2007 übernahm der frühere Spitzen-Motocrosser Pit Beirer (48) die Leitung des Offroadsports beim Mattighofner Motorradbauer KTM. 2012 „wurde der Motocross-Fuzzi auch auf die Straße losgelassen“, wie der Sportdirektor schmunzelnd festhält.
Der „Fuzzi“ war immerhin 1999 Vize-Weltmeister und insgesamt vier Mal WM-Dritter. Seit einem Unfall 2003 ist Beirer, der aus Radolfzell am Bodensee stammt, querschnittgelähmt. Das Corona-Jahr 2020 sei eine „Wahnsinnssaison“ gewesen, sagt er im LAOLA1-Interview.
Denn außer einem WM-Titel auf der Rundstrecke (Moto3), drei Siegen und fünf weiteren Podestplätzen in der MotoGP gab es auch einen weiteren WM-Titel im Motocross (MX2), Enduro- und Trialerfolge - dank 400 Mitarbeitern weltweit und 74 Werkfahrern. Das kolportierte Motorsport-Gesamtbudget beträgt rund 90 Millionen Euro.
Beirer betont dazu: "Unsere Motoren, Rahmen, der Stahl, Gabeln, Stoßdämpfer kommen alle aus Österreich. Wir bauen mit Hilfe von Zulieferern wie Pankl Racing alles selbst. Es gibt keinen anderen Hersteller im Fahrerlager, der so viel aus dem eigenen Land bezieht. Die Japaner arbeiten z. B. mit schwedischen Fahrwerken."
Im Gespräch mit LAOLA1-Kolumnist Gerhard Kuntschik erzählt der KTM-Sportdirektor über überraschende Erfolge, horrende Gehaltsvorstellungen, die Ziele für die kommende Saison und natürlich Corona.
LAOLA1: Für den Chef (Anm. Konzernchef Stefan Pierer war zum Saisonabschluss nach Portimao gekommen) war die Reise an die Algarve wohl die richtige?
Pit Beirer: Dass Stefan beim Saisonfinale vor Ort war hat uns zusätzlich geholfen. Er hat das ganze Projekt immer voll unterstützt, jetzt konnte er die Früchte der Arbeit live miterleben.
LAOLA1: In der Moto3 holte Albert Arenas den vierten WM-Titel für KTM seit 2012. War damit zu rechnen?
Beirer: Der letzte Titel in dieser Klasse gelang 2016. Da bereiteten wir auch den Einstieg in die MotoGP vor, damit waren viele Kräfte gebunden. Wir mussten da erst in die Gänge kommen, jetzt konnten wir wieder richtig angreifen. In den vergangenen Jahren hat eigentlich nie der Favorit den Titel geholt. Die Jungen sind da so eng beisammen, man kann nicht abschätzen, wer den größten Sprung macht. Arenas hatte schon etwas mehr Erfahrung als die ganz Jungen, die besonders Wilden, denen einfach noch Routine fehlt. So haben wir bewusst auf Arenas gesetzt. Aber er war nur einer von mehreren Favoriten. Für uns war nach den Wintertests klar, dass er schnell ist, und dann gewann er das erste Rennen in Katar. Damit war er unser Favorit.
LAOLA1: Rückblickend - Lief die Entwicklung in der MotoGP seit dem Einstieg 2017 so, wie Ihr Euch das vorgestellt habt? Wart Ihr im Zeitplan?
Beirer: Die Siege heuer sind schon überraschend gekommen. Uns war bewusst, wir sind jetzt in der obersten Liga, und da geht nichts schnell. Im ersten Jahr bekamen wir viele Lorbeeren für einen professionell vorbereiteten Einstieg und Achtungserfolge. Da war aber gleichzeitig für Teamchef Mike Leitner und mich absehbar, dass wir irgendwann einmal auch Prügel bekommen würden. Der Plan seit der Premiere in Katar 2017 war, von 3,5 Sek. Rückstand runterzukommen auf 2,5, dann zwei und 1,5, aber die letzte Sekunde aufzuholen war die schwierigste Aufgabe. Da wurde es beinhart. Deshalb war heuer das Ziel, häufige einstellige Resultate einzufahren, also Siebter, Achter, Neunter. Und Pol (Espargaro) trauten wir zu, dass er einmal eigenständig auf Platz fünf fahren könnte.
