Das denkwürdige Finale der Formel-1-Saison 2021 wird noch lang Diskussionsstoff bieten.
LAOLA1 stellte den fünf österreichischen Experten von ORF und ServusTV – Alexander Wurz, Ferdinand Habsburg, Robert Lechner, Philipp Eng und Mathias Lauda - drei Fragen.
Vor allem an Renndirektor Michael Masi scheiden sich die Geister.
Ist Weltmeister Max Verstappen global gut für die Formel 1 oder wäre ein alleiniger Rekordchampion Lewis Hamilton populärer gewesen?
Alex Wurz: Ich glaube, es ist für die F1 weltweit egal, wer gewonnen hat, denn Kampf, Showdown, Rivalität, das Messen der Fahrer in hochtechnischen, ausgeklügelten Maschinen ist das, was zählt und fasziniert. Die Protagonisten, die unterschiedlich sind im Alter und in der Herangehens- und Ausdrucksweise, helfen. Das bedeutet eine Polarisierung wie so oft im Leben, vor allem in den sozialen Medien. Aber schlussendlich ist der Motorsport, ist die F1 ein Gewinner.
Ferdinand Habsburg: Für die Fans und das wachsende Following ist Verstappen meiner Ansicht nach gut. Aber für die Formel 1 intern war die Entscheidung des Renndirektors vermutlich keine gute.
Robert Lechner: Im Sport ist es nicht gut, wenn über lange Zeit der gleiche Verein, die gleiche Mannschaft immer gewinnt. Das, denke ich, gilt auch für die Formel 1. Ein neuer, junger Weltmeister, der nicht nur in Holland eine große Zielgruppe anspricht, ist gut. Lewis wird sicher alles daransetzen, den achten Titel nachzuholen. Er wird der F1 noch lang erhalten bleiben, um diesen Rekord aufzustellen.
Philipp Eng: Verstappen als Weltmeister ist extrem gut für die F1. Man muss sagen, dass den Titel beide verdient hätten. Wenn es bis zur letzten Runde geht, sieht man, welche Qualität die F1 heuer hatte. Das Kopf-an-Kopf-Rennen in der letzten Runde war für die Show sicher gut. Aus Hamiltons Sicht wäre der alleinige Rekord natürlich sensationell gewesen. Wahrscheinlich hat er vor Jahren nie daran gedacht, einmal Schumacher ablösen zu können. Lewis wird nächstes Jahr alles daransetzen, den achten Titel zu holen.
Mathias Lauda: Ganz klar: Toll für die F1, am Ende soll der Beste gewinnen, und Max hatte mehr Punkte als Lewis. Max ist ein Ausnahmefahrer und ein Riesentalent. Er war auf Augenhöhe mit Lewis, das Duell war unglaublich spannend. Max war extrem gut und machte keine Fehler. Er hat den Titel verdient, auch wenn er im letzten Rennen Glück hatte. Aber man braucht oft Glück…
Hat Renndirektor Michael Masi in Abu Dhabi und früher alles korrekt entschieden?
Alex Wurz: Michael hat – nicht nur in den Fußstapfen von Charlie Whiting – eine sehr schwierige Position inne. Auch die Art, wie sich die Saison zuspitze, war schwierig. Dazu kommt, dass die FIA in einem Prozess der Öffnung und Transparenz ist, den ich als sehr schmalen Grat sehe. Ich würde da etwas zurückrudern. Die Einblicke in das Sekundengeschäft zwischen den Sportdirektoren und dem Boss der Rennleitung, also Michael, würde ich so lassen wie bei Charlie und nicht veröffentlichen. Es ist nicht viel anders als früher, aber die Situation war heuer öfters prekär. Michael hat nichts falsch gemacht, was das sportliche Reglement betrifft, er hat nichts Widersprüchliches getan. Es gibt aber Situationen, Paragrafen, die man so oder so auslegen kann. Das ergab Situationen, die zwiespältig waren. Aber die gab es im Sport, wo Schiedsrichter dabei sind und menschliche Entscheidungen in Sekundenbruchteilen getroffen werden, immer schon. Insgesamt war es eine äußerst schwierige Situation für einen Renndirektor mit dem Druck der sozialen Medien und der Massenmedien. Ich sehe Michaels Leistung als äußerst solide, er kennt das sportliche Reglement ganz genau.
