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Gelitten, geblutet & gekämpft: McLaren, der verdiente Champ!

Zak Brown und Andrea Stella haben das geschafft, was noch vor wenigen Jahren als unmöglich galt. Ein Rückblick zum neunten Konstrukteurs-Titel:

Gelitten, geblutet & gekämpft: McLaren, der verdiente Champ! Foto: © getty

Es ist der 1. November 1998: Mika Häkkinen gewinnt das Finale in Japan sowie seinen ersten Formel-1-Titel. McLaren schlägt in der Weltmeisterschaft der Konstrukteure den ewigen Rivalen Ferrari, es ist Titel Nummer acht.

Seitdem sind 26 Jahre vergangen. In der Nacht von Abu Dhabi dominiert und gewinnt Lando Norris den 24. Grand Prix der Saison 2024. McLaren ringt Ferrari in der Weltmeisterschaft mit 666 zu 652 Punkten nieder.

In der Box der Briten brechen alle Dämme. Es ist das Resultat jahrelanger harter Arbeit, die in diesen historischen Moment geflossen sind. Nach Blamagen mit dem Honda-Motor, Existenzängsten, Tiefschlägen und Tränen hat sich der Rennstall aus Woking Stück für Stück zurück an die Spitze der "Königsklasse" gekämpft.

Geschäftsführer Zak Brown und Teamchef Andrea Stella haben das eigentlich Unmögliche doch geschafft - und das könnte nur der Anfang einer erfolgreichen Ära werden.

Der 21. November 2016

Im dritten Jahr der Turbo-Hybrid-Ära steht McLaren vor Pleiten, Pech und Pannen. Nur Rang sechs in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft, von der Chance auf Podestplatzierungen fehlt jede Spur. Der Honda-Deal entpuppt sich nicht als Renaissance einer erfolgreichen Ära (Stichwort: Senna-Prost), sondern als absolutes Trauerspiel.

 

Des Deutschen ernster Blick: Unter Neo-Teamchef Seidl kehrt McLaren auf das Podest zurück
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Die McLaren-Entscheidungsträger reagieren: Der ehemalige Rennfahrer und erfolgreiche Geschäftsmann Zak Brown wird am 21. November 2016 zum Geschäftsführer der McLaren Technology Group bestellt. Die Ära des aus Los Angeles stammenden US-Amerikaners startet.

Doch statt unmittelbarer Besserung rutscht der britische Traditionsrennstall weiter in die Krise: Nach 20 Rennen in der Saison 2017 steht nur Sauber in der Weltmeisterschaft schlechter da. Der absolute Tiefpunkt ist erreicht, es steht der Neuanfang mit Renault als Motorenpartner bevor. 

Die Seidl-Ära: Das erste Lebenszeichen

In Woking brennt, im übertragenen Sinne, das Dach. Aus einem einst gefürchteten Team ist ein Schandfleck geworden, das Vermächtnis von Gründer Bruce McLaren steht selten in so einem schlechten Licht.

Es kommt zur Personalrochade: Brown wird am 10. April 2018 zum Geschäftsführer des Formel-1-Teams ernannt. Stoffel Vandoorne und Fernando Alonso fahren in der Saison zwar nicht auf das Podest, McLaren ist aber wieder regelmäßig in den Top-10 vertreten und beendet die Saison auf Gesamtrang sechs.

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In der Winterpause zur Saison 2019 wird nochmals reagiert: Andreas Seidl verlässt das Porsche-Langstreckenprogramm (WEC) und wird am 10. Januar zum McLaren-Teamchef bestellt. Mit Lando Norris und Carlos Sainz Jr. werden zwei hungrige und junge Fahrer verpflichtet, die perfekt mit Brown und Seidl harmonieren.

Geschenkt wird den Briten allerdings nichts. Erst beim vorletzten Saisonrennen in Brasilien gibt es das erste Erfolgserlebnis: Mit dem dritten Platz durch Sainz steht das Team erstmals seit Australien 2014, dem Auftakt der Turbo-Hybrid-Ära, wieder auf dem Podest.

