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KTM-Direktor Beirer: Miller-Deal "wie Fremdgehen"

Wie Australier helfen soll, warum Oliveira für Bauchweh sorgt und Rookies aufgeben:

KTM-Direktor Beirer: Miller-Deal Foto: © GEPA

Überraschend kam die Nachricht nicht mehr, dass Jack Miller seinen Werksplatz bei Ducati aufgibt und zu KTM wechselt.

In den vergangenen Tagen und Wochen wurde im MotoGP-Paddock nur noch über den Zeitpunkt der Bekanntgabe gemunkelt, am Donnerstagvormittag war es soweit. Der Australier wird nach sieben Jahren in der Motorrad-Königsklasse für Honda und Ducati nun wieder für zumindest zwei Jahre an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren (HIER nachlesen >>>).

In Mattighofen ist der 27-Jährige bestens bekannt. 2014 fuhr Miller in der Moto3 für Red Bull KTM Ajo und wurde nur zwei Punkte hinter dem nunmehrigen LCR-Honda-Fahrer Alex Marquez Vizeweltmeister. Mit der Verpflichtung des sympathischen Australiers geht bei KTM-Motorsportdirektor Pit Beirer allerdings auch ein Gewissenskonflikt einher.

Oliveiras Situation bereitet Bauchschmerzen

"Da passiert in gewisser Weise ein Vertrauensbruch. Der ist nicht schön, weil wir nicht in Frage stellen wollen, was wir miteinander erreicht haben."

Pit Beirer

Mit Brad Binder, der seinen Vertrag im Sommer 2021 um zwei Jahre verlängerte und seinen Werksplatz dadurch sicher hatte, und Jack Miller ist nun eine starke Fahrerpaarung für die kommende Saison gesichert. Gleichzeitig bedeutet dies aber, dass Miguel Oliveira den Platz im Einser-Team verliert und aktuell ohne Bike für das nächste Jahr da steht.

Eine Situation, die Beirer noch am Mittwochabend im Rahmen eines Pressetermins Bauchweh bereitet: "Mein Job ist natürlich mit den besten Fahrern im Paddock, die in der kommenden Saison frei werden, zu verhandeln. Aber dann öffnest du natürlich das Team etwas, das belastet mich. "Du verlierst auf einmal die KTM-Familie, das geschlossene Gefüge. Das ist wie Fremdgehen"

Der 42-Jährige erklärt: "Wenn ich merke, ein Fahrer redet mit einem anderen Teamchef, dann bin ich eifersüchtig. Rede ich mit einem anderen Fahrer, wie in Miguels Fall, denkt er sich: 'Wohin? Auf meinen Platz? Und ich soll zu Tech3?' Da passiert in gewisser Weise ein Vertrauensbruch. Der ist nicht schön, weil wir nicht in Frage stellen wollen, was wir miteinander erreicht haben."

Der Portugiese fährt mit einer einjährigen Unterbrechung seit sieben Jahren für das oberösterreichische Team - erst in der Moto3, dann in der Moto2 und seit 2019 in der MotoGP. Mit vier Grand-Prix-Erfolgen ist der 27-Jährige KTM-Rekordsieger in der höchsten Kategorie.

Seit seinem Sieg im zweiten Rennen der heurigen Saison in Indonesien lassen die Leistungen des Wahl-Wieners jedoch zu wünschen übrig. Ein fünfter Platz in seiner Heimat war in den folgenden sieben Grand Prix das beste Ergebnis, in Mugello und Barcelona wurde er jeweils nur Neunter.

Im Vergleich mit Teamkollege Binder hinkt Oliveira nach, auch Miller liegt in der Fahrer-Wertung vor dem Moto2-Vizeweltmeister von 2018.

Miller soll Qualifying-Problem lösen

Der Australier legt ebenfalls kein astreines Jahr hin, stand zwar schon drei Mal auf dem Podest, seine Ducati konnte er allerdings noch nicht auf dem obersten Treppchen abstellen.

Außerdem liegen in der Weltmeisterschaft mit Enea Bastianini, Johann Zarco und Francesco Bagnaia gleich drei Ducati-Kollegen vor ihm. Miller konnte das stolze Team aus Bologna bislang nicht vollends überzeugen, sein auslaufender Vertrag wurde zur Chance für KTM.

Schon beim Pressetermin ließ der Motorsportchef seine Freude über den Deal durchblicken. Mit dem Noch-Ducati-Fahrer komme Diversität ins Team. "Wenn du wie wir aktuell ums Aufholen kämpfst, hilft es dir brutal, wenn du auf verschiedene Charaktere setzen kannst", stellt Beirer fest.

"Jack ist einer, der wirklich auf Rundenzeiten-Jagd gehen kann, in dieser einen Runde alles aus dem Bike quetscht. Dass wir mit Brad Binder einen der besten für die Renndistanz haben, das hat er schon mehrmals bewiesen. Aber diese eine Runde, die bereitet uns nach wie vor Kopfzerbrechen", deutet der ehemalige Motorrad-Rennfahrer die Qualifying-Probleme an.

