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KTM und das große Talente-Dilemma

Wie die Mattighofener große Talente verheizen und sich in die Bredouille bringen:

KTM und das große Talente-Dilemma

Den aktuellen Moto2-WM-Leader in der kommenden Saison in die MotoGP hochziehen? Kann man machen.

Dem KTM-Rekordsieger in der MotoGP einen neuen Fahrer vor die Nase zu setzen und gleichzeitig eine Degradierung anzubieten? Ist ungewöhnlich.

Die amtierenden Moto2-Weltmeister und -Vizeweltmeister vom Hof zu jagen? Das geht gar nicht.

KTM hat sich in den letzten Wochen und Monaten gewiss nur wenig Freunde im Motorrad-Paddock gemacht.

Mit Brad Binder, Miguel Oliveira, Remy Gardner und Raul Fernandez hatten die Mattighofener eigentlich ein schlagkräftiges Fahrer-Quartett, welches zudem reichlich Talent und Qualität mitbringt, um mit einem konkurrenzfähigen Bike um Rennsiege zu fahren.

Das war zu Saisonbeginn ja sogar noch möglich, fuhr Binder in Katar auf Platz zwei und Oliveira in Indonesien sogar zum Sieg. Seitdem legt KTM jedoch eine Talfahrt sondergleichen hin, klopfte erst in Aragon wieder am Podium an.

Angebotene Degradierung als Majestätsbeleidigung für Oliveira

Auf der Strecke wartet man schon lange auf positive Schlagzeilen, abseits davon stieg KTM von einem Fettnäpfchen in das Nächste.

Da wäre einmal die Causa Miguel Oliveira. Schon im Mai erfuhr der Portugiese, dass er seinen Platz für Ducati-Pilot Jack Miller räumen muss, gleichzeitig wurde ihm ein Angebot für einen Abstieg zu Tech3 gemacht.

Davon fühlte sich der vierfache MotoGP-Sieger für KTM beleidigt, wollte die Abschiebung nicht akzeptieren und entschied sich schließlich, einen Vorvertrag bei Aprilia zu unterschreiben.

Miguel Oliveira ist KTM-Rekordsieger - und sollte trotzdem degradiert werden

Diesen brach er auch nach der Bekanntgabe des neuen GasGas-Werksteams nicht, bekommt somit im kommenden Jahr beim WithU-RNF-Team eine RS-GP 22, mit der Aleix Espargaro und Maverick Vinales stets um Top-Platzierungen fahren – Ersterer gar um die Weltmeisterschaft.

Neben ihm wird Jungstar Raul Fernandez Platz nehmen, dessen KTM-Abschied nach mehreren Meinungsverschiedenheiten kam.

Innerhalb von zehn Monaten stieg der Spanier von der Moto3 in die Königsklasse auf. Nach nur zwei Monaten war bereits wieder klar, dass er seine MotoGP-Karriere nicht beim österreichischen Fabrikat fortsetzen wird.

Raul Fernandez: Verrückte Forderungen und unfassbare Summen

Viele Faktoren spielten eine Rolle und reichen bis zum Sommer 2021 zurück. Damals wollte das Petronas-Yamaha-Team den 21-Jährigen engagieren, doch KTM hatte bereits eine einseitige Option gelöst und 500.000 Euro für die Freigabe verlangt.

Petronas stieg nur wenig später als Hauptsponsor aus, außerdem beendete Yamaha die Verhandlungen, da man keine Fahrer zum Vertragsbruch anstiften wollte. Zum selben Zeitpunkt ebnete KTM den Weg für Fernandez und Gardner in die MotoGP, in dem die Verträge von Danilo Petrucci und Iker Lecuona nicht verlängert wurden.

Letzterer rechnete erst kürzlich mit KTM ab, deutete auf ein "wirklich schlechtes Verhalten" ihm gegenüber hin und ergänzte, dass Fernandez gar nicht mit KTM in die MotoGP aufsteigen wollte.

Um den Schritt doch zu gehen, musste KTM seinen jüngeren Bruder Adrian einen Moto3-Platz bescheren. Auf einen Kompromiss - Pit Beirer wollte ihn nur für sieben Rennen einsetzen, dann mit dem erst 16-jährigen David Munoz ersetzen - konnte man sich nicht einigen, Fernandez wurde im Tech3-Team geparkt – und liegt in der WM nur auf Rang 19.

Der Saisonstart verlief enttäuschend. Erneut kam es zu Dispute zwischen dem Management des Spaniers und KTM, zudem wurden die Kontakte zum RNF-Team von Razlan Razali, der zuvor bereits für Petronas zuständig war, wieder aufgenommen.

In Spielberg erteilte KTM schließlich die Freigabe, forderte nicht die im Vertrag verankerten 800.000 Euro als Erstattungsssumme, sondern gab sich mit 100.000 Euro zufrieden.

KTM brach Gardner das Herz

Ebenfalls am Red Bull Ring wurde die Rückkehr von Pol Espargaro bekanntgegeben, der Honda-Fahrer soll als Leader fungieren und die spanische Motorrad-Marke GasGas aufbauen. Ihm sollte eigentlich Moto2-Weltmeister Remy Gardner wieder an die Seite gestellt werden, doch in der Steiermark wendete sich plötzlich das Blatt.

