Die Formel 1 geht in eine vierwöchige Rennpause, in der sich die Gelegenheit bietet, manches Prozedere noch einmal zu überdenken.
Einmal mehr sorgt das Vorgehen der Rennleitung für Diskussionen nach einem Rennen. Der Grand Prix von Australien endete mit Kleinholz, manch enttäuschtem und manch wütendem Gesicht (zur Kritik am Abbruch>>>).
Kevin Magnussen touchierte fünf Runden vor Schluss mit seinem Hinterrad, das sich daraufhin verabschiedete, die Bande. Ein Abbruch mit stehendem Restart war die Folge. Und der führte zum Chaos.
Mit zwei ausständigen Runden und neuen Reifen auf den Felgen gingen alle Fahrer "all-in", das ging nicht einmal eine Kurve lang gut. Die Alpines räumten sich gegenseitig ab, Carlos Sainz drehte Fernando Alonso um und ruinierte mit der folgenden Fünf-Sekunden-Strafe nicht nur sein Rennen, sondern beinahe auch jenes seines Landsmannes.
Das Rennen wurde sofort wieder abgebrochen, es folgte Konfusion über das Ergebnis. Letzten Endes wurde erst wieder der Stand vor dem Restart herangezogen, wovon sich die Ausgeschiedenen natürlich nichts mehr kaufen konnten (zum Rennbericht>>>).
Safety first, aber stehend neu starten? Das passt nicht zusammen
Das Reglement lässt der Rennleitung Spielraum, um flexibel agieren zu können.
In Monza verhinderte eine überlange Safety-Car-Phase letztes Jahr den sich zuvor anbahnenden Angriff von Charles Leclerc. Das hat niemandem geschmeckt. Im Anschluss wurden die Regeln geändert, welche Möglichkeiten offen stehen.
Die umgekehrte Situation, ein quasi entschiedenes Rennen künstlich noch einmal aufmachen zu können, ist aber keine Spur fairer.
Dass in der Frage, wie mit einem Unfall umgegangen wird, von drei Möglichkeiten - Virtual Safety Car, Safety Car und Unterbrechung - diesmal die radikalste gewählt wurde, soll noch so sein.
Ob es angesichts der überschaubaren Folgen von Magnussens Unfall für die Sicherheit auf der Strecke zwingend notwendig gewesen wäre, das Rennen zu stoppen, daran scheiden sich die Geister.
Aber auch in der Frage des Neustarts hätte es die Möglichkeit gegeben, das Rennen mit einem fliegenden Start hinter dem Safety Car wieder freizugeben. Die Ampel-Variante war mit der Voraussetzung von zwei verbleibenden Runden ein Desaster mit Ansage und führte das vermeintlich vorangestellte Sicherheitsdenken ad absurdum.
Von den Fahrern kann nicht verlangt werden, im Angesicht der sich bietenden Chance kein Risiko einzugehen. Das Risikomanagement liegt in der Verantwortung der Rennleitung.
Die Aspekte Sicherheit und Fairness müssen herangezogen werden. Muss ein zuvor entschiedenes Rennen mit der Brechstange noch einmal aufgemacht werden?
Bei Abbruch: Sportliches Ergebnis verteidigen, nicht torpedieren!
Für den stehenden Restart gab es kein echtes Argument. Abgesehen von der Show. Die auch einmal mehr zulasten der sportlichen Fairness ging.
Denn Max Verstappen musste seinen Sieg noch einmal mit Klauen und Zähnen verteidigen, während er zuvor einen ungefährdeten Vorsprung innehatte. Bei einem fliegenden Restart hätte er zumindest noch mehr Kontrolle über die Stuation behalten dürfen, auch wäre es nicht zu einem Pulk gekommen.
"Aus Entertainment-Sicht kann man es nachvollziehen, aus Fahrer- oder Teamsicht ist es manchmal frustrierend. Du fährst dir das ganze Rennen den Arsch aus der Hose. Es ist das amerikanische Entertainment. Aber für uns, die viel Zeit und Geld investieren, ist das eine Variable, mit der nicht immer leicht umzugehen ist."
Ein Abbruch oder Safety Car ist immer ein Eingriff höherer Gewalt, aber man muss ja das Zufallsprinzip zulasten des Sports nicht künstlich überstrapazieren. Ein solcher Vorfall sollte immer mit der Prämisse behandelt werden, das Ergebnis dadurch nicht zu stark zu verfälschen.
In letzter Zeit geht es aber gefühlt nur mehr darum, das Spektakel zu erhöhen. Die Dummen sind die, die zuvor gute Performance hinlegten.
Aber so löblich die Bemühungen für mehr Spannung auch sein mögen, die sportliche Fairness sollte als oberste Prämisse über dem Ansatz stehen, jedes sich bietende Türchen zum Drama mit einem Schulterwurf zu planieren.
Russell auch ein Verlierer der Regeln
In diesem Atemzug muss auch die Regelung genannt werden, bei einem Abbruch allen Fahrern die Möglichkeit zum Reifenwechsel zu bieten.
Auch sie existiert unter einem vorgeschobenen Sicherheitseinwand, dass sich die Piloten Trümmerteile eingefahren und die Pneus beschädigt haben könnten. Aber das lässt sich in einer Rennpause ja überprüfen.
George Russell wurde sein mutiger Strategieansatz vor der ersten Unterbrechung samt seiner Siegchancen damit völlig ohne seine Schuld zunichte gemacht. Dass darüber nicht geredet wird, ist nur dem späteren Ausfall des Mercedes-Briten geschuldet.
Es braucht bitte endlich klare Richtlinien!
Für welche Linie sich die Formel 1 auch entscheiden mag: Es möge bitte endlich eine Linie sein.
Nicht nur die Konfusion und die Strittigkeit um das Vorgehen mit den Unterbrechungen zeigen, dass viel Spielraum zur Nachschärfung gegeben wäre.
Auch der Umgang mit dem Ergebnis, bei dem lange niemand wusste, welcher Zwischenstand Gültigkeit haben wird (und Haas sogar dazu veranlasste, einen Protest zu bemühen>>>), zeigt riesige Graubereiche in den Interpretationsmöglichkeiten auf.
Und wenn eine Regel schon nicht um restlose Fairness bemüht ist: Nachvollziehbar und unmissverständlich sollte sie immer sein.
Da hat die Formel 1 auch eineinhalb Jahre nach ihrem größten sportlichen Desaster noch viel Arbeit zu erledigen. Dass dies geschieht, wird Druck der Angeschmierten benötigen. Das sind auch die Fans.