Dank Ron Howards "Rush" (2013) wurde die Geschichte der frühen Formel-1-Jahre von Niki Lauda auch einem Publikum nahegebracht, das die Ereignisse der 1970er-Jahre noch nicht erleben konnte.
In den Schlüsselszenen von 1976 tauchte auch im Film einer der Retter von Niki Lauda mit Vollbart und Rübezahl-Aussehen auf: Der ostdeutsche Schauspieler Tom Wlaschiha wurde für die Nebenrolle des Harald Ertl besetzt.
Ertl? Jawohl.
Es ist wohl Fakt, dass Österreichs siebenter Formel-1-Pilot (nach Rindt, Marko, Lauda, Quester, Doppelstaatsbürger Stuck, Koinigg), der im Grand Prix von Deutschland 1975 debütierte, eindeutig mehr als einer der Retter Laudas im Nürburgring-Desaster in Erinnerung blieb, denn als hoch talentierter Selfmade-Rennfahrer.
Der gebürtige Salzburger Ertl war an jenem 1. August 1976 in der zweiten Runde mit seinem Hesketh ebenfalls in das Ferrari-Wrack gekracht. Er bediente den einzigen schnell verfügbaren Feuerlöscher.
So ermöglichte er Arturo Merzario, Brett Lunger und Guy Edwards, den benommenen Lauda aus dem Flammeninferno zu ziehen, während Hans-Joachim Stuck den folgenden Fahrern entgegenlief und sie zum Anhalten brachte.
Sponsoren-Magnet Ertl
Doch der am 31. August 1948 in Zell am See geborene Ertl war auch anderwärtig talentiert: Nicht nur als Fahrer, sondern auch als Marketingprofi.
"Im Aufreißen von Sponsoren war er einzigartig", sagt einer seiner langjährigen Weggefährten, der frühere Schnitzer-Teammanager Peter Reinisch, ebenfalls Salzburger.

Ertl brachte die Warsteiner-Brauerei als Sponsor zum F1-Debüt 1975 mit, der goldene Hesketh fiel damals fast so auf wie heute ein pinker BWT-Bolide – nur vor deutlich weniger TV-Kameras…
Ertl war ein klassischer "Pay Driver" – doch wer war das damals nicht? Auch Lauda und Marko begannen so.
Ertl war das formale Gegenstück zu Jochen Rindt: österreichischer Pass, aber nach Anfangsjahren bald deutsche Lizenz, da er als Gymnasiast 1964 mit den Eltern wegen des Berufs des Vaters (Bauingenieur) nach Mannheim übersiedelt war.
Deshalb gilt Ertl in vielen Statistiken als Deutscher. Beim Grazer Rindt - in Mainz geboren - war es umgekehrt: deutscher Pass, OSK-Lizenz.
Eine fast komplette Saison fuhr Ertl nur 1976 (außer dem Auftakt in Sao Paulo), insgesamt kam er zwischen dem Nürburgring 1975 und Hockenheim 1980 auf 28 Rennen, aber nur 19 Starts.
Punkte gab es für ihn keine, weil damals nur die ersten Sechs "belohnt" wurden (bei meistens 26 Fahrern und noch einigen Nicht-Qualifizierten, also deutlich mehr als die 20 derzeit). Nach heutiger Zählweise wäre Ertl mit sechs Top-Ten-Plätzen auf 22 WM-Punkte gekommen.
Auch in Touren- und Sportwagen aktiv
Ertl begann als junger Wilder in der Formel V, kam über die Formeln 3 und 2 in die Topklasse, blieb immer aber auch in Touren- und Sportwagen aktiv.
Parallel zur F1 bestritt er ab 1977 die Deutsche Rennsportmeisterschaft für Gruppe 5-Turbos und war da Mitglied der Freilassinger Schnitzer-Mannschaft, mit u. a. dem Salzburger Willi Siller als Kollegen.
"Sie waren oft am Salzburgring, zu Rennen und Tests. Ertl half uns als Lokalmatador sehr, genauso wie er Siller unterstützte", erinnert sich der langjährige Ring-Chef Alex Reiner, früher selbst Tourenwagen-Pilot.
Herbert Schnitzer (80), letzter Überlebender der vier Brüder, hielt große Stücke auf Ertl: "Er fuhr ja für uns den Toyota Celica Turbo 1977 und dann den BMW 320i Turbo, mit dem wir die Meisterschaft gewannen."
Noch vor dem ersten Turbo-Weltmeister (Nelson Piquet, F1 1983) war Ertl 1978 der erste Turbo-Champion in Europa. Und beide Aggregate hatten die Basis in der Arbeit des Motorengurus Josef Schnitzer, der viel zu früh im Erfolgsjahr 1978 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam – am 31. August, just an Ertls 30. Geburtstag!
Nach dieser Saison wechselte Ertl zu Ford und Zakspeed, "weil er ohne Josef kein Vertrauen in uns mehr hatte", glaubt Herbert Schnitzer.
Viel Bewunderung für "wilden Hund"
Ein ständiger Wegbegleiter Ertls war der frühere deutsche Formel-V-Pilot Rainer Braun, die spätere Streckensprecher-Legende: "Die Formel V war ja der Tummelplatz der Österreicher. Marko, Lauda, Huber, Riedl, Breinsberg, Pankl, Peter, Quester, Koinigg wie sie alle hießen. Und der Harald. Er war ungemein zugänglich, immer fair, hielt alle Absprachen ein und tat niemandem weh, aber er war dennoch ein beinharter Racer, ein wilder Hund, würde man sagen."
Anekdote Brauns aus dieser Zeit: "Harald machte viel kaputt. Der 'Master' Bergmann (FV-Konstrukteur und Teamchef aus Wien, Anm.) sagte, Ertl stehe stets zwischen Genie und Wahnsinn. Wenn einer ein Auto zerstörte, sagten wir, er hätte es 'geertlt'."
Auch Hans-Joachim Stuck hat für Ertl noch heute Bewunderung übrig: "Er fiel mit seinem geilen Schnauzbart natürlich überall auf. Aber er war auch ein Tüftler, hat immer, wie der Niki, alles hinterfragt. Er war seiner Zeit voraus, weil er sich auch gut verkaufen konnte."
Nach der gescheiterten Qualifikation zum deutschen GP 1980 und dieser Saison in der DRM setzte Ertl 1981 aus, wurde aber Anfang 1982 als Fahrer im Renault 5 Turbo-Eurocup präsentiert. Es kam nicht mehr zum Comeback.
Heute vor 40 Jahren - am 7. April 1982 - stürzte die Beechcraft Bonanza mit seiner Familie und der seines Schwagers sowie des Flugzeug-Eigners Jörg Becker-Hohensee auf dem Weg von Mannheim in den Osterurlaub auf Sylt nahe Gießen nach Motorschaden ab.
Nur Ertls Gattin Vera und der damals kleine Sohn Sebastian überlebten mit schweren Verletzungen.
Ertl ruht auf dem Friedhof Mannheim-Neckerau.