In unserem Format "Ansichtssache" versuchen wir, Meinungen, Stimmungen, Überreaktionen oder sonstige Ansichten jeglicher Art in eine These zu packen und zu analysieren.
Das kann mal provokant sein, mal eine oft gehörte Meinung. Mal sehr strittig, mal weniger. Mal eine Prognose, mal eine simple Einordnung.
Diesmal geht es um die Zukunft des Motosports und wie diese aussehen könnte. Die LAOLA1-Redaktion hat dazu fünf kontroverse Thesen aufgestellt, die von den Redakteuren Alessandro Righi und René Mersol diskutiert werden.
So viel sei gesagt: Die Meinungen gehen teils weit auseinander, viel Spaß!
1.) Aktiver Motorsport ist in Österreich nicht größer als Rudern oder Fechten. Und das ist gut so!
René Mersol:
Ich denke, wie "groß" oder "klein" eine Sportart ist, hängt immer davon ab, welche Relevanz sie hat.
Österreich hatte das Glück, schon mehrmals über international bekannte Aushängeschilder wie Lauda, Berger, Stohl oder Walkner verfügt zu haben. Damit stieg auch die Relevanz und damit auch die "Größe" des Sports in der Breite. Man denke etwa an den Tischtennishype nach Werner Schlagers Weltmeistertitel oder als Schwimmvereine dank Markus Rogan und Mirna Jukic etwa zur selben Zeit regen Zulauf erlebten.
Dass der Motorsport in dieser Form in Österreich aktuell nicht größer ist, finde ich aber grundsätzlich begrüßenswert. In Zeiten, in denen uns die Natur auf schauderhafte Art ihre hässliche Fratze zeigt, stelle ich die Sinnhaftigkeit des Motorsports, der ja vorwiegend mit Verbrennern betrieben wird, in Frage.
Alessandro Righi:
Eine solche Aussage einem Motorsportler entgegenzubringen? Der Schlag sitzt tief. Es ruft praktisch nach Doppelmoral, wie Österreich den Motorsport - ob unter dem Deckmantel "Umweltschutz" oder nicht - handhabt.
Einerseits porträtiert man sich gerne mit den Namen Lauda oder Rindt und präsentiert aller Welt stolz den Red Bull Ring. Andererseits ist es zum Haare raufen, wie die Vermarktung für Serien wie die DTM - und das trotz Meisterpiloten wie Thomas Preining - abläuft. Da passiert rein gar nichts, um es dem Fan schmackhaft zu machen.
Und noch schlimmer wird es, wenn der Blick auf die Talente wandert. Die Betreuung und Förderung gleicht knallhartem Amateurstatus. Deshalb, an alle Verantwortlichen da draußen: Krämpelt's die Ärmel hoch, setzt euch an die Arbeit und sichert die Zukunft des Motorsports - auch auf Verbrenner-Ebene!
2.) Drive to Survive hat viele junge Menschen angefixt, doch es braucht mehr Sport und weniger Gossip, um sie bei der Stange zu halten.
René Mersol:
Solche TV-Formate sind als Anreiz, um das Interesse zu wecken, kein Fehler. Ohne die Mighty Ducks hätte ich nie ein Eishockey-Spiel gesehen.
Die große Krux an der Sache sehe ich aber darin, dass heutige Formate manchmal einfach gnadenlos überzeichnet sind und einen in eine surreale Glamourwelt entführen, die sie aber nur selten ist, sodass die anfängliche Begeisterung schnell der Ernüchterung weicht.
Der Sport sollte dabei die Hauptrolle spielen, im besten Fall sollten Wege aufgezeigt werden, wie man selbst Teil dieses Sports werden kann und was es dafür braucht. Das sehe ich bei diesen Formaten leider nicht.
Alessandro Righi:
Fakt ist, dass "Drive to Survive" vor allem die junge Generation mobilisiert hat, und das auf eine Weise, die es so in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Ich sehe es deshalb wie mein Kollege: Als Anreiz, um Interesse zu wecken, ist solch ein Format definitiv kein Fehler.
Aber Netflix ist in der Produktion sehr weit über das Ziel hinausgeschossen. Viel Kritik gab es vor allem für das wahllose Zusammenschneiden von Szenen und Aussagen. Und dieses Vorgehen hat Konsequenzen, die von einem tief gespaltenen Fanlager hin zu falsch informierten Fans reichen.
Und da muss die Formel 1 eingreifen, wenn sie eine gesunde und langfristige Fanbasis für die Zukunft haben will. Andernfalls droht eine Fanszene, die noch giftiger als ohnehin schon wird.
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3.) Millionärssöhne drehen ihre Runden. Ohne Cinderella-Stories erreicht man auf Dauer nicht die Herzen der Menschen.
Alessandro Righi:
Die Cinderella-Story wird immer die Herzen der Menschen erreichen, aber sie wird auf Dauer aussterben. So muss es korrekt formuliert werden.