LAOLA1: Dann kam aber für alle die Corona-Zwangspause und der Notkalender dazu…
Beirer: Genau. Da war es eigentlich noch unwahrscheinlicher, so weit vor zu kommen. Wir waren dann doch eine Stufe über unserem Plan.
LAOLA1: Es war wohl auch nicht vorauszusehen, dass Brad Binder und Miguel Oliveira die Aufsteiger der Saison sein würden?
Beirer: Wir wussten nach den Wintertests, dass wir sehr gut entwickelt und vom Material her Fortschritte gemacht hatten. Doch dann kam der Lockdown, alles stand, und dazu kam, dass sich Pol (Espargaro) in dieser Phase nicht überzeugt vom Weiterkommen zeigte und sich entschloss, uns Ende 2020 zu verlassen (Anm. zu Repsol-Honda). Wir verhandelten daraufhin mit namhaften Fahrern, u. a. auch mit Dovizioso, da ging es aber um horrende Gehaltsvorstellungen, die nicht machbar waren. Also entschlossen wir uns zum Cut und dazu, mit eigenen jungen Piloten zu arbeiten. Wir wurden für den Entschluss für Binder und Oliveira von einigen belächelt, aber ein paar Wochen später waren beide aktuelle GP-Sieger! Wir kannten ihre Fitnesswerte, ihre Einstellung, ihr Talent, aber es war für uns doch eine Entscheidung mit Risiko. Natürlich fiel auch mir ein Riesenstein vom Herzen, als sie Sieger wurden.
LAOLA1: Nur schade, dass KTM und Oliveira bei den Heimsiegen nicht von tobenden Fans gefeiert wurden…
Beirer: Ja, darüber haben wir auch intern gesprochen, dass bei unseren Erfolgen keine Zuschauer dabei sein konnten. Das ist der einzige Wermutstropfen der Saison. Und hoffen wir, dass die Fans bald wieder zurückkommen können.
LAOLA1: Wie sind jetzt die Ziele für 2021?
Beirer: Klar wird die Erwartungshaltung größer – von außen und von innen. Jetzt geht es darum, Erfolge abzusichern. Kältere Temperaturen zeigten unsere Schwachstelle auf. 2021 muss das Ziel sein, regelmäßig in den Top Fünf zu landen und öfters am Podium zu schnuppern.
LAOLA1: Wie geht es weiter? Gibt es noch heuer Tests?
Beirer: Ja, wir testen noch mit Dani Pedrosa nächste Woche, dann gibt es die Winterpause – nur reisemäßig, nicht in der Fabrik. Ich habe nachgerechnet: der erste WM-Lauf war vor 147 Tagen, davon war die Mannschaft 97 in der „Blase“ mit jeweils zwei Covid-Tests pro Woche und ohne Familienkontakt zuhause. Das war nur durch brutale Disziplin des ganzen Teams möglich. Wir waren mit der Entwicklungsmannschaft sehr früh aus dem ersten Lockdown heraußen, begannen mit Tests, als sich noch keiner bewegen wollte. Wir wollten jede Lücke finden, in der Verbesserungen möglich waren. 2021 geht es Mitte Februar mit den Tests los, vermutlich Malaysia – oder Jerez, je nach Reisesituation.
LAOLA1: Wie viele Mitarbeiter beschäftigt KTM im Rundstreckensport und speziell in der MotoGP?
Beirer: Insgesamt um die 150, davon sind 43 permanent an den Rennstrecken im Einsatz.
LAOLA1: Eine große Weihnachtsfeier mit allen Champions in Mattighofen wird es heuer wohl nicht geben?
Beirer: Nein, heuer nicht. Wir müssen da vernünftig bleiben. Aber wir lernten heuer auch: Mit Hausverstand, Abstand und Maske kann man auch unter den aktuellen Verhältnissen ein halbwegs normales Leben führen. Wir hatten in der Mannschaft, die 97 Tage auf Reisen war, keinen einzigen positiven Corona-Test. Es machte sich bezahlt, dass wir eine eigene Teststrecke für alle Mitarbeiter – Werk und Rennsport – haben. Damit konnte KTM insgesamt heuer am Laufen gehalten werden.