Die Fahrer lieben die Strecke, die Fans lieben die Fahrer.
Das Autódromo José Carlos Pace atmet Formel-1-Historie - ein Ort wie geschaffen für große Dramen und Triumphe.
800 Meter über dem Meeresspiegel, inmitten eines lebhaften Wohngebietes. São Paulo enttäuscht praktisch nie. Neben dem packenden Kurs ist vor allem auf Spektakel dank des Wetters Verlass. Nur eines, das fehlt den heimischen Zuschauern: ein eigenes Idol.
"Der Motorsport ist dominiert von Europa"
Die beste Nachricht bekamen die Fans und die Fahrer in Brasilien noch vor der ersten Trainingsrunde auf dem legendären Kurs in Interlagos. Die Formel 1 verlängerte pünktlich zum großen PS-Karneval in São Paulo den Vertrag bis 2030. "Dieser ikonische Kurs gehört zu den Favoriten der Fahrer und Fans auf der ganzen Welt. Er verkörpert alles, was am Rennfahren so großartig ist", sagte Königsklassen-Geschäftsführer Stefano Domenicali.
Das Land, das Fahrer wie Ayrton Senna hervorbrachte oder den ebenfalls dreimaligen Weltmeister Nelson Piquet, steht allerdings ohne Stammfahrer da. Immerhin wurde bei Aston Martin termingerecht die Vertragsverlängerung mit Felipe Drugovich als Test- und Ersatzpilot fürs kommende Jahr bekannt gegeben.
Der Ex-Formel-2-Champion mit österreichischen Wurzeln weiß aber auch, warum es für Brasilianer so schwer ist. "Der Motorsport ist dominiert von Europa", betonte der 23-Jährige. Für einen Nachwuchspiloten aus Südamerika heißt das: "Du musst um die Welt reisen, du siehst deine Familie nicht oft. Es ist ziemlich schwer, wenn du nicht aus Europa kommst."
Dass zuletzt der 19 Jahre alte Gabriel Bortoleto den Titel in der Formel 3 gewann, nährte die Hoffnungen auf ein brasilianisches Comeback auch in der Startaufstellung beim Heimrennen. Der letzte, der dort auch in São Paulo stand, war Felipe Massa. Ähnlich wie bei seinem Landsmann Rubens Barrichello reichte es bei Massa in der Formel-1-Biografie eher nur zu Helferdiensten. Der große Traum vom Titel blieb unerfüllt.
Hamilton lässt Massas WM-Anfechtung kalt
Allerdings nicht, wenn es nach dem Willen von Massa und dessen Anwälten geht. Sie wollen wegen des Skandalrennens von Singapur 2008 die WM-Wertung vor 15 Jahren anfechten und warten vor dem möglichen Gang vor ein Zivilgericht noch auf eine Reaktion des Formel-1-Managements und des Automobil-Weltverbandes FIA.
Bei dem Rennen damals hatte es einen inszenierten Unfall gegeben, Massa war durch den Rennverlauf und einen schweren Boxenstopp-Patzer letztlich punktlos geblieben. Und beim Finale auf seiner Heim- und Hausstrecke reichte auch der Sieg nicht.
Lewis Hamilton bescherte Massa, dessen Familie in der Ferrari-Box und den brasilianischen Fans mit seinem Überholmanöver auf den letzten Metern gegen den damaligen Toyota-Piloten Timo Glock eine brachiale Emotionskollision.
"Das war damals schon verrückt, ich habe mich damals wie der Staatsfeind Nummer 1 gefühlt", erinnerte sich Hamilton nun an das Geschehen von damals. Angesprochen auf Massas Versuch, nachträglich die WM zu gewinnen, schwiegen die Fahrer eher, Hamilton entgegnete lediglich: "Ich schenke dem keine Beachtung."
Hamilton zollt Ayrton Senna Tribut
Selbst in den brasilianischen Zeitungen spielte der WM-Rückeroberungszug von Massa, der wohl auch nicht zum Grand Prix an die Strecke kommen wird, keine Rolle. Stattdessen beherrschte das bevorstehende Finale der Copa Libertadores am Samstag in Rio zwischen Fluminense und Argentiniens Kult-Club Boca Juniors eher die Sport-Schlagzeilen. Fußball mit heimischer Beteiligung schlägt Formel 1 ohne Stammfahrer.
Die, die nun für die Fans zu den Idolen werden, schwärmen von Land und Leuten - wie vor allem Hamilton. Immerhin ist der 38-jährige Brite seit einem Jahr sogar Ehrenbürger von Brasilien. Und am Donnerstag erschien er in einer Art Brasilien- und Ayrton-Senna-Tribut-Outfit an der Strecke. "Er war so ein großer Held für viele von uns", sagte Hamilton über den bei einem Rennunfall verstorbenen Ex-Champion.
Acht Versuche hatte Senna benötigt, um sein Heimrennen zu gewinnen. 1991 war es so weit. Schwer gezeichnet und komplett entkräftet, nachdem er die letzten Runden wegen Getriebeproblemen im sechsten Gang hatte fahren müssen, brauchte er Hilfe, um den Pokal nach oben zu stemmen.
Am 1. Mai 1994 stürzte Sennas Unfalltod in Imola dann das ganze Land in tiefe Trauer. Sein Grab auf dem Cemitério Parque Morumby bleibt auch fast 30 Jahre später noch eine Pilgerstätte für Fans - aus Brasilien und der ganzen Welt.