Jack Miller war den Tränen nahe.
"Ich bin verdammt noch mal kein Idiot", krächzte er mit heiserer Stimme. Soeben hatte "Jackass" sein erstes MotoGP-Rennen gewonnen.
Der Sieg in Assen Ende Juni soll als Wendepunkt in seine Karriere in der Königsklasse eingehen, die davor von viel Kritik geprägt war.
2015 stieg der heute 21-Jährige direkt von der Moto3 in die MotoGP auf.
Sieben Mal schied er in seinem Debütjahr bei LCR Honda aus, im Jänner 2016 brach er sich beim Motocross-Training Schien- und Wadenbein und stieg nicht hunderprozentig fit auf eine Honda bei Marc VDS.
Von den ersten sieben Rennen beendete er drei nicht und musste auf ein weiteres verletzungsbedingt verzichten. Dann kam Assen, ein Sieg im Regen, ein Schluck aus einem Schuh.
Ist jetzt alles anders?
LAOLA1: Wie hast du dir in der Sommerpause die Zeit vertrieben?
Jack Miller: Ich bin in den Niederlanden und in Belgien Motocross gefahren, dann ging es zu meinem Haus in Andorra und dann habe ich dort entspannt.
LAOLA1: Nach den letzten beiden Rennen sollte das Selbstvertrauen stimmen, oder?
Miller: Im Moment fühle ich mich großartig. Die Resultate sind natürlich eine Extraportion Motivation für uns. In den letzten Rennen haben wir viele Verbesserungen gesehen, aber wir müssen weiter arbeiten.
LAOLA1: Wie hat dich dein erster Sieg in der MotoGP verändert?
Miller: Es war extrem auf jede Art und Weise. Es ist ein gigantisches Gefühl, einen Grand Prix zu gewinnen. Jetzt will ich mehr, das ist klar. Wir müssen diesem Gefühl weiter hinterherjagen.
LAOLA1: Dein Jubel war sehr speziell und hat erst unlängst mit Daniel Ricciardo einen prominenten Nachahmer gefunden. Hast du das gesehen?
Miller: Ja, natürlich, das war großartig. Ich habe ihm danach gleich schreiben und darüber reden müssen. Es hat ihm großen Spaß gemacht.
LAOLA1: Wie bist du auf den "Shoey" gekommen?
Miller: Es ist eine Art Party-Einlage in Australien. Warum sollte man das nicht einmal ausprobieren?
LAOLA1: Schmeckt Alkohol aus einem Schuh speziell?
Miller: Möglicherweise noch besser!
LAOLA1: Du hattest es alles andere als einfach in der Zeit davor. Wie nahe ging dir die Kritik an dem Schritt, damals direkt von der Moto3 in die MotoGP gewechselt zu sein?
Miller: Die Kritik trifft einen natürlich, keine Frage. Und man grübelt natürlich und denkt: Fuck, bin ich wirklich für das hier bestimmt? Soll ich das wirklich machen? Es ist gut, diese Zweifel beseitigt zu haben und jetzt weitere positive Resultate zu erzielen, wäre verdammt wichtig. Damit wir das Gefühl zurückbekommen, keine Idioten zu sein und zu wissen, wie man Motorrad fährt.
LAOLA1: Team-Manager Michael Bartholemy hat gemeint, dass du im Vergleich zum Vorjahr ein völlig anderer Mensch geworden bist. Hat er recht?
Miller: Auf jeden Fall. Ich fühle mich einfach viel erwachsener. Das kommt natürlich auch durch die Routine. Es ist wie überall im Leben. Wir mussten einfach härter arbeiten, um diese Resultate in der MotoGP zu erreichen.
LAOLA1: Du hast deinen Rennstil nach dem Motto "Pokal oder Spital" beschrieben. Kann es sein, dass sich das ändert mit dieser erlangten Reife oder wärst du dann nicht mehr du selbst?
Miller: Ich bin ein Typ, der eben sehr viel riskiert. Ich ziehe es vor zu gewinnen, als mit Platz zwei zufrieden zu sein. Ich mag zweite Plätze einfach nicht. Im Hinblick auf Weltmeisterschaften muss man manchmal mit zweiten Plätzen zufrieden sein. Das muss ich vielleicht noch lernen. Aber ich will einfach Erster sein.
LAOLA1: Deine Einstellung ist mit gewissem Schmerz verbunden. Hast du irgendwann aufgehört, alle deine Knochenbrüche zu zählen?
Miller: Mit 14 Jahren waren es 26 oder 27. Es waren so viele. Jetzt müsste ich bei 34 oder so liegen. Schultern, Arme, Beine, alles mögliche.
LAOLA1: Gab es einmal einen Punkt, wo du gemerkt hast: Okay, jetzt bin ich einfach zu weit gegangen?
Miller: Ich sehe das so: Du hast deinen Körper. Wenn dein Leben vorbei ist, kannst du nichts mehr damit anstellen. Warum solltest du nicht an sein komplettes Leistungsvermögen gehen? Verwende ihn dazu, wofür er da ist.
LAOLA1: Die MotoGP macht derzeit sehr viel richtig. Die Tribünen in den nächsten Tagen werden voll sein, wie erklärst du dir diese Beliebtheit?
Miller: In puncto Racing gibt es nichts Besseres, wie man in den letzten Jahren gesehen hat. Als Zuschauer ist das fantastisch. Es ist nicht so wie die Formel 1, die, ehrlich gesagt, ein bisschen langweilig ist.
LAOLA1: Und nicht überreguliert.
Miller: So ist es. Manche Bikes sind hier stärker, andere dort. Das macht es eben aus. Es ist auch nicht so eingeschränkt, auch was die Kommunikation der Fahrer betrifft. Es ist alles ein bisschen einfacher, zumindest was ich bisher gehört habe. Selbst war ich noch gar nie bei einem Formel-1-Rennen. Sogar als MotoGP-Fahrer tust du dir da schwer. In Barcelona bin ich gar nicht reingekommen.
Das Interview führte Andreas Terler