Spielberg – eine beschauliche Gemeinde, angesiedelt im Murtal. 5.348 Menschen (Stand: 1. Jänner 2023) sind in diesem Ort beheimatet, das "Wahrzeichen" ist schnell gefunden: Der Red Bull Ring.
Dort findet sich jedes Jahr rund die hundertfache Anzahl an eingefleischten Motorsport-Liebhabern ein, wenn die Formel 1 den Auftakt in den Sommer bildet und einige Wochen später auch die MotoGP hier gastiert.
Über 300.000 Fans pilgerten Ende Juni alleine für die Königsklasse in die Steiermark, verwandelten Spielberg in das Motorsport-Mekka und sorgten für einen neuen Zuschauerrekord.
Für das MotoGP-Wochenende werden rund 200.000 Anhänger erwartet, viele davon wie in der Formel 1 in orange gefärbt. Ist bei den schnellsten Vierrad-Piloten der Welt der niederländische Doppel-Weltmeister Max Verstappen der ausschlaggebende Grund dafür, ist es beim Pendant auf zwei Rädern der heimische Rennstall KTM.
Rossis Gelb ist weiterhin dominant
Doch nicht nur orange, auch rot oder dunkelblau sind hier stark in Mode. Eine Farbe überstrahlt aber nach wie vor alle: Gelb. Und nein, damit ist nicht die Sonne gemeint, sondern Valentino Rossi.
Der Superstar der letzten Jahrzehnte befindet sich seit Ende 2021 in Rente, ist aber immer noch allgegenwärtig. Nicht nur, weil er dem Red Bull Ring am Freitag einen überraschenden Besuch abstattete, sondern auch, weil viele MotoGP-Begeisterte ihn immer noch vergöttern und tief in ihren Herzen tragen.
Jung wie alt streben nach einem Autogramm jenes Mannes, der als Teambesitzer des VR46 Racing Teams auch offiziell noch in der Motorrad-Königsklasse vertreten ist. Da war die Enttäuschung schon groß, als der "Doktor" sich für manch einen treuen Anhänger keine Zeit nahm, um ein Selfie zu machen oder ein Kleidungsstück zu unterzeichnen.
"Aber zumindest haben wir ihn hautnah gesehen, das ist auch toll", meint etwa Josef aus Oberösterreich, der mit seinem Sohn live dabei ist. Die Augen seines jungen Buben strahlen, so nah kommt er dem Altstar womöglich nie wieder.
Auch Autogramme von Bagnaia, Quartararo und Co. sind heiß begehrt
Doch ein Rundgang durch das Fahrerlager und rund um die Strecke zeigt, dass nicht nur Valentino Rossi angehimmelt. Viele KTM-Fans sind natürlich zu entdecken, wie etwa einige in Wikinger-Montur gekleidete Männer, die stolz ihre orangefarbenen Shirts präsentieren.
Aber auch die Sympathien für den derzeit etwas strauchelnden Marc Marquez, Ex-Weltmeister Fabio Quartararo oder den amtierenden Champion Francesco Bagnaia sind nicht zu übersehen.
Beim Pitlane Walk am Donnerstag durften die MotoGP-Stars von heute ihre Unterschrift fleißig üben, erfüllten nahezu jeden Wunsch der tausenden bereits anwesenden Fans.
Janine und ihre Freundinnen aus Bayern zählten dazu. Ergattert wurden Autogramme von Quartararo, Selfies gab's unter anderem mit Miguel Oliveira. "Die Stars hautnah zu erleben, ist ein unglaubliches Erlebnis", leuchten ihre Augen noch am Freitag.
Auch Bernhard, Thomas und Jessica aus Wien waren schon am Donnerstag da, für den Gang durch die Boxengasse hatten sie jedoch kein Ticket. Dafür waren sie in der KTM-Fanzone dabei, als Brad Binder und Jack Miller für mächtig Stimmung und Rauchentwicklung sorgten.
Denn das Duo heizte die Fans mit Burnouts ein, hinterließen eine dicke Gummispur im Asphalt, einige Wuzzel sind auch auf dem eigenen Firmenauto gelandet.
Fehlen wirklich die absoluten Heros?
Helden zum Anfassen also: Dabei soll es von ihnen seit dem Rücktritt von "Vale" und den dürftigen Performances von Marc Marquez, die weniger an ihm als seiner Honda liegen, gar keine mehr geben.