Denn ein jeder Sportfan jubelt in seinem Innersten dem "Underdog" zu. Dem Fahrer, der gegen jede Chance und aus dem Nichts doch den großen Wurf landet und erfolgreich wird.
Doch heutzutage ist das nicht gerne gesehen: die FIA spielt bereits im Nachwuchsbereich diesbezüglich mit einem System ihre Karten aus, das so konstruiert ist, dass der "einfache Mann" selbst mit dem größten Talent keine Chance haben wird/darf, das Top-Cockpit zu erreichen.
Ob das dem Sport langfristig guttun wird? Definitiv nein. Ein Lance Stroll oder Ex-Fahrer Nikita Mazepin bestätigen das.
René Mersol:
Ich kann Alessandro hier nur beipflichten. Die FIA befindet sich hier auf einem Irrweg. Das derzeitige Vorgehen mag zwar momentan einen Hype auslösen und viel Geld bringen, ohne Abwechslung wird das aber früher oder später ein Ende finden.
Ich selbst habe diese Begeisterung früherer Jahre in der (noch immer andauernden) Ära der Serien-Champions verloren. Zuerst war es Vettel, dann Hamilton, jetzt Verstappen. Alles, was zu viel ist, tut langfristig nicht gut.
Es braucht zwischendurch diese Dramaturgie des triumphierenden Underdogs, wie etwa die Titel von Jenson Button und BrawnGP 2009. Das geflügelte Wort von der "Cinderella-Story" hat sich ja nicht zufällig etabliert.
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4.) 2035 wird jedes F1-Team verpflichtend eine Frau einsetzen.
Alessandro Righi:
Ganz klar: Nein. Warum? Erst mal halte ich nichts von einer Quote. Um es in die Formel 1 zu schaffen, müssen die sportlichen Erfolge nun mal stimmen. Dieser Herausforderung muss sich ein jeder Fahrer, eine jede Fahrerin stellen.
Abgesehen davon ist aktuell die Frauen-Nachwuchsformelserie bei Weitem nicht kompetitiv genug, um eine ernsthafte Konkurrenz für die männlichen Kollegen zu sein. Um das zu erreichen, wird es noch an Zeit brauchen.
Und in der Vergangenheit gab es bereits Einsatzfahrerinnen, die es über Fleiß und harte Arbeit geschafft haben: de Filippis, Lombardi, Galica, Wilson und Amati. Nun eine Nachfolgerin aufgrund einer Quote zu stellen, würde das Vermächtnis entwürdigen.
René Mersol:
Ich pflichte dem Kollegen Righi da insofern bei, als dass eine Quote nicht die Lösung sein kann. Ganz im Gegensatz zu Pepi Hickersberger soll man sich hier für die Besten entscheiden und nicht für die Richtigen.
Denn dafür zahlen die Fans (wie in jedem Sport) ihre Eintrittsgelder, sie sollen die Elite wettstreiten sehen. Welcherlei Geschlecht sich die Pilot:innen zugehörig fühlen, darf dabei nicht entscheidend sein.
Viel wichtiger wäre Chancengleichheit und auch da darf das Geschlecht bitteschön keine Rolle spielen. Ein Beispiel: Sophia Flörsch ist ob ihrer Leistungen im Förderprogramm von Alpine und nicht aufgrund ihres schrecklichen Unfalls 2018.
5.) Außer der Formel 1 sind – abgesehen von regionalen Phänomenen – alle anderen Serien irrelevant.
René Mersol:
Dem stelle ich die Frage entgegen, warum es so viele Serien mit zahlreichen Fans dann überhaupt gibt, wenn sie irrelevant sind? Außerdem kommt es darauf an, was man als "irrelevant" definiert.
Sinn und Zweck des Motorsports war ja ursprünglich die Weiterentwicklung von Technologie und folglich der Transfer in die breite Masse. Diesen Hintergrund sehe ich bei einigen Serien auf jeden Fall, was eine Irrelevanz widerlegt. Bezieht man es aber auf das Faninteresse, würde ich das Prädikat "irrelevant" tatsächlich der einen oder anderen Serie zuweisen.
Die Nummer eins wird auf absehbare Zeit die Formel 1 bleiben. Aber nur dann, wenn sie es schafft, sich an zukünftige technologische Gegebenheiten anzupassen. Und diese werden abseits des Verbrennermotors liegen.
Alessandro Righi:
Auch bei mir kommen Fragen auf: Welche Serien fallen unter den Mantel "alle anderen Serien" und was ist als "regional" definiert?
Die Formel 1 wird global gesehen die Spitze des Motorsports bleiben, da führt kein Weg vorbei. Aber auch die MotoGP spielt auf dem Niveau mit, die in Ländern wie Spanien oder Italien seit dem Beginn des Zweiradsports den Status des "Nationalsports" genießt.
Und als Beispiel zur Relevanz: Die Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) erfreut sich dank des Anbruchs der Hypercar-Ära über eine Beliebtheit, die in einigen Fankreisen bereits als "Platin-" bzw. "Diamant-Ära" des Langstreckensports tituliert wird.