Mit (saisonübergreifend) dem zwölften Sieg in Folge und genau 20 Erfolgen (in 22 Rennen) in den vergangenen zwölf Monaten stürmt Red Bull Racing von einem Formel-1-Rekord zum nächsten.
Und Weltmeister Max Verstappen siegte in den vergangenen 33 Rennen (seit Anfang 2022) nur neun Mal nicht.
Der mittlerweile 80-jährige Grazer Helmut Marko ist als Red-Bull-"Berater" neben Teamchef Christian Horner und Technikdirektor Adrian Newey das Mastermind hinter den Erfolgen – und will es auch nach seinem "runden" Geburtstag noch länger bleiben, wie er im Interview mit LAOLA1 auf dem Hungaroring verriet.
LAOLA1: Helmut, welche Erwartungen habt Ihr in Rückkehrer Daniel Ricciardo gesetzt?
Helmut Marko: Nyck de Vries hat unsere Erwartungen nicht erfüllt. Gleichzeitig sackte AlphaTauri auf Platz zehn unter den Teams ab, es kommen zwei neue Geschäftsführer. Teamchef Franz Tost geht in Pension. Die Motivation, die Leidenschaft schienen im Team verloren gegangen zu sein. Ein Fahrerwechsel kann immer etwas Positives bewirken. Das ist der emotionale Aspekt. Dazu kommt, dass Ricciardo mit seinen nun 233 Grands Prix jede Menge Erfahrung mitbringt und andere Aussagen machen kann als Yuki Tsunoda, der nur für AlphaTauri Formel 1 fuhr. Es ist also auch eine technische Standortbestimmung. Die dritte ist die, die Ricciardos aktuelles Niveau als Fahrer zeigt, auch im Vergleich zu Tsunoda, von dem wir eigentlich auch nicht genau wissen, wo er steht. Das sind die Fragen, auf die wir uns Antworten erwarten.
LAOLA1: Tsunoda schwärmte vom hervorragenden technischen Feedback von De Vries. Stimmst Du ihm zu?
Marko: De Vries hat relativ viel gesprochen, und sein perfektes Englisch hat Yuki wahrscheinlich fasziniert. De Vries fuhr ja schon fast alle Mercedes-getriebenen Chassis, hat also vielerlei Erfahrung und war für uns eigentlich kein Rookie mehr. Leider hat der Speed bei Nyck nicht gestimmt.
LAOLA1: Wie verändert sich nun der Ausblick auf 2024 und später für beide Red-Bull-Teams?
Marko: Wenn Ricciardo wieder Wettbewerbsfähigkeit schafft, kann er auch zu Red Bull Racing zurückkehren. Aber das erfordert Leistungen. Pérez' Vertrag läuft bis inklusive 2024.
"Er macht nur im Qualifying oder im Training Fehler, seine Rennen sind gut, vor allem, was er oft aus seiner Startposition macht. Das sah man auch in Ungarn. Sein Problem war im Kopf."
LAOLA1: Dazu kommt aber Euer Luxusproblem mit Liam Lawson, der auf dem Weg zum Titel in der japanischen Super Formula gut unterwegs ist, sowie sechs Junioren in der Formel 2. Was passiert mit diesen sieben 2024?
Marko: Lawson wurde ja auch als De-Vries-Nachfolger überlegt, aber das Risiko wäre zu groß gewesen, weil ihm die Routine fehlt und er auch noch nicht das Image wie ein Ricciardo hat – das man am Medien-Andrang bei seiner Donnerstag-Runde klar erkennen konnte. Lawson soll einmal in Japan zu Ende fahren. Er ist ja jetzt schon Reserve für beide Teams, arbeitet ständig im Simulator und an den F1-Rennwochenenden, an denen er in Japan frei hat. Von den F2-Fahrern werden nur ganz wenige übrigbleiben.
LAOLA1: Ist Red Bull dabei von Honda abhängig?
Marko: Bei Ayumu Iwasa gibt es eine Kooperation mit Honda, wie auch bei Tsunoda. Lawson ist von Honda unabhängig.
LAOLA1: Hat Tsunoda einen fixen Platz für 2024?
Marko: Möglich ist alles, aber warum sollte er nicht bei uns fahren? Wir sind mit ihm wegen seiner Steigerung heuer zufrieden. Er hatte einige Male Pech im Rennen.
LAOLA1: Was war das Problem von Pérez? Waren seine Fehler reine Kopfsache?
Marko: Er macht nur im Qualifying oder im Training Fehler, seine Rennen sind gut, vor allem, was er oft aus seiner Startposition macht. Das sah man auch in Ungarn. Sein Problem war im Kopf.
LAOLA1: Es gibt wieder zur Sommerzeit Gerüchte über Budgetüberschreitungen. Wie steht es da um Eure Teams?
