Als gelbe Flaggen ausgerechnet im letzten DRS-Bereich kurz vor Schluss einen Konter Leclercs verhinderten, war die Siegchance des Monegassen dahin.
Beim Grand Prix von Australien (So., ab 7:00 Uhr im LIVE-Ticker>>>) könnte sich das Bild sogar verschärfen. Auf der umgebauten Strecke im Albert Park werden erstmals in der Geschichte gleich vier DRS-Zonen über die ganze Strecke verteilt.
Zu viel der künstlichen Spannung? Speziell, da den neuen Autos bessere Zweikampf-Eigenschaften nachgesagt werden? Oder noch notwendig?
(Text wird unterhalb fortgesetzt)
Fahrer: DRS weiter notwendig
Bei den Fahrern gibt es ein erstes Urteil: Ohne DRS geht es weiter nicht. Was nicht heißt, dass keine Adaptionen gefordert werden.
"Ohne DRS wäre ich niemals vorbeigekommen", gab Verstappen nach seinem Sieg in Jeddah zu.
Laut dem Niederländer hätten die Autos 2022 das Hinterherfahren zwar verbessert, einen positiven Effekt auf das Überholen wird es aber nur auf bestimmten Strecken geben.
Grundsätzlich seien die Autos in dieser ersten Version weiterhin zu anfällig für die "Dirty Air" des Vorausfahrenden, ein Umstand, den die neuen Aerodynamik-Regeln eigentlich beheben sollten.
"Aktuell brauchen wir DRS noch. Sonst wären die Rennen sehr langweilig", musste sogar der unterlegene Leclerc zugeben.
Auch aus Sicht des Ferrari-Piloten sei das Reglement 2022 "nur ein positiver Schritt", aber noch nicht genug, um DRS abzuschaffen.
Abschaffung sollte eigentlich ein Ziel sein
Eine Abschaffung in absehbarer Zukunft wurde im Zuge der Reglement-Änderung als mögliche Folge durchaus mitdiskutiert. Die Formel-1-Verantwortlichen sind sich der Künstlichkeit des Elements durchaus bewusst.
Nach den ersten Bildern der Saison 2022 verstummte diese Ansage. Die Grenze des Guten wird nun nach oben ausgelotet.
In Jeddah erhöhte sich die Anzahl der Überholmanöver im Vergleich zum Vorjahr übrigens um rund ein Drittel.
Wie groß der Anteil von DRS am Geschehen ist, lässt sich nur am Jahr 2011 ablesen, als es eingeführt wurde: Damals verdoppelten sich die erfolgreich bestrittenen Attacken im Vergleich zur Vor-DRS-Ära beinahe.
Effekt sollte gedrosselt werden
DRS erfüllt also seinen Zweck weiterhin, auch wenn die Kritikpunkte bleiben. Die Frage nach der Feinabstimmung bleibt aber offen.
Aus Sicht der Fahrer hätte das neue Reglement zumindest die Chance geboten, über die Ausgestaltung des Systems nachzudenken und seinen Effekt zu verringern. Aktuell ist das Gegenteil der Fall, dürfte das Zusammenspiel der neuen Aerodynamik mit DRS für einen überhöhten Vorteil des Verfolgers sorgen.
In Bahrain konnte Verstappen seine Attacken auf den führenden Leclerc immer vor der Bremszone vollenden, zog mühelos auf der Geraden vorbei. Ein seltsames Bild zwischen zwei sonst ebenbürtig kämpfenden Autos.
"Es wäre besser, wenn die Autos beim Bremsen gegeneinander kämpfen würden", regt Carlos Sainz an.
Taktik gefragt: Nicht nur vorbeikommen, sondern auch "wann"
Die Herangehensweise in Australien lässt aber Zweifel daran aufkommen, dass die Formel 1 zumindest in diesem Bereich einlenkt - im Gegenteil.
Dass sich fast über den gesamten Albert Park - der nach dem Umbau eine sehr lange Hochgeschwindigkeits-Passage vorweisen kann - DRS-Zonen erstrecken, ist ein Indiz, dass die Verantwortlichen tatsächlich mehr einen Segen, denn einen Fluch sehen.
Die Formel 1 muss aber aufpassen, dass sie ihr eigenes Ziel nicht überschießt. Die Fahrer sind über die Änderungen in Australien geteilter Meinung.
Im Kampf um den Sieg könnte es nicht mehr darum gehen, einfach am Konkurrenten vorbeizukommen, sondern richtig zu taktieren, denkt etwa Valtteri Bottas.
"Man muss sichergehen, im Kampf die Oberhand zu haben. Die Taktik wird eine wichtige Rolle spielen. Aber es wird Möglichkeiten geben, zu überholen. Darum finde ich die vier Zonen okay", meint der Finne.
Magnussen will sich auch verteidigen können
Zur Schaffung einer weiteren DRS-Zone wurde auch eine Schikane entfernt. Für Kevin Magnussen ist manche Neuerung "über das Ziel hinausgeschossen".
"Wenn Überholen zu einfach wird, ist das auch schlecht. Manche Strecken haben eine bessere Balance, weil sie die Möglichkeit bieten, sich zu verteidigen", sagt der Däne.
Geschehen wird in Australien viel, dafür ist der Ansatz ein Garant. Ob das Racing durch die DRS-Omnipräsenz besser wird, müssen die Fans entscheiden. Und die Formel 1 sich überlegen, ob sie so auf dem richtigen Weg ist.