Zu oft müssen sich die KTM-Piloten über Q1 für Q2 qualifizieren, um einen Startplatz in den Top 12 herauszufahren. Doch so weit kommt es oftmals gar nicht, zumeist bleiben Binder und Oliveira wie die Tech3-Piloten Raul Fernandez und Remy Gardner bereits in der ersten Qualifying-Session hängen.

"In der Konstellation stehen wir da und lösen irgendwie das Rätsel nicht, was am Samstagmittag unsere große Schwäche ist. Am Freitag sind wir gut dabei, im Warmup am Sonntag und im Rennen ebenfalls. Aber genau am Samstag, wenn es ums Qualifying geht, sind wir zu schlecht", spricht Beirer die Probleme klar an.

Miller reize ihn daher besonders, "weil der pusht auf eine Runde." Ob der baldige KTM-Werksfahrer letzten Endes stärkere Rennen fahren kann als Oliveira? "Das muss er erst einmal beweisen", ist sich auch der Mann aus Radolfzell am Bodensee unsicher.

Beirer beichtete Oliveira die Verhandlungen mit Miller und erhöhte die Gage

Miguel Oliveira auf dem Weg zu seinem Rennsieg in Indonesien
Foto: © GEPA

"Ich buhle nach wie vor um die Gunst des Miguels", stellt Beirer klar, der einen offenen Umgang mit dem Portugiesen pflegt. Daher suchte er vor dem GP-Wochenende vor zwei Wochen in Mugello das Gespräch mit seinem Werksfahrer und beichtete die stattfindenden Verhandlungen mit Miller.

"Ich wollte einfach fair sein. Miguel ist ein Freund von mir und vom Team. Er soll das auch bleiben, egal was passiert", hofft Beirer. "Meine Motivation war, obwohl wir uns in eine andere Braut verschaut haben, ihm vor Mugello mitzuteilen, dass wir uns versuchen zu verstärken."

Daher habe man ihm ein Angebot für Tech3 gemacht, "Miguel sogar die Gage erhöht", legt der Deutsche offen. "Ich wollte vermeiden, dass er nach Mugello kommt und sagt: Mein Team, meine Freunde holen einen anderen und werfen mich auf die Straße."

Oliveira habe dies "sicher nicht als Kompliment aufgefasst sondern war einfach enttäuscht, dass wir mit ihm diskutieren wollen, ob er eventuell im anderen Team fährt. Er hat sich dann mehr oder weniger abgekapselt und seinen Vater, der gleichzeitig sein Manager ist, zum Verhandeln mit anderen Teams geschickt", erklärt Beirer.

"Haben natürlich verdächtige Fotos gesehen"

Der auch sagt, dass KTM dem 27-Jährigen nicht im Weg stehen werde, "wenn er in einem anderen Werksteam fahren kann." Daher hat das Team auch eine Ende Mai ausgelaufene Vertragsoption, die besagt hätte, dass Oliveira "egal auf welchem dieser vier Plätze" weiter für die Mattighofener fahren müsse, nicht eingelöst.

"Das haben wir bewusst nicht gemacht, weil wir so ein gutes Verhältnis zu Miguel haben. Wenn er keinen Teamwechsel innerhalb von KTM und eine andere Marke will, dann wollen wir nicht eine Option einlösen und einen Fahrer drinnen sitzen haben, der glaubt, wir verbauen ihm die Zukunft. Deshalb war ich eigentlich der Meinung, dass wir ihm ein sehr faires Angebot gemacht haben."

Es sieht allerdings ganz danach aus, als würde Oliveira ab der kommenden Saison bei Gresini-Ducati fahren. Auch Beirer weiß, dass die Karten für KTM nicht mehr gut stehen. "Ich weiß nicht, ob wir noch Chancen haben. Laut seinem Management, das sein Vater ist, hat er noch nichts unterschrieben und will wieder mit uns reden. Aber wir haben natürlich schon verdächtige Fotos im Internet gesehen."

Oliveira "an seinen Siegertagen unschlagbar"

"Dann fahren wir auf einmal Schräglagen und bremsen so spät, wie wir es selbst in den Daten noch nie gesehen haben. Da gehen auf einmal Türen auf, die kennen wir nicht."

Beirer betont, welch starken Fahrer man verlieren würde: "Er ist vierfacher GP-Sieger und ein ganz wichtiger Baustein unseres Projekts. Er ist sehr sensibel, und das wissen wir. Wir versuchen die ganze Zeit, ihm eine Basis zu geben, die das Fahren einfacher macht. Denn wenn alles zusammenpasst, Miguel seinen guten Tag hat – das hat er an seinen Siegertagen bewiesen, da ist er unschlagbar. Da gelingt ihm alles."

"Dann fahren wir auf einmal Schräglagen und bremsen so spät, wie wir es selbst in den Daten noch nie gesehen haben. Da gehen auf einmal Türen auf, die kennen wir nicht. Aber gleichzeitig, wenn nicht alles passt, dann stehen wir auf der anderen Seite der Ergebnisliste. Und das macht uns natürlich auch nachdenklich", gesteht der Deutsche.

