news

Fesselspiele, Freudentränen und der Kampf gegen mich selbst

Im Rennwagen um den Red Bull Ring: Für einen LAOLA1-Redakteur wird ein Kindheitstraum wahr. Ein Erlebnis, das die eigenen Grenzen kennenlernen lässt.

Fesselspiele, Freudentränen und der Kampf gegen mich selbst Foto: © Philip Platzer/Red Bull Ring

Freitag, 10:00 Uhr. Eigentlich bin ich ja auf einen normalen Arbeitstag am Red Bull Ring eingestellt.

Naja - so "normal", wie ein solcher sein kann: Vormittags zum Interview mit Formel-1-Fahrer Zhou Guanyu. Dann die Sessions verfolgen und mein Gespräch mit Peter Bayer>>> vom Vorabend abtippen. Abends vielleicht zu einem Medientermin mit Toto Wolff, falls ich auch ohne Einladung reingelassen werde.

Alles für sich schon keine Programmpunkte, die Alltag sind. Aber die ich bei meinem dritten Dienstbesuch beim Grand Prix von Österreich schon irgendwie kenne.

Ein Anruf, den ich besser annehme

Das Handy läutet. Unbekannte Nummer. Ich gehe nicht ran - zu viele Scammer-Anrufe in den letzten Tagen. In einem Kommunikationsberuf nochmal ein größeres Ärgernis.

Wer was von mir will und nicht eingespeichert ist, muss zweimal anrufen. Eine schlechte Angewohnheit, die mich beinahe einen Kindheitstraum kostet.

Denn fünf Minuten später spricht mich Journalisten-Kollege Andreas Gstaltmeyr, mit dem ich mir schon traditionell eine Unterkunft teile, an: "Hat dich gerade wer angerufen? Ich glaube, da solltest du rangehen."

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Das Media Team des Red Bull Rings ist dran. Das Telefonat dauert nicht lang, eine Minute später können wir von Angesicht zu Angesicht sprechen.

Ich bin abends zu einer Mitfahrt im Race Taxi eingeladen. Meine Innereien machen einen Satz nach oben. Nicht zum letzten Mal an diesem Tag, aber vorerst noch aus purer Vorfreude.

Nicht so schneeeell

18:10 Uhr. Treffpunkt. Es ist ein exklusives Erlebnis, neben mir findet sich nur ein zweiter Kollege ein.

Etwas später in der Umkleide stößt noch ein bekanntes Gesicht zu uns: Christian Klien, mit dem "ServusTV"-Expertenteam im Schlepptau. Bei der Gelegenheit wird ein Beitrag gedreht. Irgendwie ist seine Anspannung nicht ganz so hoch wie unsere.

Die macht sich bei mir nämlich am Weg mit dem Golfkart ins Infield des Rings doch breit. Und wird auf meine Art übertüncht, mit blöden Witzen: "Bitte nicht zu schnell! Ich hab's nicht so mit Geschwindigkeit", bitte ich die Fahrerin, die das angesichts des folgenden Programmpunkts mitleidig belächelt.

Da ist ihre Vorahnung besser als meine. Denn ich sollte an diesem Abend lernen, dass der Wahrheitsgehalt hoch ist.

Bei 30 Grad im Strampler

Programmpunkt eins: Modeschau. Keine Fahrt in einem Rennwagen ohne Overall und Helm. Die richtige Anzuggröße findet sich auf Anhieb, es gibt allerdings Lustigeres, als sich bei rund 30 Grad in eine Art Kuschelpyjama zu quetschen.

Kevin Raith und LAOLA1-Redakteur Johannes Bauer
Foto: © Philip Platzer/Red Bull Ring

Dass ich einen Wasserkopf habe, war mir aber neu. Da braucht es schon Helmgröße XL, bis einer richtig sitzt. Das gebe ich mit einem Daumen nach oben zu erkennen - ziemlich gute Schalldichtung haben die Dinger. Die braucht es später auch.

