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Vor 50 Jahren: Blanker Horror in Zandvoort

Das Rennsportjahr 1973 hat zahlreiche Motorsport-Tragödien erlebt. LAOLA1-Experte Gerhard Kuntschik blickt zurück.

Vor 50 Jahren: Blanker Horror in Zandvoort Foto: © getty

Schwere Unfälle sind in der Formel 1 wie in vielen anderen Rennsportserien dank Sicherheitsmaßnahmen an Strecken, Fahrzeugen, Ausbildung von Streckenpersonal usw. seltener geworden, die Folgen weniger dramatisch.

Natürlich sind aus "jüngerer" Zeit die Katastrophe von Imola 1994, als Roland Ratzenberger und Ayrton Senna tödlich verunglückten, oder das schlimme Jahr 1986 noch in Erinnerung aller Motorsportinteressierten.

1986, als wir Jo Gartner in Le Mans und Elio de Angelis in Le Castellet (Test) verloren, es die Tragödien bei der Rallye Korsika (Henri Toivonen, Sergio Cresto) und in Portugal (drei Zuschauer vom Ford von Joaquim Santos getötet, 30 verletzt) gab und Marc Surer im Gegensatz zu Beifahrer Michel Wyder den schweren Unfall bei der Hessen-Rallye knapp überlebte.

Doch noch mehr Tragödien prägten die Rennsaison 1973, also vor 50 Jahren.

Überforderte Streckenposten 

In der Formel 1, die damals mehr und mehr in den europäischen TV-Anstalten "live" Fuß fassen konnte, wurden Hunderttausende Augenzeugen des Dramas von Zandvoort. Im GP der Niederlande verunglückte der junge Brite Roger Williamson am 29. Juli tödlich.

Es war erst der zweite Formel-1-Einsatz des 25-Jährigen, als in Runde acht ein vermuteter Reifenschaden den March ausbrechen und sich mehrfach überschlagen ließ und kopfüber liegenblieb. Der Wagen brannte sofort, Williamson war gefangen.

Keiner der miserabel ausgerüsteten Streckenposten griff ein, nur Konkurrent und Freund David Purley stoppte seinen March und versuchte, die Flammen mit einem Handfeuerlöscher zu stoppen. Als das erste Feuerwehrauto eintraf, war Williamson bereits tot. Purley versuchte noch vergeblich, die anderen Fahrer (die das verunfallte Auto ihm zuschrieben und dachten, er sei okay) aufzuhalten.

Er wurde später in Großbritannien mit der Georgsmedaille für seinen Einsatz ausgezeichnet – und starb nach sieben F1-Starts in den 1970ern 1985 bei einem Absturz mit einem Aerobatic-Flugzeug im Ärmelkanal. Den GP gewann Jackie Stewart vor Tyrrell-Kollegen Francois Cevert – dem nächsten Opfer.

Cevert-Tod bedingt Stewart-Rücktritt

Denn die zweite Formel-1-Tragödie 1973 zog den Rücktritt des zum dritten Mal Weltmeister gewordenen Schotten nach sich. Cevert (29), der fahrerisch mit dem Teamleader fast schon gleichauf war, starb bei einem Frontalaufprall in den Leitplanken im Samstag-Qualifying in Watkins Glen (6. Oktober). Ken Tyrrell zog die Teilnahme am US-GP zurück, Stewarts F1-Karriere war vor dem 100. Start zu Ende.

Drei Todesopfer forderten die 500 Meilen von Indianapolis: Im Training am 12. Mai starb Art Pollard (46), ein zweimaliger Sieger in USAC-Rennen, dem Vorgänger von CART/Champ Car/Indycar.

Auch das Rennen wurde zum Drama, das am 28. Mai nach einem Startunfall von David „Salt“ Walther abgebrochen wurde. Der Pilot wurde schwer verletzt, ebenso zahlreiche Zuschauer in den Boxen und unteren Tribünenreihen.

Schulkinder müssen Horror-Crash mitansehen

Einsetzender Regen verhinderte einen Neustart, auch der 29. Mai fiel wegen Regen als Renntag aus, so wurde erst am Mittwoch, den 30. Mai, gefahren – mit deutlich weniger Zuschauern, so dass Schulkinder mit Freikarten die Ränge füllen sollten.

In Runde 59 verlor der zuvor als Führender zum Nachtanken gekommene David „Swede“ Savage (26) die Kontrolle über seinen Eagle-Offenhauser und krachte frontal in die Mauer. Der volle Tank explodierte, doch Savage überlebte das Flammeninferno und war sogar ansprechbar. 33 Tage später verstarb er nach Komplikationen im Methodist Hospital von Indianapolis – vermutlich wegen verseuchten Plasmas, das Hepatitis B und als Folge Leberversagen auslöste.

Andere Quellen nannten einen Lungenkollaps als Todesursache. Als Helfer zur Unfallstelle eilten, wurde ein Mechaniker von Savages Teamkollegen Graham McRae, Armando Teran, von einem Feuerwehrauto erfasst und tödlich verletzt. In der Statistik war das Indy 500 1973 das folgenschwerste seit 1937.

Weitere Todesopfer

In weiteren Automobilrennen verunglückten 1973 der Brite Garry Birrell im F2-EM-Lauf von Rouen und die Tourenwagen-Piloten Hans-Peter Joisten und Massimo Larini in den 24 Stunden von Spa-Francorchamps; Der Kölner Alpina-BMW-Pilot hatte einen Monat zuvor mit Teampartner Niki Lauda die 24 Stunden auf dem Nürburgring gewonnen.

Im Sportwagenrennen in Fuji starb der Japaner Masaharu Nakano in seinem Chevron in einem Flammeninferno. In Stock-Car-Rennen ließen in Englewood (USA) Ray Abney (USA), in Wisconsin Dells: Lyle Nabbefeldt (USA) in Talladega Larry Smith (USA) und in Taruma (BRA) Ivan Iglesias (BRA) ihre Leben.

Auch im Zweiradsport prägte eine Tragödie die WM-Saison. Am 20. Mai starben im 250er-Lauf des Grand Prix der Nationen in Monza Jarno Saarinen und Renzo Pasolini. Der italienische Harley-Pilot kam zu Sturz, der finnische Yamaha-Fahrer konnte nicht mehr ausweichen.

Das Riesentalent Saarinen prallte in die Leitplanken, wurde zurückgeschleudert und von mehreren Konkurrenten überfahren. Insgesamt 14 Fahrer waren in den Unfall verwickelt. Offen ist bis heute, ob ein Kolbenklemmer bei Pasolini oder eine Ölspur den Crash ausgelöst hatten.

Fast zwei Dutzend Tote

Im Lauf zur Formula 750 in Silverstone erlitt der Neuseeländer Kim Newcombe bei einem Sturz in Stowe so schwere Kopfverletzungen, dass er drei Tage später für hirntot erklärt wurde und seine Gattin die lebenserhaltenden Instrumente abschalten ließ.

Zuvor war der 29-Jährige in der Halbliter-WM 1972 und 1973 in nur elf Starts sechs Mal aufs Podium gefahren und hatte in Rijeka 1973 sogar gewonnen. Auf dem Salzburgring war er Dritter geworden. Auf der Insel Man und anderen Strecken starben zumindest elf weitere Piloten.

Das sind (ohne Gewähr auf Vollständigkeit) 25 Motorsport-Tote in einer Saison, die grausam war.


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