Er habe auch gemerkt, dass der Portugiese sich in seiner Ehre "gekränkt fühlt. Ich hätte es in dieser Form nicht erwartet. Er hat selbst zwei Siege mit Tech3 gefeiert, hat zwei Siege mit uns. Wir haben es absolut nicht als Abstellgleis gesehen, sondern wollen einfach diese Seite stärken. Unser Ziel ist nach wie vor, vier gleichwertige Werksplätze zur Verfügung zu stellen."

Beirer kritisiert: Tech3-Rookies "haben beide aufgegeben"

Momentan sehe es optisch allerdings so aus, als wäre Tech3 "das Abstellgleis". Dafür sorgen die MotoGP-Rookies Raul Fernandez und Remy Gardner, die "nicht in Schwung kommen", meint Beirer. "Sie pushen sich offensichtlich nicht gegenseitig in die richtige Richtung und haben beide aufgegeben."

Tatsächlich finden sich der Vizeweltmeister und Weltmeister der vergangenen Moto2-Saison bis dato überhaupt nicht in der Königsklasse zurecht. Fernandez konnte erst am letzten Wochenende in Barcelona seinen ersten WM-Punkt erzielen, Gardner hält immerhin schon bei acht Zählern.

"Die hatten etwas zu hohe Erwartungen", befürchtet Beirer, "haben die Moto2-Kategorie vielleicht auch etwas überschätzt und geglaubt, in der MotoGP brauch ich nur ein Motorrad, wo das alles alleine passiert." Gardner habe im bisherigen Saisonverlauf andeuten lassen, dass er ein konstanter Top-15-Fahrer sein kann.

Aber: "Das hat er schon einmal gemacht und wie er plötzlich den Glauben verloren und gesagt hat, das geht alles nicht, das Bike kann es nicht und es macht keinen Spaß, ist unglaublich. Der hatte einfach ein paar Rennen dabei, wo er schon im Vorfeld aufgegeben hatte", versteht Beirer die Herangehensweise des Moto2-Weltmeisters nicht.

"Seit Mugello sind wir dran, ihn umzudrehen. Das haben wir geschafft, jetzt wird er in Barcelona Elfter. Jetzt hat er verstanden, dass es nicht eine andere Liga ist, sondern du dich einfach nach vorne arbeiten musst", sieht der Motorsportdirektor den Australier nun am richtigen Weg - ganz im Gegensatz zu seinem spanischen Teamkollegen.

Beirer bereut MotoGP-Vertrag für Fernandez

Denn bei Fernandez bereut Beirer es bereits, letztes Jahr die Option für einen MotoGP-Vertrag eingelöst zu haben. "Wir dachten, wir sind so einen coolen Weg über den Rookies Cup, Moto3, Moto2 gegangen und haben eigentlich das Gefühl gehabt, der gehört einfach zu uns und wir geben ihn nicht gerne her."

Raul Fernandez im Kies unterwegs
Foto: © getty

Doch in der aktuellen Saison stellt sich das Gegenteil heraus, der 21-Jährige beschwert sich beinahe nach jedem Rennen über die KTM-Maschine und meinte es kürzlich, dass "das Bike wirklich kompliziert" sei. Dabei zeigte der Spanier in den letzten Jahren vielversprechende Ansätze, hatte vor seinem MotoGP-Aufstieg sogar Angebote von Yamaha.

Schon damals soll es aber zwischen dem Management und den KTM-Verantwortlichen gekracht haben, viel Staub wurde aufgewirbelt. Letztendlich blieb Fernandez, nun stehen die Zeichen aber eindeutig auf Abschied. Daraus zieht Beirer seine Lehren, zog auch deswegen die Vertragsoption bei Oliveira nicht.

"Du brauchst Leute, die an das Projekt glauben, da sein wollen und alles geben. Das war mit Sicherheit nicht die richtige Mischung. Wenn du so einen jungen Fahrer in die Klasse reinziehst, ist es schon ganz gut, wenn in der gleichen Box ein erfahrener Leader steht. Das sind immer noch Dinge, die wir schmerzhaft lernen müssen."

Espargaro-Rückkehr, wenn Oliveira geht?

Mit Oliveira will man einen solchen Führungsfahrer an die Seite von Gardner stellen. Was passiert aber, wenn der Wahl-Wiener KTM verlässt? "Jetzt müssen wir erst einmal warten, bis Joan Mir bei Honda nominiert wird", deutet Beirer an, dass dann eine Rückkehr von Pol Espargaro im Raum stehen würde.

Der 30-Jährige hat bei Honda keine Zukunft mehr, würde sich mit einem Platz bei Tech3 zufrieden geben. Beirer bestätigt Gespräche mit dem Spanier und weiteren Kandidaten, "aber die reden halt nicht nur mit mir. Das ist bei weitem noch nicht in trockenen Tüchern."

Der Motorsportchef ist aber zuversichtlich, "dass wir etwas gutes anbieten können. Es ist erfrischend, noch einmal zu hören, wer denn alles kommen will. Man hört von dem einen oder anderen, der von uns gehen möchte und ein anderes Motorrad fahren will. Und es gibt dann aber sehr gute Fahrer, die zu uns wollen."

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