In der WM springt Rang vier heraus. Das markiert die beste Platzierung unter dem neuen Motorenreglement.

Monza 2021 und ein Tattoo für Zak Brown

Brown scheint in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer ein goldenes Händchen zu haben, aus einem Scherbenhaufen formt der US-Amerikaner zunehmend Gold.

Doch trotz des Rückenwinds muss sich der Rennstall noch mit dem ersten Sieg gedulden, im Corona-Jahr 2020 springen "nur" zwei Podestplätze heraus. Die "Papaya"-Truppe wird WM-Dritter - wieder eine neue Bestleistung.

Das neue Mastermind: Andrea Stella wird Seidl-Nachfolger, mit der Verpflichtung Piastris gelingt der Coup.
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Zur Saison 2021 wird Daniel Ricciardo neuer Norris-Teamkollege, Mercedes löst Renault als Motorenpartner ab.

Bei Ricciardos "Heimspiel" in Monza - der Australier hat italienische Wurzeln - platzt der Knoten: Weil Max Verstappen und Lewis Hamilton nach einer Kollision ausscheiden, und der McLaren-Kommandostand auf Teamtaktik plädiert, gewinnt Ricciardo vor Norris.

In der McLaren-Box bricht Jubelstimmung aus: Es ist der erste Sieg seit Brasilien 2012 durch Jenson Button. Brown löst seine Wettschulden bei Ricciardo ein und stattet einem Tätowierer einen Besuch ab. Die italienische Traditionsstrecke mitsamt dem Datum des ersten Sieges unter dem US-Amerikaner landet auf dem Oberarm.

Der 13. Dezember 2022: Start der Ära Andrea Stella

In der Saison 2022 bleibt das Team ohne Sieg, es gleicht einem Schlag in die Magengrube.

Doch es gelingt der Coup: Im Zuge der Untersuchungen rund um das Cockpitchaos bei Alpine wird bekannt, dass im Juli der Australier Oscar Piastri für die Saison 2023 bei McLaren unterschrieben hat. Maßgeblich beteiligt war dessen Manager und Ex-Formel-1-Pilot Mark Webber.

Im Dezember folgt die nächste Personalbombe: Seidl verlässt am 13. Dezember 2022 die Briten in Richtung Hinwil und wird als Nachfolger von Frederic Vasseur zum Geschäftsführer von Sauber Motorsport bestellt.

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Diese F1-Piloten ließen ihren Teamkollegen keine Chance

Es ist die Sternstunde des Mannes "im Hintergrund": Andrea Stella, der seit 2015 bei McLaren beschäftigt ist und all die Niederschläge, Blamagen, aber auch den Monza-Sieg miterlebt hat, wird der neue Teamchef.

Die ersten neun Rennen der Saison 2023 ergeben nur ein Top-5-Ergebnis, nach dem zweiten Saisonrennen in Saudi-Arabien sind die Wokinger mit null Punkten Schlusslicht der WM.

Doch Brown vertraut den Fähigkeiten des Italieners und wird belohnt: Zum Saisonende liegen neun Grand-Prix-Podien und der Sprint-Sieg in Katar von Piastri auf dem Konto.

McLaren biegt Red Bull und Ferrari

In der Winterpause zur Saison 2024 ist klar: McLaren hat das Potenzial, Red Bull und Co. die Spitzenposition streitig zu machen.

Nach den ersten fünf Rennen scheinen die "Bullen" die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft durch vier Siege von Max Verstappen weiter in eiserner Hand zu haben - bis der Rennstall mit Sitz in Milton Keynes im Saisonverlauf aufgrund einiger Fehlgriffe in der Entwicklung und schlechter Ergebnisse von Sergio Perez den Vorsprung zunehmend verliert.