KTM-Motorsportchef Pit Beirer meinte zuletzt: "Ich glaube schon, dass wir die Heros und Athleten haben, aber es wird etwas arg viel darüber gesprochen, dass ohne Marc und Rossi die absoluten Heros fehlen."
Marquez fahre ohnehin noch, es brauche etwas Zeit, bis sich die nächste Geschichte herauskristallisiert. Eine solche wäre beispielsweise der von Brad Binder in Mugello aufgestellte Topspeed-Rekord von 366,2 km/h.
Unfassbar, wenn man bedenkt, dass dies auf zwei dünnen Reifen passiert, es nicht mehr als einen Airbag, eine Lederkombi sowie einen Helm als Schutz gibt – und das Kiesbett am Ende der Geraden nur auf einen wartet.
"Die Dinger mit 360 km/h zu bewegen, dann das Bike auf dem Vorderrad auf den Quadratzentimer Gummi um die Kurve zu drücken, das sind absolute Heros. Man muss vielleicht darüber reden und nicht immer sagen, uns fehlen die zwei Alten", wurde Beirer deutlich.
Zuschauerrekorde bei fast allen Grand Prix, Sprint sorgt für mehr Spektakel
Jeder Fahrer hätte in seinen Augen einen Heldenstatus verdient, zudem könne man sich Heros nicht wünschen oder "selber backen. Die entstehen durch irgendwelche Storys."
Viele der aktuellen Piloten sind aber noch jung, denen müsse man etwas Zeit geben, räumt Beirer ein, der die MotoGP derzeit "extrem attraktiv" findet. Das würden auch die Zuschauerzahlen zeigen, "wir haben bis auf Silverstone bei allen Grand Prix neue Rekorde gehabt", so Beirer.
Mit ein Grund dafür ist der heuer eingeführte Sprint am Samstag, der sein Ziel – eine Aufwertung des früheren Qualifying-Samstags – erreicht hat. "Ich finde ihn spannend, weil die Fahrer und Teams mehr Risiken eingehen können – das bietet uns Fans mehr Spektakel", sagen Giacomo und seine Frau, die aus Italien angereist sind.
Sie drücken Weltmeister Bagnaia die Daumen, auch wenn er der etwas ruhigere, kontrolliertere Typ sei. Dafür könnte jemand wie Marco Bezzecchi in die Fußstapfen von Rossi steigen, meint das Paar. Der extrovertierte Wuschelkopf sammelt regelmäßig Sympathiepunkte bei den Anhängern, zählt in seinem erst zweiten MotoGP-Jahr bereits zu den ganz Großen.
Die wieder für eine Motorrad-Party in Spielberg sorgen, auf den Camping-Plätzen rund um den Ring geht bis tief in die Nacht die Post ab. Burnouts stehen hier an der Tagesordnung, für weitere Rauchentwicklung sorgen die vielen Griller, die in den nächsten Tagen heiß laufen werden.
Alle Sorgen werden beiseite geschoben
Nur am Freitagnachmittag mussten sie schnell in Schutz gebracht werden, ein kurzer, dafür aber heftiger Regenguss brachte etwas Abkühlung. Die prächtige Stimmung wurde dadurch aber nicht beeinflusst, Samstag und Sonntag dürfen die Fans und die Sonne wieder um die Wette lachen - denn da sind Traumwetter und Temperaturen rund um die 30-Grad-Marke angesagt.
Hier ist auch der wohl einzige Wermutstropfen für manch einen Fan zu finden: Die Hitze regt den Durst an, selbst mitgebrachtes Bier darf jedoch nicht konsumiert werden. An den Eingängen werden die Besucher rigoros darauf hingewiesen, dass die Mitnahme von alkoholischen Getränken auf das Gelände verboten ist.
Drinnen gibt es ein Krügerl für akzeptable 6,50 Euro, fünf Euro kostet ein weißer Spritzer. Ein halber Liter Mineral wird für 3,50 Euro verkauft. Preise, die angesichts der herrschenden Inflation keine Sorgen bereiten.
Peter und seine Kumpels betonen: "In manch einem Restaurant komme ich auch nicht billiger davon, das ist schon okay so." Das Börserl glühe an solch einem Wochenende ohnehin, entsprechendes Budget wurde eingeplant.
Doch an (Bar-)Geld oder Klimakrise denkt im Murtal zumindest dieser Tage niemand. Die alltäglichen Sorgen sind vergessen, Spaß und Spektakel stehen im Vordergrund. Und so soll es schließlich auch sein.