Der Wiener Bernhard Raimann steht am Sonntag (19:00 Uhr MESZ) vor seinem Debüt in der NFL und damit vor einem weiteren Meilenstein für den österreichischen Football.
Als erster heimischer Spieler, der nicht auf der Spezialposition des Kickers beheimatet ist, könnte der 24-jährige Offensive Tackle von den Indianapolis Colts zu Einsatzminuten in der besten Football-Liga der Welt kommen. Beim Saisonauftakt bei den Houston Texans wird Rookie Raimann noch von der Bank aus starten.
Allerdings sehen viele Experten den 2,01 m großen und 138 kg schweren Athleten bald in der ersten Formation. "Er macht einen super Job und hat eine unglaubliche Athletik. Ich bin überzeugt, wenn er sich nicht verletzt, dann steht ihm eine mehr als zehnjährige NFL-Karriere bevor", sagt AFBÖ-Präsident Michael Eschlböck im APA-Gespräch. Jetzt geht es für Raimann, der im Frühjahr als erster Österreicher überhaupt im Draft (3. Runde) ausgewählt worden war, erst einmal darum, sich im harten NFL-Geschäft zu etablieren.
Viel Lob für "Vorbild", aber ein langer Weg
In der Saisonvorbereitung gab es jedenfalls reichlich Lob von seinen Trainern, auch wenn der routinierte Matt Pryor zunächst noch den Vorteil auf seiner Seite hat. "Er wird immer konstanter. Wenn er sein Spiel auf diesem Niveau weiter verfeinert, glaube ich, dass er ein Faktor sein wird", sagt Head Coach Frank Reich vor Kurzem.
Allerdings sehe man auch, "dass er manchmal noch etwas unerfahren ist. Aber es ist eindeutig, dass er die körperlichen Voraussetzungen mitbringt und die nötige Härte besitzt, um diese Position zu spielen." Eschlböck ergänzt: "Man hat gesehen, was er für einen Wumms draufhat."
Raimann bringt neben seiner außergewöhnlichen Athletik einen eher ungewöhnlichen Lebenslauf für einen NFL-Profi mit. In seiner Jugend spielte er Fußball in Bad Sauerbrunn im Burgenland, für die Vienna Vikings kam er dann als Wide Receiver erstmals mit Football in Kontakt. Später wurde Raimann auf der Position des Tight End eingesetzt, ehe er erst in seinen letzten zwei Jahren auf der Central Michigan University zum Offensive Tackle umgeschult wurde.
Deshalb hat Raimann noch einen kleinen Startnachteil zu seinen Konkurrenten, die meist ihr ganzes Leben auf einer Position verbringen, jegliche Kleinigkeiten verinnerlicht haben und seit ihrer Kindheit mit Football aufwachsen. Umso beeindruckender ist Raimanns Weg, am Sonntag steht der nächste Höhepunkt bevor. "Er ist absolut ein Vorbild", sagt Eschlböck über den ehemaligen Junioren-Nationalspieler. Für die U19-Heim-EM im Juli verfasste Raimann eine Videobotschaft an die österreichischen Nachwuchsfootballer, was "natürlich ein Ansporn für die jungen Burschen" gewesen sei.
Raimann der vierte NFL-Legionär
In der Offensive Line der Colts, denen gute Chancen auf eine Playoff-Teilnahme zugerechnet werden, wird Raimann eine ganz besondere Rolle zuteil. Er deckt die "Blind Side" seines Quarterbacks Matt Ryan. Diese Position erhielt zusätzliche Bekanntheit durch den oscarprämierten Film "The Blind Side" über die Anfänge von Ex-Profi Michael Oher. Raimann hält seinem rechtshändigen Quarterback Ryan im Idealfall die Gegenspieler vom Leib, die sich ihm in dessen toten Winkel von links annähern wollen.
Seine Position sei "sehr anspruchsvoll", betont Eschlböck. "Die Verteidigung versucht natürlich auch, die Blind Side zu attackieren. Du musst auch irrsinnig schnell im Kopf sein und eine schnelle Reaktionszeit haben." Was erschwerend hinzu kommt: Offensive Liner ragen selten heraus und fallen meistens nur durch Fehler auf. Diese gilt es zu minimieren, das war auch Raimanns größtes Credo in den ersten Wochen als NFL-Profi.
"Du kannst viel daraus lernen, gehst die Film-Aufnahmen wieder und wieder durch, sodass sie nie wieder passieren", sagt Raimann über seinen Lernprozess. Seine Trainer lobten Raimann in den vergangenen Wochen mehrmals, er sei sehr "coachable", also trainierbar. Aufgrund der Wichtigkeit der Position bekommen Left Tackles fürstliche Gehälter, Raimann hat derzeit jedoch einen vergleichsweise niedrig dotierten Rookie-Vertrag über vier Jahre im Gesamtwert von 5,3 Millionen Dollar. Etablierte Positionskollegen verdienen weit mehr als 15 Millionen Dollar pro Saison.
Raimann ist der vierte Österreicher in der NFL und der erste seit 35 Jahren. Drei Kicker waren in den 1970er und 1980er-Jahren in der US-Liga tätig. Der frühere Fußball-Nationalspieler Toni Fritsch gewann mit den Dallas Cowboys 1972 die Super Bowl, wenngleich er im Finalspiel nicht zum Einsatz kam. Raimund "Ray" Wersching war 1982 und 1985 mit den San Francisco 49ers erfolgreich. Der Auswanderer-Sohn aus Mondsee bestritt 1987 auch das bisher letzte NFL-Spiel eines Österreichers. Dritter im Bunde war Toni Linhart. Der gebürtige Steirer kickte unter anderem bei den Baltimore Colts, die 1984 nach Indianapolis übersiedelten, wo Raimann seine NFL-Karriere startet.