Es ist ein blau-pinkes PR-Desaster. Auch sportlich könnte sich die Posse um Oscar Piastri für Alpine noch zum Super-GAU entwickeln.
Die Sommerpause der Formel 1 ging am Montag durch den Abgang von Fernando Alonso Richtung Aston Martin mit einem Knall los, der auf den ersten Blick für die Franzosen noch wie die Lösung eines Problems erschien: Drei Fahrer für zwei Sitze zur Verfügung zu haben.
Neben Esteban Ocon, der bis Ende 2024 fest im Sattel sitzt, war (und ist) nur ein Platz frei.
Alonso ist auch mit 41 Jahren topmotiviert und vermittelte noch in Spielberg gegenüber LAOLA1 den Eindruck, die "zwei, drei Jahre", die Alpine noch zur Chance auf WM-Titel fehlen würden, mit dem Team in Angriff zu nehmen (HIER nachlesen>>>).
Supertalent Piastri, der zwischen 2019 und 2021 erst die Formel Renault, dann auf Anhieb den Titel in der Formel 3 und Formel 2 gewann, drängt nach und wurde 2022 noch mit der Ersatzfahrer-Rolle vertröstet.
Zwei unzufriedene Fahrer
Eine gefährliche Mischung, die intern für Zwist sorgte. Alonsos Karriere-Abend beim Team stand den Zukunftshoffnungen mit Piastri diametral gegenüber.
Und sorgte für Unzufriedenheit da wie dort. Denn der Spanier spitzte auf einen langfristigen Vertrag, den ihm Alpine in dieser Konstellation nicht bieten wollte. Und dem Australier blieb vorerst nur die Perspektive, bei einem Nachzügler - etwa Williams - "geparkt" zu werden, bis Alonso seinen Platz endlich räumt.
Zuerst war die Verkündung Piastris als Einsatzfahrer 2023 daher wenig überraschend. Bis Piastri keine Stunde später den Mittelfinger erhob.
Warum? Und wie konnte das passieren?
(Text wird unterhalb fortgesetzt)
Alonsos Abgang wegen falscher Behandlung?
Der Stein kam mit Sebastian Vettels Rücktritt ins Rollen. Wäre der Deutsche weitergefahren, hätte sich die Alpine-Horrorshow in dieser Form nicht entwickelt.
Aber Alonso hatte auf einmal die Perspektive auf den gewünschten langfristigen Vertrag, ohne einen Super-Youngster im Nacken sitzen zu haben. Und ergriff sie. Ob der Wechsel zu Aston Martin sportlich sinnvoll ist, wird die Zukunft weisen. Die Ressourcen für sportlichen Erfolg hätten die Briten genauso wie Alpine zur Verfügung.
Vermutlich war die Chance auf eine dauerhafte Anstellung aber nicht der einzige Grund für den Wechsel.
Die letzten Monate dürften dem zweifachen Weltmeister nicht das Gefühl gegeben haben, dass bei Alpine ohne Wenn und Aber auf ihn gesetzt wird. Dem Vernehmen nach war die Rückholung des Seniors intern nie unumstritten. Zähe Gespräche über eine Verlängerung taten dann ihr Übriges.
Das eigene Team bloßgestellt
"Wir waren mit den Gesprächen sehr weit. Die erste Bestätigung des Abgangs hatte ich durch die Presseaussendung. Ich habe Alonso vorher noch gefragt und er sagte: 'Nein, nein, ich habe nichts unterschrieben.' Daher war ich überrascht."
Es ist nur Spekulation, aber womöglich sah Alonso auch im Team Missstände, die ihn an zukünftigem Erfolg zweifeln ließen.
Gut möglich, dass der auf der Strecke immer wieder als Vif-Zack auffallende Altmeister mit seinem Tun der letzten Tage auch das miserable Management bei Alpine auffliegen lassen wollte.
Zweideutige Aussagen, die er vor dem Grand Prix von Ungarn hinsichtlich seiner Zukunft tätigte, ließen Teamchef Otmar Szafnauer auch nach außen hin im guten Glauben dastehen, 2023 auf Alonso setzen zu können - ganz offensichtlich ohne unterschriebenen Vertrag.
Mit dem Abgang zu Aston Martin konfrontiert, musste Szafnauer zugeben, davon selbst erst durch die Presseaussendungen erfahren zu haben. Und musste mangelhafte Kommunikation und Teamführung damit eingestehen.
Nachfragen bei Alonso seien nicht möglich gewesen, der verweile gerade auf irgendeiner griechischen Insel. Eine haltlose Behauptung, die der Spanier wenig später mit Instagram-Beiträgen aus Oviedo in die Kamera grinsend wortlos widerlegte.
Bloßstellungen ohne Ende für den Alpine-Boss.
