Nichts mehr mit "Formel fad". Die Formel 1 ist wieder sexy!
Obwohl die Vorzeichen der Saison 2023 auf die Fortsetzung der Dominanz von Max Verstappen und Red Bull Racing deuten (NACHLESEN: Die Winter-Abrechnung aller zehn Teams>>>), werden den Grand Prix von Bahrain so viele Menschen verfolgen wie seit der Jahrtausendwende keinen Saisonauftakt mehr.
Die Formel 1 geht in das "verflixte siebte Jahr" unter der Leitung von Liberty Media. Und bis jetzt hat der US-Konzern, der die Inhaberschaft Anfang 2017 für sieben Milliarden Euro erwarb, vieles richtig gemacht.
Das beweist ein Übernahme-Angebot des saudischen Staatsfonds, das trotz dreifacher Höhe dieser Summe abgewiesen wurde. Ihr Wert hat sich vervielfacht.
Land of the free, home of the F1
Der angestaubte Sport hat ein jugendliches Image bekommen, erobert Social-Media-Kanäle und via "Drive to Survive" den wichtigsten Streaming-Anbieter. Damit hält sich die Formel 1 im Gegenwind des Zeitgeists wacker.
Mehr noch: Das Werben um die Gunst der US-Zuseher trägt nach Jahrzehnten endlich Früchte. Alle Stellschrauben der letzten Jahre wurden im Hinblick auf das Land gedreht, in dem das Kreisfahren unter Einbezug von Rechtskurven lange so beliebt wie "Soccer" war.
Drei US-Rennen inklusive des Glitzer-und-Glamour-GP in Las Vegas warten im Rekordkalender 2023. Zwecks des Spektakels werden sechs Sprintrennen absolviert. Der sportliche Mehrwert des Formats ist nach zwei Jahren noch in der Diskussion. Aber die Formel 1 trimmt sich eben auf Entertainment.
Und das ist nicht ausschließlich eine gute Entwicklung.
Da hat sogar Bernie einmal recht
Dass ausgerechnet Bernie Ecclestone den Nagel auf den Kopf trifft, wenn er vor einer "Formel Hollywood" warnt, mag nach manch anderer seiner Aussagen konterintuitiv sein.
Aber der Ex-Zampano hat die Formel 1 schon einmal erfolgreich gemacht und kennt die Rezepte, die sie Ende des vorigen Jahrtausends groß machten. Seine Kritik kann als Mahnmal gegen die Entfernung von der Basis betrachtet werden.
Für Ecclestone stimmt die Balance zwischen Sport und Show nicht mehr, er verweist auf die Fanbase in Deutschland.
Einst die Hochburg des Motorsports, sind dort die Zuschauerzahlen gegen den weltweiten Trend im Sinkflug, Abwesenheit eines Superstars wie Michael Schumacher und eines eigenen Rennens – für sich auch eine traurige Feststellung – sind nicht die einzigen Gründe.
"Was in den USA funktioniert, funktioniert in Europa nicht so gut und vice versa. Die Formel 1 ist mehr und mehr für den amerikanischen Markt gemacht. Das Rennen in Las Vegas sollte die Krönung sein, aber ich glaube, die Deutschen wollen einen sportlichen Wettkampf und nicht so einen Schwindel", findet Ecclestone.
Spannung? Naja, die Bilder waren schon toll!
Und hat damit recht. Denn wie gut die Strecken in Las Vegas und auch Miami für das sportlich Dargebotene funktionieren, war hinter den bombastischen Bildern dieser Schauplätze maximal die zweite Überlegung.
Rund um das "Hard Rock Stadium" gab es bei der Premiere 2022 auch gleich ein Rennen zum Abschalten und sonntags an die frische Luft gehen.
Aber die Schauplätze müssen glamouröser werden. Für Bahrain, Saudi-Arabien, Aserbaidschan, Katar und Abu Dhabi darf dieser Anspruch pausieren, die Gründe sind bekannt, die aufregenden Strecken sind es sicher nicht.
Die Beteiligten ächzen
Auch dem aufgeblähten Kalender – dabei ist China sogar gestrichen worden! – kann keine sportliche Idee zugrunde liegen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Formel 1 werden ausgequetscht, drücken ihr Missfallen über diese Entwicklung schon länger aus.
Es scheint in der Frage des Machbaren eine Grenze erreicht, was die Oberbosse nicht davon abhalten wird, weiter in der ur-amerikanischen Prämisse "höher, schneller, größer, weiter" zu denken.
Und dabei auf verrückte Ideen zu kommen. Wie die Kartbahn im Tottenham Stadium. Die hat zwar mit Formel 1 eigentlich wenig zu tun, aber mit ihrem neuen Bombast umso mehr.
Der Sport selbst wird in diesem Entwicklungstempo eher früher als später an eine natürliche Wachstumsgrenze stoßen. Und dem wohnt die Gefahr inne, dass er irgendwann zur Nebensache verkommt.
Lasst euch nicht den Mund verbieten
Da wirkt es fast wie Ironie, dass den Fahrern politische Botschaften untersagt werden, um eben keine Nebenschauplätze zu eröffnen.
Dass einfach ein Produkt glattgebügelt und verkaufbar bleiben soll, bevor am Ende mit der "Frechheit" eines Menschenrechte-Appells gar noch einem der so geschätzten Partner vor Empörung die Geldbörse aus der Hand rutscht, ist zu offensichtlich. Aber die Fahrer wehren sich gegen diese Ansagen öffentlich, es sei ihnen Erfolg gewunschen.
Denn die hauseigenen Initiativen der Formel 1 sind den Sticker nicht wert, der auf die Autos geklebt wird, um "Net Zero by 2030", "We Race as One" und derlei leicht verkaufbare Kampagnen zu bewerben.
Weil gleichzeitig zwischen zwei Rennen um den halben Globus und wieder zurück gejettet wird, obwohl DAS mit ein bisschen Koordination ganz leicht besser ginge. Und in Saudi-Arabien jüngst nicht die Frage geklärt wurde, wann eine Frau ein Auto um den Rennkurs von Jeddah jagen darf, sondern um ihr eigenes Haus.
Der Sport wirft auch genug ab
Aber der Erfolg gibt den Machern recht. Der kommerzielle Erfolg, wohlgemerkt. Auch die Agenda 2026 trägt Früchte, lockt endlich Hersteller zurück in die "Königsklasse", statt davon weg. In vielen Bereichen hat das "größer" noch kein Ende.
Und dies soll keine desillusionierte Klageschrift gegen einen Milliardenzirkus sein, der schon immer ein Abermillionenzirkus war. Aber im Fokus stand die meiste Zeit doch immer: Der Sport. Kein Monsterkalender, kein Las Vegas, kein künstliches Drama in einer Serie, kein künstliches Drama auf der Strecke, auch das hat es erst gegeben.
An irgendeinem Punkt der Expansion in alle Richtungen wird es diese Besinnung brauchen, um den Siegeszug weiterführen zu können.