Nach einigen Minuten des Wartens respektive des völligen Einschwitzens meines neuen Outfits, ohne eine gröbere Bewegung gemacht zu haben, geht es zurück auf das Golfkart. Und hinauf. In den Bereich zwischen langer Gerade und Doppel-Links.

Wir stehen mitten zwischen den Leitplanken, während links und rechts die Autos des gerade trainierenden Porsche Supercups an uns vorbeidröhnen. Nochmal deutlich näher, nochmal deutlich lauter, als sie es sonst schon tun.

Aber meine Aufmerksamkeit haben sie nicht lange. Die Gefährte, die da vor uns stehen, sind auch im Stillstand beeindruckend.

Schon vorm ersten Meter ein fesselndes Erlebnis

Ein paar GT-Renner: Porsche. Ford. KTM. Und nicht zuletzt ein NASCAR. Es sieht aus wie vor rund 30 Jahren in meinem Kinderzimmer, bloß waren die Autos damals noch in Hosentaschengröße.

Ich werde zu einem der beiden Porsche geschickt. Rallyefahrer Kevin Raith begrüßt mich. Ein sympathischer und entspannter Steirer, der diese Entspanntheit in wenigen Minuten ruhen lässt.

Foto: © Philip Platzer/Red Bull Ring

Um überhaupt auf den Beifahrersitz zu gelangen, braucht es schon eine Einlage, die mich kurz an meine baldige Reise zu den Olympischen Spielen erinnert. Diesmal als Journalist, aber wenn ich diese Verrenkungen brav weiter übe, wird mich das ÖOC in Los Angeles für die Turnbewerbe nominieren müssen.

Mit Bewegung ist es danach schnell vorbei - ich werde angeschnallt. Und das so eng, dass es kein Entkommen mehr gibt. Allein für dieses Bondage-Erlebnis zahlt man andernorts viel Geld. Das alles in einer Körperhaltung, die sich anfühlt, als würde mein Hintern gleich über den Asphalt radieren.

Dann wirft Kevin den Motor an. Alles vibriert. Und dabei bewegen wir uns noch minutenlang keinen Zentimeter.

Bis zum Zeichen des Einweisers. Abfahrt.

Fahren wir gerade ein Rennen?

Eine halbe Runde im Aufwärm-Trimm, zwei Runden bei Vollgas. So das Briefing.

"Aufwärmen" scheint für Kevin aber vom ersten Meter an relativ zu sein. Dass in den anderen Geschossen mit David Coulthard und Patrick Friesacher auch Männer sitzen, die hier schon Grand Prix' bestritten, scheint seinen Ehrgeiz zu wecken: Wir fahren nicht als Erste los, kommen aber als Erste an, so viel sei vorweggenommen.

"Bitte nicht! Das kann ich jetzt echt nicht bringen."

Johannes Bauer über seinen Brechreiz

Nicht die Beschleunigung wird es sein, vor der ich mich hüten muss, sondern die Fliehkräfte in den Kurven, warnte mich Kevin zuvor. In Sachen Beschleunigung würde sich sein 500-PS-Porsche von Straßenfahrzeugen gar nicht so sehr unterscheiden.

Schon am Weg zur ersten Kurve grüble ich, welches Auto Kevin wohl privat fährt. Der Porsche schiebt und schiebt und schiebt. Ich muss etwas belustigt an mein Dienstauto denken, das später am Parkplatz wieder auf mich wartet. In dem malträtiere ich bei 100 km/h bergauf das Bodenblech erfolglos.

Der abschweifende Gedanke wird vom ersten Anbremsen regelrecht aus mir rausgeboxt. Mit gefühlt noch mehr Wucht als zuvor in den Sitz werde ich in den engen Gurt geworfen.

Sofort wird klar: Mein Endgegner, das sind nicht die Kurven. Das werden die zwei Sekunden davor.

Der Schlag in den Magen - und die Ungewissheit, wann er mich ereilt. Denn Kevin steigt natürlich deutlich später in die Eisen, als es mir mein Instinkt am Beifahrersitz ins Hirn brüllt.