Geschafft: 26 Jahre hat McLaren auf diesen Moment warten müssen.
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Es ist die Chance, auf die McLaren gewartet hat: Von China bis Singapur steht ohne Unterbrechung mindestens ein Fahrer auf dem Podium. Die Konstanz von Norris und Piastri macht sich bezahlt: In Baku übernehmen die Briten erstmals die WM-Führung und erarbeiten sich für Katar den ersten Matchball - ausgerechnet gegen Stellas Ex-Team Ferrari.

Weil aber die Scuderia im Wüstenstaat den Rückstand in der WM auf 21 Punkte verkürzen kann, kommt es zum Showdown in Abu Dhabi. 640 zu 619 Punkte pro McLaren lautet der Stand.

McLaren erwischt im Emirat das perfekte Qualifying, Norris egalisiert Verstappens acht Pole Positions in der Saison 2024. Piastri komplettiert die erste Reihe, die WM scheint eigentlich entschieden.

Ausgerechnet Andrea Stella...

Doch Piastri wird von Verstappen in der ersten Kurve abgeräumt, Norris muss gewinnen, um den Titel nach Woking zu holen. Gesagt, getan: Nach 1:26 Stunden bzw. 58 Runden krönt Norris McLaren erstmals seit 1998 zum Weltmeister.

McLaren schreibt Geschichte: Kein Team hat eine längere Durststrecke zwischen zwei Konstrukteurs-Titeln verstreichen lassen. Rekordhalter war bis dato Ferrari, die Scuderia war zwischen 1983 und 1999 erfolglos geblieben.

Die Kuriositäten: Weder Norris (Geburtsjahr 1999) noch Piastri (2001) waren beim letzten Titel geboren, Teamchef Stella war in Rom Luftfahrt- bzw. Maschinenbaustudent. Und ausgerechnet Stella, der Gentleman aus Orvieto (Umbrien), einer 20.000 Menschen fassender Kleinstadt, ringt seine erste Formel-1-Liebe Ferrari und seine Heimat Italien nieder.

Unvergessen: Der erste McLaren-Titel 1974. Im Bild: Emerson Fittipaldi beim Brands-Hatch-GP.
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Ausgerechnet der 53-Jährige, der einst am Auto von Michael Schumacher seine Karriere begann und am Funk von Kimi Räikkönen und Fernando Alonso saß. Ausgerechnet der Mann, der 2010 die bittere Niederlage mit Alonso in der Fahrer-WM gegen Sebastian Vettel erlitten hatte. Ausgerechnet der Mann, der 2008 mit Ferrari seinen letzten Titel gefeiert hatte.

Stella ist in einen elitären Kreis aufgestiegen, mit den beiden Traditionsteams, den beiden Erzrivalen, mindestens einen Titel zu gewinnen - das hat was.

Dass der Italiener auch 2025 McLaren zum Konstrukteurs-Titel, vielleicht auch Fahrer-Titel (gedankt sei dem Norris-Funkspruch) führen kann, das steht außer Frage. Jedenfalls gilt die "Papaya"-Truppe als großer Favorit.

50. Jubiläum für McLaren

Der Titel anno 2024 gleicht einer Zeitreise: 50 Jahre zuvor bezwangen unvergessen Fahrer-Weltmeister Emerson Fittipaldi und Denny Hulme ausgerechnet Ferrari (mit Vizeweltmeister Clay Regazzoni und Niki Lauda) für den ersten Titel der Wokinger in der Weltmeisterschaft der Konstrukteure. 

Zak Brown hat bei McLaren eigentlich das geschafft, was zu Beginn seiner Ära undenkbar war: McLaren zurück an die Weltspitze der Formel 1 zu führen.

Historisch gibt es eine Anekdote, die über das vormoderne Japan der Edo-Zeit schreibt: Oda Nobunaga brach die Steine, Toyotomi Hideyoshi formte die Steine und Tokugawa Ieyasu fügte die Steine zusammen.

Genau das schaffte Brown bei McLaren ebenfalls: Der US-Amerikaner löste die alten Strukturen des Teams auf, Andreas Seidl setzte das Fundament für neue und Andrea Stella nutzt die Offensive seiner Vorgänger zur Rückkehr in die alten Glanzzeiten.



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