Es ist schon bemerkenswert, dass die Indycar-Serie und speziell der Höhepunkt, die 500 Meilen von Indianapolis, seit einigen Jahrzehnten ein völlig anderes Gesicht zeigen als in den Dekaden davor.
Von der fast rein US-amerikanischen Angelegenheit wandelte sich speziell das Indy 500 zum gelobten Land für Fahrer, die es in Europa nicht in die Formel 1 schafften oder dort nach mehr oder weniger erfolgreichen Jahren ausgebootet wurden.
Das jüngste Beispiel ist der Schwede Marcus Ericsson, der Sonntag in der 106. Auflage eiserne Nerven bewies: Im Finish mit bis zu drei Sekunden Vorsprung (dem größten des Rennens) in Führung, dann aber der Abbruch nach dem Unfall von Ganassi-Teamkollegen und NASCAR-Ikone Jimmy Johnson. Der Neustart erfolgte zu Beginn von Runde 199, also acht Kilometer vor dem Ziel.
Ericsson: "Ich kann es nicht glauben"
Der 31-jährige Ericsson bewies in seiner vierten Indycar-Saison Routine und Nerven, wie er Pato O’Ward und den Rest der Verfolger mit "weaving" (Spurwechseln) auf Distanz halten konnte – was im Oval gängige Taktik ist und nicht wie z.B. in der Formel 1 bestraft werden kann. 1,8 Sekunden betrug der Vorsprung am Ende nach 2:51 Stunden Renndauer.
Danach musste sich Ericsson im "Winner’s Circle" immer wiederholen: "Ich kann es nicht glauben", sagte er andauernd, den Kopf schüttelnd, zwischendurch die traditionelle Flasche Milch konsumierend (ein wenig trinken, etwas mehr über den Kopf schütten).
"Ich wusste, auch in zwei Runden kann noch so viel passieren, ich fürchtete eine weitere Gelbphase. Mein Ganassi-Honda war fantastisch, aber ich hatte alle Hände voll zu tun, sie (die Verfolger, Anm.) hinter mir zu halten."
Der Lohn war neben einem Eintrag in die Motorsport-Geschichtsbücher auch ein Sieger-Scheck über 3,1 Millionen US-Dollar, die er für Ganassi Racing einfuhr. Der zweitplatzierte Pato O'Ward streifte für Arrow McLaren immer noch eine Million des Rekord-Preisgeldes von insgesamt rund 16 Mio. US-Dollar ein.
Vom F1-Flopp zum Indy-Held
Marcus Ericsson aus Örebro, mit dem man über Eishockey und seinen SHL-Klub Örebro HK (mit Ex-KAC-Goalie Jhonas Enroth) fast genauso gut plaudern kann wie über Motorsport, hat sich den Triumph in Indy als zweiter Schwede nach Kenny Bräck 1999 hart erarbeiten müssen.
Seine F1-Karriere dauerte nur ein Jahr bei Caterham (2014) und vier Saisonen bei Sauber/Alfa Romeo (2015-18), da kam er auf 18 Punkte in 97 Rennen. In Monza 2018 lieferte er den Stunt des Jahres, als sein Wagen im Training am Ende der Zielgeraden nach einem DRS-Problem in die Begrenzung schleuderte und sich mehrfach überschlug.
Marcus blieb unverletzt. 2019 durfte er bei Alfa noch als Reservist dabei sein, nützte aber seine Chance bei Schmidt Peterson Motorsports mit einem Podestrang (2.) im achten Indycar-Rennen in Detroit. 2020 wechselte er zu Chip Ganassi, für den er 2021 die Straßenrennen in Detroit und Nashville gewann.
Und nun im Highspeed-Oval der dritte Sieg im wichtigsten Rennen. "Ich freue mich so für meine Familie, meine Freundin, meine Freunde, sie alle sind hier. Ich kann es noch immer nicht glauben."
Sein Manager, der zur Rettung der Karriere beitrug, ist der frühere Spitzenpilot Eje Elgh, Ex-Le-Mans-Partner von Roland Ratzenberger.
23 Jahre nach Landsmann Bräck
Zwischen der Premiere 1911 und 1988 kamen nur sieben Indy-Sieger aus Europa (je drei Franzosen und drei Briten, ein Italiener), sonst siegten US-Piloten. Mit Emerson Fittipaldi, dessen Karriere in der CART-Serie (heute Indycar) genauso erfolgreich verlief wie in der Formel 1 zuvor, begann 1989 die Zeit der "Ausländer" (die wiewohl alle US-Wohnsitze haben).
Es folgten die zwei Triumphe des "Flying Dutchman" Arie Luyendyk, der Schwede Kenny Bräck (Sieger 1999), die vier Erfolge des Brasilianers Helio Castroneves (der zum "Spiderman" wurde, weil er den Fans zujubelte, nachdem er den Zaun erklommen hatte), dessen Landsleute Gil de Ferran und Tony Kanaan sowie die Briten Dario Franchitti (drei Siege) und der viel zu früh verstorbene Dan Wheldon.
Auch der Kolumbianer Juan Pablo Montoya (je 2), der Kanadier Jacques Villeneuve, der Japaner Takuma Sato (2), der Australier Will Power, der Franzose Simon Pagenaud und natürlich der Neuseeländer Scott Dixon siegten als "Ausländer". Seit 1999 feierten US-Amerikaner nur vier Siege in Indianapolis.
Lediglich für Villeneuve (1995) und Montoya (2000) waren die Indy-Siege das Sprungbrett in die Formel 1. Luyendyk, Bräck, Pagenaud, Wheldon und die Südamerikaner kamen in Europa höchstens in die Formel 3000, schafften aber die F1-Premiere nicht – etablierten sich aber stattdessen in den USA. Ericsson ist nach Fittipaldi, Montoya, Sato und dem Gewinner der 100. Auflage 2016, Alexander Rossi (USA), der fünfte Fahrer der Neuzeit mit einem Indy-Triumph nach der F1-Karriere.
Der amerikanische Teamchef Chip Ganassi – einer der "Großen Drei" neben Roger Penske und Michael Andretti – bejubelte seinen fünften Indy-500-Sieg. Wie bei Ericsson verdankte er die anderen vier ebenfalls "Imports": Montoya 2000, Dixon 2008 und Franchitti 2010/2012.