Zwei Kontrahenten in mir

Apropos Hirn und Magen: Die werden in den folgenden sechs, sieben Minuten - Zeitgefühl geht verloren - zu direkten Gegenspielern.

David Coulthard und Patrick Friesacher sehen uns nur von hinten
Foto: © Philip Platzer/Red Bull Ring

Während im Oberstübchen ein Feuerwerk der Glückshormone abbrennt und mir Tränen in die Augen treibt, die ich zumindest im Nachhinein als Freudentränen und keine Nebenwirkung der harten Bremsmanöver verbucht haben will, fragt mich der Bauch nach nur einer halben Runde, was zur Hölle das jetzt werden soll.

Aus meinem Scherz von vorhin wird bitterer Ernst. Kevin neben mir ahnt nicht, dass mein Brechreiz schon nach den ersten Kurven zum blinden Passagier wird.

"Bitte nicht", sage ich mir selbst. "Das kann ich jetzt echt nicht bringen". Von der Peinlichkeit, bei der Ausfahrt mit einem Rennwagen selbigen vollzuspeiben, würde sich meine Motorsportjournalisten-Karriere nicht erholen.

Es beginnt ein Kampf mit mir selbst, der Red Bull Ring ist dabei echt keine Hilfe. Seine Charakteristik als Berg- und Talfahrt wird erst in einem Auto so richtig spürbar. Dazu lerne ich jede Bodenwelle persönlich kennen, die sonst nur die Bordkameras durchschüttelt.

Fünfmal pro Runde werde ich heftig nach links geworfen, zweimal nach rechts. Der Vergleich ist ausgelutscht, aber: Ich bin auf einer Achterbahn. Und im Prater setze ich mich eigentlich nicht freiwillig in die Dinger.

Aber: Es sind vielleicht die aufregendsten Minuten meines Lebens. Mit Ausnahme meines Magens freut sich jeder Teil meines Körpers über das, was gerade mit ihm geschieht.

Darf ich noch ein bisschen sitzen bleiben?

So ist es eine Mischung aus Bedauern und Erleichterung, als wir die letzte Kurve zum zweiten Mal im Renntrimm durchfahren. Gleich ist es vorbei. Der Bauch jubelt, der Rest von mir will mehr.

Ohne Hilfe kein Rauskommen mehr
Foto: © Philip Platzer/Red Bull Ring

Und er bekommt mehr. Von wegen zwei Runden. Kevin bleibt am Gas. Es gibt eine unangekündigte Ehrenrunde.

Die kurze Befürchtung, den Kampf jetzt zu verlieren, weicht aber der Feststellung: Mein Magen hat sich für den Moment seinem Schicksal ergeben! Vielleicht habe ich meine Feuerprobe doch bestanden.

Wir kassieren als Erste die Zielflagge, kommen wieder zum Stillstand. Das Grinsen will das Gesicht nicht mehr verlassen, auch wenn der Rest noch etwas zittert.

Der Versuch, mir das nicht anmerken zu lassen, scheitert. Ohne fremde Hilfe wieder aus dem Auto rauskommen? Jetzt gerade keine Chance! Auch mein dankbares Abklatschen mit Kevin wird beinahe ungewollt zur Umarmung.

Sorry, Toto

Was bleibt, ist ein unvergessliches und unbezahlbares Erlebnis. Und das, obwohl die Fahrerlebnisse sehr wohl jedem offen stehen, der ein paar Euro hinlegt - und einen stärkeren Magen als ich mitbringt. Zu erwerben gibt es diese Momente HIER>>>.

Man hat auch deutlich länger Freude an der Sache, als sie selbst andauert. Den ganzen restlichen Abend weicht das Hochgefühl, das mir eben geschenkt wurde, nicht mehr von der Seite.

Das gilt leider auch für die Übelkeit. Toto Wolff muss ohne mich auskommen. Ich habe meinen nächsten Kampf zu kämpfen: Jenen mit dem Abendessen.

Dirndl, Schnitzel, Fans & Promis - Best of Spielberg 2024

Kommentare