Die 74. Saison der Formel 1 ist Geschichte. Und war geprägt von Rekorden und einer Dominanz wie selten zuvor.
21 Mal in 22 Rennen wurde die Bundeshymne für den "Winning Constructor" Red Bull Racing gespielt, das bedeutet eine Erfolgsquote von über 95 Prozent, noch mehr als die 15/16 von McLaren 1988 (bei sechs Rennen weniger). Max Verstappens Titel-Hattrick stand de facto bei Saisonhalbzeit mehr oder weniger fest.
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Ein persönlicher Rückblick auf…
… die Laune des Maximalisten:
Na ja, meistens sehr gut, was bei der Erfolgsanzahl kein Zufall ist. Herr Verstappen konnte auch mürrisch sein (um nicht zu sagen "angespeist"), siehe Singapur und Vegas im Vorfeld. Und er sollte nicht singen. Seine Coverversion von "Viva Las Vegas" auf der Auslaufrunde passte zwar, klang aber fürchterlich. Wahrscheinlich schlechte Qualität am Funk. Aber dennoch: Zum Glück wurde Max Rennfahrer und nicht Sängerknabe. 40 Millionen im Jahr hätte er als Elvis-Kopie nie verdienen können.
… den Frust der Enttäuschten:
Lewis Hamilton und Charles Leclerc werden seit Jahren als Titelanwärter gehandelt und blieben 2023 sieglos. Hamiltons letztes oberstes Podium steht in Jeddah im Herbst 2021 zu Buche, das von Leclerc auf dem Red Bull Ring im Juli 2022. Für beide gilt: 2024 kann nur besser werden. Wenn das jeweilige Auto besser wird und das Team Faux-pas unterbinden kann. Am besten beides.
… den Mann auf dem Rollercoaster:
"Checo" Pérez. Bejubelt, abgeschrieben, aussortiert, einsortiert, bestraft, fehlerhaft, glänzend…. Und am Ende erstmals Vizeweltmeister. Wer hätte diese Saison an seiner Stelle so durchgehalten?
… aufgehende und verglühende Sterne:
Aufgegangen ist jener von Oscar Piastri. Kurz geleuchtet hat sicher jener von Liam Lawson, doch im Red-Bull-Firmament bleibt er in Reihe zwei. Verglüht? Na ja, Lance Stroll hat eigentlich nie geleuchtet. Neue Leuchtkraft bekam jener von Fernando Alonso. Und auch von Alex Albon und Nico Hülkenberg, ginge es beim Deutschen nur um Quali und nicht um Rennen (nicht seine Schuld). Der neue Superstar? Günther Steiner. Ein Südtiroler mit kauziger Art, eigenem Akzent und vielen Emotionen, das ist ein Entertainer for Americans.
… einen Wiener Grantler?
Toto Wolff war stets – vielleicht mit Ausnahme Abu Dhabi 2021 und kurz danach – der Vorzeige-Teamchef. Immer freundlich, ansprechbar, witzig, analytisch – kurz, ein idealer Gesprächspartner, auch für Journalisten. Das Bild hat sich heuer etwas verändert. Erstmals heftige Kritik an den eigenen Mitarbeitern ("Dieses Auto hat sich keinen Sieg verdient"), Entschuldigungen vor allem bei Superstar Lewis wegen der Fahrbarkeit des "F1 W14 E Performance" und dann die Eruption gegen einen Journalisten in der Vegas-Presserunde. Nach den Verwöhnjahren 2014 bis 2020 muss Toto mit einer neuen Situation fertigwerden, was er bisher wohl nicht ganz schaffte.
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… den Mann mit der Mega-Handyrechnung:
Ein Rookie in dieser Formel-1-Saison, also im Paddock, war der neue Red-Bull-CEO Oliver Mintzlaff. Wann immer er zwischen Boxen und Energy Station präsent war, hing er am Mobiltelefon. Er hatte offenbar stets und viel zu reden (klar, bei seiner Position). Nur nicht mit Medien. Die hat er noch nicht in seinem Kommunikationsspektrum.
… den Anti-Pensionisten, den Doch-Pensionisten und den Botschafter-Pensionisten:
Helmut Marko, sonst für Medien durchaus eine "Spokesperson" von Red Bull (Racing), wollte zu seinem 80. Geburtstag keine Bewertung, keinen Ausblick, keinen Rückblick abgeben. Das Verhältnis zu seinem neuen Chef Mintzlaff dürfte sich im Lauf der Saison entspannt haben. Kein Wunder bei den Erfolgen, die Marko vorweisen kann. Er wird 2024 ins 16. Jahr nach dem Erreichen des österreichischen Pensionsalters gehen. Als ich ihn 2012, nach Vettels drittem Titel, fragte, wann er sich das Aufhören vorstellen könnte, meinte der Doktor: "Na ja, Ende 2014 laufen die Verträge von Vettel und Horner aus. Das wäre ein Zeitpunkt." Wir lernen: Es kommt meist anders, als viele denken.
