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Formel 1 steuert auf den Finanz-Super-GAU zu

Inflation setzt Teams zu - aktuelle Saison nicht zu stemmen. Wie geht es weiter?

Formel 1 steuert auf den Finanz-Super-GAU zu Foto: © Unsplash/GEPA/getty

Die Debatte erscheint vor der aktuellen Teuerungswelle, in der sich viele Menschen Energie und Grundgüter kaum mehr leisten können, in der millionenschweren Formel 1 zynisch.

Nichtsdestotrotz hat sich die "Königsklasse" im Versuch, die eigenen Kosten gesundzuschrumpfen, ein finanzielles Korsett in Form einer Budgetgrenze auferlegt.

141,2 Millionen US-Dollar - mehr dürfen die Teams, einige Ausgaben ausgeklammert, in der Saison 2022 nicht ausgeben.

Aber vor dem Hintergrund der Inflation droht dieser enger geschnallte Gürtel Wochen vor Halbzeit der Saison mit einem gewaltigen Knall zu zerplatzen.

Schon jetzt steht einigen Teams das Wasser bis zum Hals. Auf dem aktuellen Kurs könnte es passieren, dass sich mancher Teilnehmer die letzten Rennen nicht mehr leisten kann.

Für eine Anpassung der Budgetgrenze braucht es aber Einstimmigkeit unter den Teams.

Die ist in weiter Ferne. Weil sich einige Rennställe sehr wohl noch im Rahmen bewegen und keinerlei Interesse daran hegen, ihr gesünderes Wirtschaften bestraft zu sehen.

Es rollt die nächste Zerreißprobe auf die Formel 1 zu.

Transportkosten schießen durch die Decke

Die Formel 1 sollte wirtschaftlicher werden, einen großen Schritt in Richtung Chancengleichheit machen und für Neueinsteiger attraktiver werden.

Mit diesem Ziel wurde der "Budget Cap" eingeführt, der in Zukunft sogar eine profitable Teilnahme an der prominentesten Rennserie der Welt ermöglichen soll.

Letztes Versprechen dürfte mittelfristig Früchte tragen, wie die hohe Zahl an Einstiegsinteressenten zeigt.

Am Umgang mit dem Geld hat sich an der Spitze aber noch nicht viel geändert, denn es schreien vor allem die Top-Teams nach Hilfe. Im Kampf um die WM-Führung wurden Entwicklungsbudgets schon weit ausgereizt.

Denn nur einige Kostenpunkte sind aus der Grenze, die in den kommenden Jahren noch dazu kontinuierlich sinken soll, ausgenommen. Darunter Gehälter der Fahrer und einzelner Angestellter, Marketingaufwendungen und dergleichen.

Alles rund um die Autos, deren Entwicklung und vor allem der Transport zu den Rennen muss mit den 141,2 Millionen abgedeckt sein.

Zumal die eigentliche Grenze 140 Mio. beträgt und für jedes Rennen, das über einen 21-Läufe-Kalender hinausgeht, um 1,2 Mio. angehoben wird.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Speziell der Transport und die Rohstoffkosten bereiten aktuell Kopfzerbrechen. Vor der Krise der Energiepreise sind die Transportkosten um bis zu 80 Prozent gestiegen, wie Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko angibt.

Die Budgetpläne wurden aber vor der Saison erstellt. Und können solche Erhöhungen nicht auffangen.

Horner: "Bitte keine Formel 1 der Buchhalter"

Die Pandemie, die Ukraine-Invasion Russlands mit allen Folgen sowie die aktuelle Inflation seien allesamt unabsehbare Ereignisse gewesen, die den engen Rahmen überambitioniert machen.

Red-Bull-Teamchef Christian Horner rechnete schon in Barcelona vor, dass sich bis zu sieben Teams die Saison nicht leisten könnten und die letzten vier Rennen auslassen müssten, um innerhalb der 141,2 Mio zu bleiben.

Der Brite appellierte, die Formel 1 nicht zu einer Buchhaltungs-Meisterschaft werden zu lassen: "Denn wir werden bald mehr Leute in unserer Finanz-, als in unserer Entwicklungsabteilung brauchen."