Ferdinand Habsburg: Da kommt es wieder auf die Perspektive an und welche Prioritäten man setzt. Wenn man nur die Show betrachtet, dann ja, absolut. Aber für jemanden, der sehr involviert ist und sich auskennt, hat er sich komplett falsch benommen.
Robert Lechner: Man kann sich über Schiedsrichter die Frage stellen, ob sie immer alles richtig entscheiden. Ich bin froh, kein Rennleiter zu sein. Diskussionen im Nachhinein sind immer leicht. Fakt ist, und das ärgert mich, dass die Entscheidungen der FIA nicht konstant sind, oft nicht schnell genug kommen. Es ist nicht Michael allein, aber er wird gehört und hat den größten Druck. Ich bin überzeugt, dass es in der Rennleitung links und rechts von Masi Leute gibt, die Einfluss ausüben. Er steht halt im Mittelpunkt. Es braucht eine starke Person. Ob Masi der richtige ist, wird man vielleicht erst in einiger Zeit beantworten können. Insgesamt wäre ich für schnellere und konstante Entscheidungen und für ein professionelles Team an Stewards, das zu einheitlicher Regelauslegung kommt.
Philipp Eng: Masi hat richtige Entscheidungen getroffen. Er hat in der Sekunde wenig Zeit zum Überlegen und Reagieren. Aus meiner Sicht machte er alles richtig. Im Sinn des Sports war es gut, eine letzte Rennrunde zu haben. Er machte über die gesamte Saison einen guten Job.
Mathias Lauda: Er war über die Saison leicht überfordert. Für die Zukunft wäre es wohl besser, einen Ex-F1-Fahrer auf diesen Posten zu setzen. Einen Typ wie Pedro de la Rosa – oder dass die aktiven Fahrer einen Ex-Kollegen für diesen Job wählen. Es gab heuer zu oft Diskussionen mit ihm. Im Fußball kann auch kein Trainer während des Spiels permanent mit dem Schiedsrichter diskutieren. Ich finde das nicht okay.
Hat das Image der Formel 1 heuer vom Duell durch Dramatik profitiert oder hat es durch Streit und Proteste insgesamt gelitten?
Alex Wurz: Ich glaube nicht, dass das Image gelitten hat, im Gegenteil: Die F1 zeigte, dass sie der absolute Showdown ist, dass der WM-Titel wie eine olympische Goldmedaille oder ein WM-Titel im Fußball oder ein Sieg in der Tour de France zählt. Es geht, wenn globale Einschaltquoten wie sonst bei Großereignissen alle vier Jahre erreicht werden, ums Eingemachte. Das wurde wohl jedem klar. Durch die sozialen Medien wurden die Meinungen aber stärker polarisiert, wir sehen nur noch schwarz oder weiß. Wir müssen aufpassen, vor allem auf die Vorbildwirkung. Wir sind stolz im Wettkampf zu sein und uns aneinander messen zu dürfen. Die Reibereien sind okay, aber es war schön, dass sich Lewis und Max die Hände reichten. Das war gut für das Image der Formel 1.
Ferdinand Habsburg: Am Ende profitieren alle von einem Drama. So funktioniert die Welt. Wir haben eine extrem aufregende Saison bekommen. Dafür können wir sicher dankbar sein.
Robert Lechner: Das Image der F1 hat von dieser spannenden, ereignisreichen Saison extrem profitiert. Die Fans wollen die Rennen sehen und im Ziel wissen, wer gewonnen hat. Die Kämpfe am grünen Tisch braucht keiner und will keiner. Dass die F1 profitiert hat, zeigen das allgemeine Interesse und die Einschaltquoten. Dinge, die polarisieren, funktionieren. Die F1 hat heuer extrem polarisiert.
Philipp Eng: Das Image der F1 hat sicher von dieser Saison profitiert. Man muss sich die Zuschauerzahlen bei vielen Rennen ansehen. Die Netflix-Serie „Drive to Survive“ hat auch dazu beigetragen. Vor allem in Nordamerika. Das Duell bis zur letzten Runde war unglaublich gut. Ich hoffe, dass es nächstes Jahr genauso spannend bleibt. Es wurde heuer guter Sport geboten. Es war eine extrem coole Saison.
Mathias Lauda: Für die Formel 1 war es mit Abstand das beste Jahr. Sie spricht jetzt auch ein junges Publikum an. Die Saison war extrem spannend mit viel Drama, Politik und vielen Diskussionen. Aber es war eine Riesenshow mit tollem Rennfahren auf höchstem Niveau!