Jakob Pöltl ist am Dienstag in Wien angekommen, sein Koffer nicht. Den hat die Fluggesellschaft in Kanada vergessen.
Kein gelungener Start in den Urlaub also. Das größere Problem ist jedoch, dass Österreichs NBA-Export überhaupt schon Urlaub hat.
Als Nummer 1 der Eastern Conference in die Playoffs gestartet, war für seine Toronto Raptors bereits in der 2. Runde Endstation - wieder einmal gegen die Cleveland Cavaliers, wieder einmal gegen Superstar LeBron James, und mit einem 0-4 wieder einmal sehr deutlich.
Am Freitag fliegt Pöltl mit Freunden für zwei Wochen nach Tel Aviv - dabei gibt es jedoch kein Verbot, den Namen LeBron James anzusprechen:
"Ich habe der NBA nicht komplett abgeschworen, nur weil unsere Saison vorbei ist. Ich bekomme trotzdem mit, was los ist. Aber ich versuche mich so wenig wie möglich damit auseinanderzusetzen, denn: Es tut weh, wenn ich darüber nachdenke. Das ist den Jungs natürlich auch klar, dementsprechend wird der Name vermutlich das eine oder andere Mal fallen, aber damit muss ich leben."
Nachsatz: "Hätten wir halt gewinnen müssen..."
Pöltl bedauert Rauswurf von Casey
Wie, warum und weshalb Toronto den Titel-Traum so früh begraben musste, beschäftigt derzeit wohl jedes Mitglied der Raptors-Familie - genauso wie die Frage, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.
Die erste hat die kanadische NBA-Franchise schon gezogen: Head Coach Dwane Casey musste nach sieben guten, allerdings ungekrönten Jahren den Hut nehmen. Eine Entscheidung, die Pöltl bedauert:
"Eine Top-Saison bringt leider relativ wenig, wenn man dafür in den Playoffs nichts vorzuweisen hat. Es ist schade, denn ich mochte ihn sehr gerne als Coach, habe mich gut mit ihm verstanden. Er war mein erster Coach in der NBA, ich habe ihm einiges zu verdanken, da er mir vertraut und von Anfang an eine Chance gegeben hat. Mit seiner Basketball-Philosophie war ich immer auf einem Nenner. So ist leider das Business in der NBA, das kann jedem passieren."
Neben der Bestellung eines neuen Head Coaches wird fraglos auch die Herangehensweise von General Manager Masai Ujiri in Sachen Kaderplanung eine spannende. Auch wenn ein großer Umbruch alleine aufgrund der Vertragssituationen nicht zwingend erwartet wird, kann und wird es zu Änderungen kommen.
Gefahr eines Trades? "Würde gerne in Toronto bleiben"
Pöltl hofft jedenfalls, dass er nicht betroffen ist, auch wenn er als junger Spieler womöglich eine attraktive Trade-Aktie darstellen könnte:
"Mir ist klar, dass ich auch in die Kategorie Spieler falle, die logischerweise getradet werden kann. Jeder einzelne bei uns im Team kann getradet werden, wenn das richtige Angebot am Tisch liegt und es für das Team Sinn macht. Aber ich würde gerne in Toronto bleiben."
"Darum geht es ja nicht. Ob wir gegen LeBron James spielen müssen oder nicht, bringt uns auch nichts. Im Endeffekt geht es darum, ihn zu schlagen und nicht zu hoffen, dass er weggeht. Das wäre nicht die Siegermentalität, die wir haben wollen."
"Aber ich beschäftige mich nicht damit. Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, wäre es ein noch größerer Fehler als wenn ich darüber nachdenke, wer aus unserem Team noch da sein wird und wer nicht. Im NBA-Leben muss man sich ums Jetzt kümmern, und im Moment bin ich bei den Toronto Raptors und es geht darum, über den Sommer besser zu werden."