Nachdem es zuvor viele Auseinandersetzungen und Schlammschlachten zwischen Gardner-Manager Paco Sanchez und KTM gab – Sanches äußerte Kritik an der Qualität von Tech3 und beklagte sich über die finanziellen Angbeote von KTM für Gardner – wurde der Australier für kommende Saison vor die Tür gestellt.

"Meine Absicht war, weiter bei Tech3 in der MotoGP zu fahren. Jetzt haben sie mein Herz gebrochen."

Remy Gardner über KTM

Und das, obwohl Gardner Fernandez im team-internen Duell beherrscht, sich selbst einen Verbleib in der MotoGP gewünscht hat und man bei KTM mit den gezeigten Leistungen eigentlich zufrieden war.

Doch das angespannte Manager-Team-Verhältnis wurde ihm zum Verhängnis, brach ihm wortwörtlich "das Herz". Gardner sei nicht professionell genug, Beispiele konnten ihm die Verantwortlichen keine liefern. Motorsport-Direktor Pit Beirer relativierte die getätigen Aussagen später zwar, ein Fünkchen Wahrheit wird jedoch bestimmt dahinter stecken.

Und während Teamkollege Fernandez weiterhin in der Königsklasse fahren darf, muss Gardner den Gang in die Superbike-Weltmeisterschaft antreten. Eigentlich unvorstellbar.

Auch Augusto Fernandez reicht ein herausragendes Moto2-Jahr

Seinen Platz wird Augusto Fernandez übernehmen, dem ebenfalls ein gutes Jahr in der Moto2 reichen wird, um sich einen MotoGP-Platz zu sichern.

2019 erreichte er dort zwar schon den fünften WM-Rang, sollte ihm mit dem Sprung zu Marc VDS, dem damaligen Team von Marquez-Bruder Alex, der entscheidende Schritt zum WM-Titel gelingen. Doch dort wollte es für den Mann aus Madrid nicht wirklich laufen, nach WM-Platz 13 2020 wurde es 2021 erneut nur der fünfte Platz.

Auch bei KTM benötigte er eine lange Anlaufzeit, erst mit dem Rennsieg in Le Mans platzte ihm der Knoten, wurde er seitdem nie schlechter als Fünfter. Ja, damit hat Augusto Fernandez sich zweifelsohne für die Königsklasse empfohlen.

Allerdings sollten Pit Beirer und Co. aus den Erfahrungen mit Gardner, aber vor allem mit Raul Fernandez gelernt haben und Augusto noch ein weiteres Jahr in der Moto2 zugestehen.

Stattdessen wird der 25-Jährige befördert, nur um seinen Platz 2024 wohl direkt wieder abgeben zu müssen. Dann steht KTM nämlich vor der schwierigsten Frage: Was passiert mit Pedro Acosta?

Das große Acosta-Dilemma

Der Moto3-Weltmeister zeigt schon heuer mit starken Leistungen in der Moto2 auf, feierte zwei Rennsiege – zuletzt in Aragon den ersten nach seinem Oberschenkelbruch. Ihm wurde allerdings schon früh Zeit gegeben, um sich bestmöglich zu entwickeln.

Den 18-Jährigen frühzeitig zu verheizen, wäre fatal. Mit einem Moto2-WM-Titel im kommenden Jahr würde er zudem das perfekte Bewerbungsschreiben für die MotoGP abgeben. Doch dieses benötigt er gar nicht, denn so oder so wird Acosta ab 2024 in der Königsklasse aufschlagen.

Nimmt KTM seine Dienste nicht in Anspruch, wird ein anderes Team sofort zuschlagen. Kein Fabrikat würde sich die Chance entgehen lassen, den blutjungen Spanier nicht unter Vertrag zu nehmen.

Und bei KTM wird eben nur der Platz von Augusto Fernandez wieder "frei". Die offizielle Vertragslänge ist zwar nicht übermittelt, doch die Mattighofener werden (hoffentlich) vorausgedacht haben und dem Madrilenen nur einen Einjahres-Kontrakt gegeben haben.

Da die Werksplätze mit Brad Binder und Jack Miller über 2024 hinaus abgesichert sind, auch Pol Espargaro bis dahin seinen Sitz bei GasGas fix hat, bliebe nur Fernandez als Bauernopfer über.

Und somit befindet sich KTM schon jetzt in der Bredouille. Sich weiterer schlechter PR auszusetzen, scheint gesichert zu sein. Ein weiteres Talent zu verheizen ebenso.

Doch für Acosta muss man dieses Risiko wohl oder übel in Kauf nehmen. Denn der Youngster ist wohl die heißeste Aktie in der Motorrad-Weltmeisterschaft seit Marc Marquez und wird die MotoGP wohl in den kommenden Jahren beherrschen.

Kaum auszumalen was passieren würde, wenn sich der 18-Jährige dann nicht für KTM entscheidet...


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