Wolff sieht "höhere Gewalt"

Neben Red Bull seien vor allem Ferrari, Mercedes und McLaren besonders betroffen und schon jetzt weit über dem Deckel unterwegs. Das bestätigten auch Horners Konterparts bei diesen Teams.

Für Toto Wolff sei die Budgetgrenze mit dem Gedanken eingeführt worden, kleinen Teams ein ähnliches Budget wie den großen zur Handhabe zu überlassen - und nicht dafür, Überlebenskämpfe führen zu müssen.

"Aber wir stehen vor einer außergewöhnlichen Situation. Und das muss berücksichtigt werden. Es ist eine Sache höherer Gewalt, die niemand vorhersehen konnte", so der Wiener.

Mattia Binotto wirkte fast schon ratlos: "Ich denke, dass es für uns keinen Weg gibt, unter der Grenze zu bleiben."

Vier Teams wollen davon nichts wissen

Aber vier Teams wehren sich heftig gegen eine Anhebung: Alfa Romeo, Alpine, Haas und Williams.

Während Haas-Boss Günter Steiner in seiner unverwechselbaren Art mit ernstem Hintergrund witzelte, sein Team könne ohnehin nicht mehr Geld auftreiben, sind Alpine-Teamchef Otmar Szafnauer und Alfa-Leiter Frederic Vasseur sehr offensiv in ihren Oppositionsbestrebungen.

Laut Szafnauer würden alle Teams ihre Budgets gegen Ende des Vorjahres zum gleichen Zeitpunkt aufstellen. Die Franzosen hätten dabei schon eine hohe Inflationsrate vorgefunden und einkalkuliert. Ebenso wie sämtliche Entwicklungsarbeit.

"Wo ein Wille, da ein Weg. Wir haben eine Budgetgrenze definiert und sollten uns auch daran halten. Wenn wir das können, können es die anderen auch", appelliert Szafnauer knapp.

"Wir brauchen Klarheit. Und das schnell. Denn es ist nicht richtig, von einigen Teams in Geiselhaft genommen zu werden, die nicht so effektiv wirtschaften - denn das war nie die Intention der Budgetgrenze."

Christian Horner

Mitstreiter Vasseur fordert die Top-Teams auf, einfach ihre Windkanäle abzustellen und weniger neue Teile zu bauen: "Wir sind in dieser Situation und werden irgendwann die Entwicklung einstellen müssen. Aber ich glaube, alle anderen können das genauso machen."

Für ihn sei die Inflation keine Sache "höherer Gewalt", die unvorhersehbar kam.

Was passiert bei der Überschreitung?

Unklar ist mangels Präzedenzfall auch, was den Teams im Falle einer Überschreitung der Budgetgrenze überhaupt an Konsequenzen droht.

Am Papier sind bis zu fünf Prozent Überzug gestattet, wenngleich schon dafür Strafen vorgesehen sind: Der Abzug von WM-Punkten, Geldstrafen, Kürzung von Windtunnel-Zeiten oder eine weitere Reduktion der Obergrenze im Folgejahr.

Sollten die fünf Prozent auch nicht eingehalten werden, droht als Ultima Ratio sogar ein kompletter WM-Ausschluss.

Gespräche unter den Teams, um eine gemeinsame Lösung zu finden, laufen seit einigen Wochen. Es scheint aber keine Einigung absehbar. So könnte wie schon in der Angelegenheit des "Porpoising" (HIER nachlesen>>>) der Ruf nach Ordnung von oben durch die FIA laut werden.

In der Frage der Budgetgrenze geht es aber keineswegs um eine Angelegenheit der Sicherheit, weswegen eine Lösungsfindung deutlich zäher wird. Ein WM-Finale à la USA 2005, als nur sechs Autos an den Start gingen, wird aber kaum im Sinne sämtlicher Beteiligten sein.

Am zweiten Juli-Wochenende, wenn die Formel 1 in Spielberg gastiert, steht das nächste "World Council" der FIA an.

Werden dann keine Fortschritte in der Streitfrage gemacht, droht ein ungemütlicher Sommer für manche Teams. Nicht nur, weil zusammen mit den Windkanälen auch die Klimaanlagen in den Fabriken aus Kostengründen abgedreht bleiben müssten.

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