Marko: Wir sind unserer Meinung nach klar innerhalb des Rahmens. Es ist nicht hilfreich, dass es mittels technischer Direktiven plötzlich andere Auslegungsmöglichkeiten gibt. Dieses Verfahren ist nicht einfach, gehört aber nachgeschärft.
LAOLA1: Wie hat sich Dein Verhältnis zum neuen Red-Bull-CEO Oliver Mintzlaff und zu Shareholder Mark Mateschitz im Lauf der Saison entwickelt?
Marko: Wir hatten eine neue Situation. Zuvor war Dietrich Mateschitz Eigentümer und CEO. Jetzt sind die Aufgaben anders verteilt. Es gibt jetzt neue Richtlinien, die alle aussortiert sind. Wir sind jetzt vom Verwaltungskram befreit, der Entscheidungskreis wurde aber größer.
LAOLA1: Kannst Du jetzt so arbeiten wir zuvor unter Didi Mateschitz?
Marko: Im Großen und Ganzen ja.
"Die machten eher Rückschritte als Fortschritte. Weil es bei der Konkurrenz keine Konstanz gibt, haben wir einen so großen Vorsprung."
LAOLA1: Wie laufen die Fortschritte beim Antrieb für 2026?
Marko: In den nächsten Wochen läuft das erste komplette Aggregat auf dem Prüfstand, also Verbrennungsmotor, MGUK und Batterie. Wir sind auf Schiene. Dass wir ein geändertes Verhältnis im Hybridantrieb (vorgesehen ist von der FIA 50:50, Anm.) vorschlagen, ist auch Sicherheitsbedenken geschuldet. Die Batterien werden dann 100 Kilogramm wiegen, die Autos werden schwerer und müssen größer werden. Wir fahren dann mit E-Fuels, also spielen Emissionen keine Rolle mehr. Wir sind, glauben wir, in der Entwicklung mit Mercedes gleichauf, Renault kann ich nicht einschätzen, Ferrari ist hinter uns. Beim kommenden Partner Ford läuft ebenfalls alles nach Plan.
LAOLA1: Es gab zuletzt unter den Technikern personelle Abgänge. Offensichtlich seid Ihr deswegen nicht schwächer geworden, aber die Konkurrenz profitierte davon…
Marko: Wir haben einen massiven Unterbau. Wenn einer bei der Konkurrenz das Dreifache verdienen kann, dann kann man ihm den Wechsel nicht übelnehmen. Das Schlüsselpersonal ist weiter bei uns.
LAOLA1: Umgekehrt hat Red Bull von Mercedes Motorenspezialisten abgeworben. Verdienen die bei Euch auch das Dreifache?
Marko: Nein. Da spielte für diese neuen Mitarbeiter unser Spirit, unsere Leidenschaft eine große Rolle. Wir waren für sie als Racer attraktiv. Und wir haben auf einem Campus – der mittlerweile 15 Gebäude umfasst – die Chassis- und Motorentwicklung an einem Ort, als einzige außer Ferrari.
LAOLA1: Wie kam der Abschied von AlphaTauri-Chef Franz Tost zum Saisonende zustande?
Marko: Da gab es schon einen Plan, der noch mit Dietrich Mateschitz vereinbart worden war. Es gibt auch private Gründe. Aber es war nicht so, dass Mintzlaff oder ich Franz dazu drängten.
LAOLA1: Hältst Du eine Rückkehr von Sebastian Vettel in irgendeine Position in der Formel 1 für realistisch?
Marko: Das weiß ich nicht, er muss sich selbst einmal finden. Und er muss sich bekennen, denn es wird immer Verbrenner in der Formel 1 geben. Bäume wachsen im Wald, das ist auch gut so. Da unterscheide ich mich von ihm, denn ich betreibe Forstpflege in meinem Wald.
LAOLA1: Was waren für Dich bisher die größten Überraschungen in dieser Saison?
Marko: Positiv: Unsere Erfolgsserie, die unglaubliche Leichtigkeit des Max. Negativ, dass Ferrari und Mercedes unter den Erwartungen blieben. Die machten eher Rückschritte als Fortschritte. Weil es bei der Konkurrenz keine Konstanz gibt, haben wir einen so großen Vorsprung.
LAOLA1: Erleben wir heuer das beste Red-Bull-Team aller Zeiten?
Marko (überlegt kurz): Ja, wegen der Effizienz und Leichtigkeit, wie alles abläuft. Fahrer- und Vizetitel plus Konstrukteurs-WM zu gewinnen, schafften wir ja noch nie. Das sollte heuer gelingen.
LAOLA1: Wirst Du auch nächste Saison in Deiner Funktion weitermachen?
Marko: Ja.