Ganz ausblenden kann jedoch naturgemäß auch der 22-Jährige die Gedanken an die Zusammensetzung des Rosters in der kommenden Saison nicht: "Es war letztes Jahr schon so. Bei ein, zwei Spielern läuft der Vertrag aus, bei anderen gibt es schon seit Jahren Trade-Gerüchte. Nicht zu wissen, was passieren wird und wie der Kader im kommenden Jahr aussehen wird, ist ein komisches Gefühl, aber ich denke, ich schaffe es ganz gut, mir wenig bis gar keinen Kopf darüber zu machen, denn es bringt mir nichts, im Vorfeld darüber zu spekulieren. Ich bin in den zwei Jahren mit fast allen meinen Mitspielern sehr nahe zusammengekommen, dementsprechend fände ich es schade, wenn jemand gehen müsste, aber wie bei der Coach-Sache: Das ist leider das Business, damit müssen wir alle leben."
Die Suche nach dem "gewissen Etwas"
Pöltls Gefühl besagt, dass man in Toronto mit dem Kern des Teams eigentlich sehr zufrieden sei: "Es fehlt nur das gewisse Etwas. Wir haben die ganze Saison über gezeigt, dass wir in der NBA ganz oben mit dabei sind. Das kleine Bisschen, das uns in den Playoffs gefehlt hat, gilt es zu finden. Wir müssen herausfinden, wo das Problem liegt beziehungsweise wer oder was noch fehlt, um da hinzukommen."
Viele Experten kreiden den Star-Spielern DeMar DeRozan und Kyle Lowry an, dass sie in der Postseason nicht so auf den Punkt da sind, wie es etwa ein Ausnahmekönner wie James bei Cleveland ist. Für Pöltl ist das fehlende "gewisse Etwas" jedoch nicht zwingend ein Star-Spieler:
"Es kann sein, dass es eine mentale Schwäche ist, die wir in den Playoffs gezeigt haben. Ich finde, wir haben uns als Team nicht so präsentiert, wie wir uns über die ganze Saison präsentiert haben - sowohl offensiv als auch defensiv. Deswegen glaube ich nicht, dass irgendwie ein Spieler oder ein Coach fehlt, oder dass der Plan gefehlt hat. Als Coaches und Spieler müssen wir zusammen diese mentale Barrikade lösen."
Wobei auch der Wiener zugeben muss, dass ein Franchise-Player wie LeBron beinahe im Alleingang die notwendige Siegermentalität einbringen kann: "Man hat gesehen, dass LeBron James gegen uns oder eigentlich auch in der Serie davor gegen Indiana alles gemacht hat, was passieren muss, um einen Sieg herauszuholen. Wenn er 40 Punkte machen muss, ist es so. So etwas brauchen wir."
Keine Hoffnung auf LeBron-Abschied
Und trotzdem, Superstar hin oder her, gingen die Raptors voller Zuversicht in die Duelle mit Cleveland: "Wir sind natürlich mit Respekt in die Serie reingegangen, aber mit der Einstellung, dass wir das bessere Team sind. LeBron James ist einer der besten Spieler der Welt, ganz klar, aber im Endeffekt sind wir das bessere Team. Das haben wir nicht gezeigt, das muss man ganz klar so sagen. Sie haben besser gespielt als wir - sowohl LeBron James als auch der Rest des Teams. Natürlich könnten wir jetzt sagen, ein, zwei Spiele sind bitter gelaufen und es hätte ganz anders laufen können, aber unterm Strich haben wir nicht das gemacht, was wir uns vorgenommen haben und nicht das gezeigt, was wir zeigen hätten können."
Auch wenn die Boston Celtics im Finale der Eastern Conference einen idealen Start gegen Cleveland und James hingelegt haben, ist LeBron mit seinem jeweiligen Arbeitgeber im Osten nun schon seit vielen Jahren ein Stolperstein für diverse Kontrahenten.