Doch in Pension nach 18 Jahren als Chef von Toro Rosso/AlphaTauri ging Franz Tost. Der Tiroler, von Angestellten wie Freunden als "Arbeitstier" beschrieben, das in Faenza in der Früh das Licht auf- und am Abend abdreht, sagte noch vor einem Jahr in einem Gespräch mit mir, er wolle noch länger weiterarbeiten, es gäbe viel zu tun. Es liegt die Vermutung nahe, sein Abschied vom Team war nicht ganz seine eigene Entscheidung.
Und der Pensi-Botschafter ist Josef Leberer. Dass man mit 64 als Hand-Werker, sprich Physio und Masseur, nach 35 Jahren in der Formel-1-Hektik, einmal ruhigere Zeiten verdient hat, liegt auf der gefühlvollen Hand. Dass ihn Sauber zum Botschafter macht, ist eine wohlverdiente Transition für den überall beliebten Salzburger.
... das Dilemma der FIA:
Wenn die einzelnen Gremien der Formel 1, von der "Technischen Beratergruppe" über die "F1-Kommission" bis zum "Weltrat", zusammensitzen und immer neue Regeln und Bestimmungen aushecken, dann kann es unübersichtlich werden. Die Leidtragenden sind die "unabhängigen", von der FIA nominierten Rennkommissäre, die dafür gebeutelt werden, dass sie das Regelwerk, das eben andere entwarfen, umsetzen. Das kann zur Lächerlichkeit vor einem Millionenpublikum führen – siehe das Unwort des Jahres "Track Limits", siehe Red Bull Ring, Losail usw. – und das kann zu bodenloser Ungerechtigkeit führen – siehe die Strafversetzung von Carlos Sainz nach dem Kanaldeckenunfall in Vegas. Dass das Reglement keine "Force Majeure" für diesen Zwischenfall vorsieht, gehört ehestens korrigiert. Es wird spannend, welche Schadenersatzforderung Ferrari für den Materialschaden an die Vegas-Betreiber (die Tochterfirma des F1-Promotors) schicken und einklagen wird. Tipp: Es wird eine "einvernehmliche" Lösung unter Ausschluss der Öffentlichkeit geben. Negativ-PR will eben keiner. Und das sportliche Dilemma der Rückversetzung kann ohnedies nicht mehr ausgebügelt werden, entgangene WM-Punkte sind nirgends einklagbar.
… die allmächtige Formel 1?
In Vegas passierte Unvorhergesehenes durch einen menschlichen/technischen Fehler. Mit weitreichenden Folgen für Teams, zahlendes Publikum und den Veranstalter. Dass aber Imola im Frühjahr in der Sintflut unterging, zeigt: Die Natur ist immer noch stärker.
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... die Frage: Sport oder Geschäft?
Die Illusion, die Formel 1 sei Sport und Technik und sonst nix, wurde spätestens heuer zerstört. Sie war schon unter Bernie Ecclestone (93) ein Milliardengeschäft, das die Amerikaner von Liberty Media mit der Übernahme der kommerziellen Rechte noch massiv ausbauten. Die Maxime ist jetzt TV- und Streaming-gerechte Show – der plötzliche Erfolg der Formel 1 in den nun drei US-Rennen spricht dafür, dass sie so – zumindest drüben – notwendig ist. Wer wollte wieder US-Rennen wie z. B. Phoenix, Detroit, das "alte" Vegas oder Dallas haben, bei denen die Zuschauer einzeln begrüßt werden konnten? Die Formel 1 als Show und Glücksspiel? Es wird keiner dagegen aufbegehren, solange er selbst mitverdienen kann. Auch wenn die letzten Angestellten physisch und psychisch schon vor dem Saisonende am Ende sind. Dazu passt auch die gnadenlose Erweiterung des Kalenders von heuer (durch die Imola-Absage) 22 auf 24 Rennen 2024 (wieder mit Imola und der Rückkehr von Schanghai). Es gibt weder eine Rücksichtnahme auf klimatische Bedingungen (Katar 2023!!!) noch eine "intelligente" Terminplanung.
… die Lüge "Net Zero 2030":
Die verkündet die Formel 1 auf ihrer Website, an jeder Strecke und immer und überall. Das mag vielleicht teilweise eintreffen, wenn wirklich E-Fuels die Wagen ab 2026 antreiben. Aber das wird sicher nicht auf das Millionenpublikum vor Ort oder die Flugreisen des gesamten Zirkus zutreffen. Und wer sich einmal ausrechnet, wie viel Energie der gesamte Datenverkehr an einem Rennwochenende (zwischen FIA, Teams und den HQ der Rennställe) oder die Simulatorarbeiten verbrauchen, der wird das "Net Zero 2030" wirklich nicht glauben können.
Und jetzt Entzug?
Welcher Formel-1-Fan nun daran leidet, dem sei Hoffnung mitgegeben: Nur mehr weniger als 100 Tage, bis zur ausgehenden roten Ampel in Bahrain 2024. The Show Must Go On.