Alonso ließ Piastri-Klausel verstreichen
Und auch bei der falschen Verkündung von Oscar Piastri als Nachfolger hat das Timing der Abwanderung mitgespielt. Die Nachricht über Alonsos Zukunft erreichte die Formel-1-Welt am 1. August. Übereinstimmenden Berichten zufolge lief am 31. Juli Alpines Vertragsoption auf Piastri aus.
Wurde die Klausel übersehen? Oder im guten Glauben, Piastri hätte ohnehin keine bessere Option offen, ignoriert? So oder so ein fataler Irrtum, mit dem sowohl Alonso, als auch der junge Australier Alpine ganz blöd dastehen lassen.
Tatsächlich ist Piastris Absage speziell in ihrer Endgültigkeit ("ich werde 2023 nicht für Alpine fahren") überraschend. Und deutet darauf hin, dass der 21-Jährige etwas Besseres an der Angel haben muss.
Dabei kann es sich hinter den drei Top-Teams neben Alpine eigentlich nur um das Cockpit bei McLaren handeln, was wiederum seinem Landsmann Daniel Ricciardo die Rute ins Fenster stellen würde.
Warum sich Alpine trotzdem dazu veranlasst sah, eine nicht finalisierte Fahrerverpflichtung zu verkünden, wissen nur die Franzosen. Rückblickend betrachtet ist es nur ein weiterer massiver Fehltritt des Chaos-Teams der Stunde, der Alonsos Abschied gar nicht mehr so seltsam erscheinen lässt.
Hat Piastri Ricciardos McLaren-Sitz fix?
Die nächsten Tage und Wochen wird das Thema nicht zur Ruhe kommen. Und die Formel-1-Welt bestens unterhalten sein.
"Wir haben viel in ihn investiert. Nicht nur finanziell, auch emotional. Das hätten wir nicht getan, wenn wir ihn damit nur für einen Konkurrenten vorbereitet hätten. Ich weiß nicht, ob er Absprachen mit McLaren hat. Ich höre nur die Gerüchte. Aber er hat uns gegenüber vertragliche Verpflichtungen, genau wie wir gegenüber ihm - und die haben wir immer respektiert."
Alpine sieht sich weiterhin im Recht. "Wir glauben, dass unsere Mitteilung rechtlich korrekt ist, mehr haben wir dazu aber nicht zu sagen", wird ein Sprecher des Teams am Tag nach der "Shitshow" zitiert. Auf welche Grundlage sich diese Aussage stützt, bleibt offen.
In das Fahrerkarussell bringt die Posse reichlich Schwung. Der Alpine-Sitz bleibt vorerst offen und ist sportlich nicht der unattraktivste Platz, den es in der "Königsklasse" einzunehmen gibt.
Umso wahrscheinlicher, dass Piastri seine Zukunft in einer nicht minder interessanten Position bereits fixiert hat. Nicht nur die sportliche Ausgangslage spricht dabei für McLaren, denn sein Manager Mark Webber und McLaren-Teamchef Andreas Seidl sind durch gemeinsame Le-Mans-Zeiten bei Porsche verbandelt.
Die Treuebekundungen zum strauchelnden Daniel Ricciardo wurden in den letzten Wochen schon vorsichtiger. Auf einmal muss sich der Sympathieträger wieder um seine Zukunft sorgen.
Erste Gerüchte bringen ihn mit einer Rückkehr zu Renault-Nachfolger Alpine in Verbindung, was den Kreis schließen würde. Nicht, ohne das Ansehen der Franzosen nachhaltig ramponiert zu haben.
Es herrscht aber Unklarheit, wer bei McLaren überhaupt am längeren Ast sitzt. Zuletzt hieß es, die Vertragsoption - und damit die Entscheidung - liegt bei Ricciardo. Der hat sich vor wenigen Wochen seinerseits klar und deutlich zu einer Zukunft in Papaya-Orange deklariert.
Folgt nun ein Rechtsstreit?
Vorerst ist das aber Spekulation. Um Supertalent Piastri wird bei den Teams mit freien Plätzen aber ein "G'riss" herrschen. Nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich, dass der 21-Jährige zu hoch pokert, ohne sehr gute Karten in der Hand zu haben.
Am Ende steht der Formel 1 ein Rechtsstreit ins Haus, sollte Alpine die vertragliche Seite der Seifenoper doch auf seiner Seite haben.
"Lustig" werden auch die Abschiedsrennen Alonsos beim Team. Von der "familiären Beziehung" zu jenem Konzern, bei dem er vor zwei Jahrzehnten beide Weltmeister-Titel einfuhr, dürfte jetzt nichts mehr übrig sein.
Update 5. August: Nach neuesten Details hat der 31. Juli in Piastris Kontrakt keine Rolle gespielt. Vielmehr hatte sein Vertrag eine Absichtserklärung für 2023 zum Inhalt, die innerhalb von 30 Tagen gezogen werden musste - was nicht geschah. Piastri soll schon am 30. Juli und damit vor der Verkündung von Alonsos Abgang bei McLaren unterschrieben haben, eine offizielle Verkündung steht noch aus (mehr Details>>>).