Die Hoffnung, dass James Cleveland abermals verlassen und in die Western Conference wechseln könnte, hegt Pöltl aber dennoch nicht. Ganz im Gegenteil: "Darum geht es ja nicht. Ob wir gegen LeBron James spielen müssen oder nicht, bringt uns auch nichts. Im Endeffekt geht es darum, ihn zu schlagen und nicht zu hoffen, dass er weggeht. Das wäre nicht die Siegermentalität, die wir haben wollen."
Pöltls neue Saison startet im Juni
Um den nächsten Schritt gehen zu können, wird harte Arbeit notwendig sein. Harte Arbeit, die Österreichs NBA-Export an den Tag legt, um sich auf individueller Ebene zu verbessern. In seinem zweiten NBA-Jahr hat er sich in allen relevanten Statistiken gesteigert und dafür nach Saisonende von Coaches und Verantwortlichen auch gutes Feedback mit auf den Weg bekommen:
"Es geht darum, hungrig zu bleiben und sich weiter zu verbessern, denn ich bin noch nicht einmal annähernd dort, wo ich eigentlich hin will."
"Alles in allem war das Feedback ein gutes. Aber in den Exit-Interviews ist es mehr darum gegangen: Wie schaut es für nächste Saison aus? Wie schaut mein Sommer aus? Es ist schön und gut, dass ich mich verbessert habe, aber jetzt geht es schon wieder um den nächsten Schritt. Es geht darum, hungrig zu bleiben und sich weiter zu verbessern, denn ich bin noch nicht einmal annähernd dort, wo ich eigentlich hin will. Mir ist klar, dass es Zeit brauchen wird, bis ich dorthin komme. Aber mir geht es darum, an den nächsten Schritt und ans Weiterkommen zu denken."
Dafür gönnt sich Pöltl nun eine kurze Phase, in der er keinen Basketball angreifen möchte: "Aber wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, geht es schon wieder los. Dann ist nächste Saison. Man kann sagen, meine Saison beginnt mehr oder weniger im Juni."
Mit seiner Spielzeit und Rolle im Team war der 2,13-Meter-Riese zufrieden, in den Playoffs hätte er jedoch gebraucht, bis er ins Rollen gekommen sei: "Da hätte ich gerne ein bisschen besser gespielt, aber es waren meine ersten wirklichen Playoffs. Ich habe vor, aus meinen Fehlern und Erfahrungen zu lernen und in Zukunft noch ein bisschen etwas draufzulegen. Es gibt einiges, an dem ich arbeiten muss, das ist mir ganz klar. Ich freue mich schon auf meine dritte Saison, da möchte ich wieder einen Schritt nach vorne machen."
Woran Pöltl arbeitet
Woran er speziell arbeiten möchte? "Basketball entwickelt sich immer noch weiter in Richtung kleinere Lineups. Also möchte ich daran arbeiten, kleinere Spieler besser zu verteidigen, aber genauso Spieler wie Kevin Love, der uns Probleme bereitet hat. Ich möchte daran arbeiten, solche Spieler so gut wie möglich aus dem Spiel zu nehmen. Ähnlich ist es in der Offensive. Ich möchte flexibler sein, mehr von außen machen können. Wir haben schon das ganze Jahr hart am Wurf gearbeitet. Das wird weitergehen. Und dann werde ich natürlich in der Kraftkammer sein. Es geht mir nicht darum, ein Kasten zu werden, sondern an Kraft zuzulegen."
Dinge, die der Center selbst beeinflussen kann, will er über den Sommer also weiter in die richtigen Bahnen lenken. Alles weitere wird sich an den Schreibtischen der Entscheidungsträger im Headquarter der Raptors weisen.
Pöltl ist jedenfalls froh, dass er diese Entscheidungen nicht selbst treffen muss: "Ganz ehrlich, ich weiß es nicht und bin auch froh, dass ich nicht die Verantwortung habe, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wer bei uns das fehlende Puzzleteil ist."